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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Um elf Uhr Vormittags soll Messe abgehalten werden. Zehn Minuten
vor der bestimmten Zeit rollen drei niedrige Steirer Wägelchen, jedes mit
Hengst oder Wallach bespannt, aus dem Graben nach dem Markt herauf;
draußen vor dem Freidhof (Friedhof), in dessen Mitte die Kirche liegt, halten
sie still. Herab steigt ein Bauer von fünfundfunfzig bis sechzig Jahren, der "untere
Hirschbaucr", das ist der eine Bräutigam. Als er den grünen Steierhut, mit grü¬
nem Band, Blumenstrauß und "Gamsbart", vom Kopfe zieht, zeigt sich kein
graues Haar, doch haben seine Bewegungen schon etwas Unbeholfenes, und
die vielen Runzeln um Auge und Mund weisen ein hübsches Jahrregister
nach. Ein nagelneuer dunkelgrüner Rock mit hohen Achselfalten reicht ihm
bis auf die Knie hinab. Die Weste ist roth; die tuchene Hose umgibt nach
unten ein blanker, fußhoher Lederstoß. Der "untere Hirschbauer" ist Witwer.
Mit seinem Hof steht es nicht schlecht. Von Weinen liebt er vorzugsweise den
mittelfarbigen Schilcher, doch verschmäht er nach der vierten oder fünften Hal¬
ben auch den Schwarzen nicht, wenn eben kein Weißer zur Hand ist. Nicht
immer gelingt es ihm, Abends den Heimweg über die Brücke beim Kehler
zu finden; in solchen Fällen kehrt er ins Wirthshaus zurück und versucht am
nächsten Abend, ohne den Tag über heimzukehren, ob sie denn wirklich bei Nacht
nicht passirbar sei, auf welche Weise er oft halbe Wochen der Lösung
dieses Problems' widmet. Ihm sitzt übrigens, trotz der Furchen und Run¬
zeln, der Schelm noch immer im Nacken, und man erzählt sich, daß er dem
Pfarrer auf seine Reprimanden erwiedert habe, er möge und der Sittlichkeits¬
reform doch von oben und nicht von unten anfangen.

Die Braut saß auf dem zweiten Wägelchen. Sie ist Magd beim "obern
Hirschbaucr" gewesen d. h. bei demjenigen Huber, welcher eine Viertelstunde
oberhalb ihres Bräutigams am Berge wohnt. Wie ihr Zukünftiger heißt
wird sie wahrscheinlich zum ersten und letzten Male heute am Altare ver¬
nehmen, denn im täglichen Verkehr heißt sie künftig die untere Hirschbäuerin
und niemand fragt nach weiterem Vor- oder Zunamen. Der Sprung vom
Wagen hinab auf die Straße hat ihr keine Mühe gemacht. Ob sie sich da¬
bei plump oder zierlich ausnahm, darauf giebt keiner Acht und sie selbst
weiß davon am wenigsten. Sie ist fünfzehn Jahr lang Schwägerin auf der Dull¬
witzen gewesen und hat beim Futtersammeln ihre Geh- und Steigwerkzeuge
zu herkulischer Kraft ausgearbeitet. Es ist fast Verschwendung, daß sie nicht,
wie der Blascl am Eck meint, einen auf der Höh freit. Ihr Anzug ist der¬
jenige der Schwägerinnen, hellbuntcr Kattunrock bis auf die Fußcnkel,
braunes Jacketterl oder Spenzer mit Pauschenden Aermeln, rothseidenes Hals¬
tuch, schwarze, blanke Schürze, weiße Strümpfe und hohe schwarze Schnür¬
stiefel von starkem Kuhledcr. Sie mag einige dreißig Jahre alt sein, vielleicht
noch ein Weniges jünger. Der "untere Hirschbauer" führt, wie die Nachbarn


Um elf Uhr Vormittags soll Messe abgehalten werden. Zehn Minuten
vor der bestimmten Zeit rollen drei niedrige Steirer Wägelchen, jedes mit
Hengst oder Wallach bespannt, aus dem Graben nach dem Markt herauf;
draußen vor dem Freidhof (Friedhof), in dessen Mitte die Kirche liegt, halten
sie still. Herab steigt ein Bauer von fünfundfunfzig bis sechzig Jahren, der „untere
Hirschbaucr", das ist der eine Bräutigam. Als er den grünen Steierhut, mit grü¬
nem Band, Blumenstrauß und „Gamsbart", vom Kopfe zieht, zeigt sich kein
graues Haar, doch haben seine Bewegungen schon etwas Unbeholfenes, und
die vielen Runzeln um Auge und Mund weisen ein hübsches Jahrregister
nach. Ein nagelneuer dunkelgrüner Rock mit hohen Achselfalten reicht ihm
bis auf die Knie hinab. Die Weste ist roth; die tuchene Hose umgibt nach
unten ein blanker, fußhoher Lederstoß. Der „untere Hirschbauer" ist Witwer.
Mit seinem Hof steht es nicht schlecht. Von Weinen liebt er vorzugsweise den
mittelfarbigen Schilcher, doch verschmäht er nach der vierten oder fünften Hal¬
ben auch den Schwarzen nicht, wenn eben kein Weißer zur Hand ist. Nicht
immer gelingt es ihm, Abends den Heimweg über die Brücke beim Kehler
zu finden; in solchen Fällen kehrt er ins Wirthshaus zurück und versucht am
nächsten Abend, ohne den Tag über heimzukehren, ob sie denn wirklich bei Nacht
nicht passirbar sei, auf welche Weise er oft halbe Wochen der Lösung
dieses Problems' widmet. Ihm sitzt übrigens, trotz der Furchen und Run¬
zeln, der Schelm noch immer im Nacken, und man erzählt sich, daß er dem
Pfarrer auf seine Reprimanden erwiedert habe, er möge und der Sittlichkeits¬
reform doch von oben und nicht von unten anfangen.

