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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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nur der Fleiß von Brotstudenten, die rasch ins Amt gelangen wollen und
dann die Wissenschaft mit dem Rücken ansehen, und jene Gabe schneller Auf¬
fassung und geschickter Darstellung hat bis jetzt noch keinen originellen Dichter
oder Denker, noch kein erwähnenswerthes philologisches Werk, kein mehr als
mittelmäßiges Geschichtsbuch hervorgebracht. Indeß, wo die Kraft vorhanden ist.
Bedeutendes zu leisten, darf nicht verzweifelt werden, daß eine größere nationale
Entwicklung auch den Einzelnen zum Schaffen im größern Stil anregen wird.

Ob Griechenland einmal eine solche Entwicklung haben, ob es seine
Grenzen über Thessalien und Albanien und noch ferner hinaus erweitern wird,
hängt von unberechenbaren Umstünden, und zum Theil von der Politik ab,
die seine Regierung in Zukunft verfolgen wird. Wenn dieselbe Demonstratio¬
nen wie die von 1854, die bei der Kleinheit des Königreichs eben nur Demon¬
strationen sein können, künftig vermeidet, wenn sie durch ruhiges Verhalten
gegenüber dem türkischen Nachbar den Westmächten die Meinung benimmt,
daß sie nur ein Vorposten Rußlands ist, wenn sie statt mit Rebellionen im
Reiche des Sultans zu liebäugeln, alle ihre Kräfte anstrengt, um das eigne
Reich innerlich zu kräftigen, seine Bildung zu fördern, seine Hilfsquellen zu
erschließen, wenn sie nur dadurch für ihre Zwecke im Auslande wirkt, daß
sie den Hellenen in den türkischen Provinzen in Athen erzogene Lehrer sendet
und den auswärtigen Stammesbrüdern zeigt, daß es sich unter der weiß und
blauen Kreuzfahne in allen Stücken besser lebt, als unter dem Banner mit
Halbmond und Stern, so kann ihr bei der einstigen unausbleiblichen Regelung
der Dinge auf der illyrischen Halbinsel die gewünschte und für die Entwick¬
lung des griechischen Volksthums allerdings nothwendige Vergrößerung nur
in dem Falle entgehen, daß Nußland das übrige Europa besiegt. Einen sol¬
chen Sieg wünscht und hofft kein verständiger Grieche. Die Sympathien,
die Nußland hier hat. beschränken sich auf ein und das andere erkaufte Partei¬
haupt und aus diejenigen Kurzsichtigen, welche in dem nordischen Sklaven¬
kaiser nur den Beschützer des orthodoxen Glaubens erblicken. Eine antirussische
Politik muß nicht nothwendig eine türkenfreundiiche sein; sie würde aber, be¬
harrlich festgehalten, den Griechen England und Oestreich zu Freunden machen.
Fährt man hingegen fort in der bisherigen Weise von Rußland sein Heil zu
erwarten und bei Gelegenheit die großgriechische Idee gegen die Türken ins
Feld zu schicken, so wird sich dieser Großmannssucht gegenüber das Wort be¬
wahrheiten: Wer sich selbst erhöhet, soll erniedrigt werden, und es könnte sich
begeben, daß eine Diplomatenseder käme und die Existenz eines griechischen
Staates als die einer Mißschöpfung ausstriche.

Zum Schluß noch ein Wort über das, was vorhin bei der Erinnerung
an die Gestalt des Landes nicht sogleich auftauchen wollte. Freunde sagten,
vor der Abreise zur Mitfahrt eingeladen, nein, sie gingen, wenn es der Süden


nur der Fleiß von Brotstudenten, die rasch ins Amt gelangen wollen und
dann die Wissenschaft mit dem Rücken ansehen, und jene Gabe schneller Auf¬
fassung und geschickter Darstellung hat bis jetzt noch keinen originellen Dichter
oder Denker, noch kein erwähnenswerthes philologisches Werk, kein mehr als
mittelmäßiges Geschichtsbuch hervorgebracht. Indeß, wo die Kraft vorhanden ist.
Bedeutendes zu leisten, darf nicht verzweifelt werden, daß eine größere nationale
Entwicklung auch den Einzelnen zum Schaffen im größern Stil anregen wird.

Ob Griechenland einmal eine solche Entwicklung haben, ob es seine
Grenzen über Thessalien und Albanien und noch ferner hinaus erweitern wird,
hängt von unberechenbaren Umstünden, und zum Theil von der Politik ab,
die seine Regierung in Zukunft verfolgen wird. Wenn dieselbe Demonstratio¬
nen wie die von 1854, die bei der Kleinheit des Königreichs eben nur Demon¬
strationen sein können, künftig vermeidet, wenn sie durch ruhiges Verhalten
gegenüber dem türkischen Nachbar den Westmächten die Meinung benimmt,
daß sie nur ein Vorposten Rußlands ist, wenn sie statt mit Rebellionen im
Reiche des Sultans zu liebäugeln, alle ihre Kräfte anstrengt, um das eigne
Reich innerlich zu kräftigen, seine Bildung zu fördern, seine Hilfsquellen zu
erschließen, wenn sie nur dadurch für ihre Zwecke im Auslande wirkt, daß
sie den Hellenen in den türkischen Provinzen in Athen erzogene Lehrer sendet
und den auswärtigen Stammesbrüdern zeigt, daß es sich unter der weiß und
blauen Kreuzfahne in allen Stücken besser lebt, als unter dem Banner mit
Halbmond und Stern, so kann ihr bei der einstigen unausbleiblichen Regelung
der Dinge auf der illyrischen Halbinsel die gewünschte und für die Entwick¬
lung des griechischen Volksthums allerdings nothwendige Vergrößerung nur
in dem Falle entgehen, daß Nußland das übrige Europa besiegt. Einen sol¬
chen Sieg wünscht und hofft kein verständiger Grieche. Die Sympathien,
die Nußland hier hat. beschränken sich auf ein und das andere erkaufte Partei¬
haupt und aus diejenigen Kurzsichtigen, welche in dem nordischen Sklaven¬
kaiser nur den Beschützer des orthodoxen Glaubens erblicken. Eine antirussische
Politik muß nicht nothwendig eine türkenfreundiiche sein; sie würde aber, be¬
harrlich festgehalten, den Griechen England und Oestreich zu Freunden machen.
Fährt man hingegen fort in der bisherigen Weise von Rußland sein Heil zu
erwarten und bei Gelegenheit die großgriechische Idee gegen die Türken ins
Feld zu schicken, so wird sich dieser Großmannssucht gegenüber das Wort be¬
wahrheiten: Wer sich selbst erhöhet, soll erniedrigt werden, und es könnte sich
begeben, daß eine Diplomatenseder käme und die Existenz eines griechischen
Staates als die einer Mißschöpfung ausstriche.

Zum Schluß noch ein Wort über das, was vorhin bei der Erinnerung
an die Gestalt des Landes nicht sogleich auftauchen wollte. Freunde sagten,
vor der Abreise zur Mitfahrt eingeladen, nein, sie gingen, wenn es der Süden


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[0180] nur der Fleiß von Brotstudenten, die rasch ins Amt gelangen wollen und dann die Wissenschaft mit