Die Braut saß auf dem zweiten Wägelchen. Sie ist Magd beim „obern
Hirschbaucr" gewesen d. h. bei demjenigen Huber, welcher eine Viertelstunde
oberhalb ihres Bräutigams am Berge wohnt. Wie ihr Zukünftiger heißt
wird sie wahrscheinlich zum ersten und letzten Male heute am Altare ver¬
nehmen, denn im täglichen Verkehr heißt sie künftig die untere Hirschbäuerin
und niemand fragt nach weiterem Vor- oder Zunamen. Der Sprung vom
Wagen hinab auf die Straße hat ihr keine Mühe gemacht. Ob sie sich da¬
bei plump oder zierlich ausnahm, darauf giebt keiner Acht und sie selbst
weiß davon am wenigsten. Sie ist fünfzehn Jahr lang Schwägerin auf der Dull¬
witzen gewesen und hat beim Futtersammeln ihre Geh- und Steigwerkzeuge
zu herkulischer Kraft ausgearbeitet. Es ist fast Verschwendung, daß sie nicht,
wie der Blascl am Eck meint, einen auf der Höh freit. Ihr Anzug ist der¬
jenige der Schwägerinnen, hellbuntcr Kattunrock bis auf die Fußcnkel,
braunes Jacketterl oder Spenzer mit Pauschenden Aermeln, rothseidenes Hals¬
tuch, schwarze, blanke Schürze, weiße Strümpfe und hohe schwarze Schnür¬
stiefel von starkem Kuhledcr. Sie mag einige dreißig Jahre alt sein, vielleicht
noch ein Weniges jünger. Der „untere Hirschbauer" führt, wie die Nachbarn


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[0186] Um elf Uhr Vormittags soll Messe abgehalten werden. Zehn Minuten vor der bestimmten Zeit rollen drei niedrige Steirer Wägelchen, jedes mit Hengst oder Wallach bespannt, aus dem Graben nach dem Markt herauf; draußen vor dem Freidhof (Friedhof), in dessen Mitte die Kirche liegt, halten sie still. Herab steigt ein Bauer von fünfundfunfzig bis sechzig Jahren, der „untere Hirschbaucr", das ist der eine Bräutigam. Als er den grünen Steierhut, mit grü¬ nem Band, Blumenstrauß und „Gamsbart", vom Kopfe zieht, zeigt sich kein graues Haar, doch haben seine Bewegungen schon etwas Unbeholfenes, und die vielen Runzeln um Auge und Mund weisen ein hübsches Jahrregister nach. Ein nagelneuer dunkelgrüner Rock mit hohen Achselfalten reicht ihm bis auf die Knie hinab. Die Weste ist roth; die tuchene Hose umgibt nach unten ein blanker, fußhoher Lederstoß. Der „untere Hirschbauer" ist Witwer. Mit seinem Hof steht es nicht schlecht. Von Weinen liebt er vorzugsweise den mittelfarbigen Schilcher, doch verschmäht er nach der vierten oder fünften Hal¬ ben auch den Schwarzen nicht, wenn eben kein Weißer zur Hand ist. Nicht immer gelingt es ihm, Abends den Heimweg über die Brücke beim Kehler zu finden; in solchen Fällen kehrt er ins Wirthshaus zurück und versucht am nächsten Abend, ohne den Tag über heimzukehren, ob sie denn wirklich bei Nacht nicht passirbar sei, auf welche Weise er oft halbe Wochen der Lösung dieses Problems' widmet. Ihm sitzt übrigens, trotz der Furchen und Run¬ zeln, der Schelm noch immer im Nacken, und man erzählt sich, daß er dem Pfarrer auf seine Reprimanden erwiedert habe, er möge und der Sittlichkeits¬ reform doch von oben und nicht von unten anfangen. Die Braut saß auf dem zweiten Wägelchen. Sie ist Magd beim „obern Hirschbaucr" gewesen d. h. bei demjenigen Huber, welcher eine Viertelstunde oberhalb ihres Bräutigams am Berge wohnt. Wie ihr Zukünftiger heißt wird sie wahrscheinlich zum ersten und letzten Male heute am Altare ver¬ nehmen, denn im täglichen Verkehr heißt sie künftig die untere Hirschbäuerin und niemand fragt nach weiterem Vor- oder Zunamen. Der Sprung vom Wagen hinab auf die Straße hat ihr keine Mühe gemacht. Ob sie sich da¬ bei plump oder zierlich ausnahm, darauf giebt keiner Acht und sie selbst weiß davon am wenigsten. Sie ist fünfzehn Jahr lang Schwägerin auf der Dull¬ witzen gewesen und hat beim Futtersammeln ihre Geh- und Steigwerkzeuge zu herkulischer Kraft ausgearbeitet. Es ist fast Verschwendung, daß sie nicht, wie der Blascl am Eck meint, einen auf der Höh freit. Ihr Anzug ist der¬ jenige der Schwägerinnen, hellbuntcr Kattunrock bis auf die Fußcnkel, braunes Jacketterl oder Spenzer mit Pauschenden Aermeln, rothseidenes Hals¬ tuch, schwarze, blanke Schürze, weiße Strümpfe und hohe schwarze Schnür¬ stiefel von starkem Kuhledcr. Sie mag einige dreißig Jahre alt sein, vielleicht noch ein Weniges jünger. Der „untere Hirschbauer" führt, wie die Nachbarn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/186>, abgerufen am 22.07.2024.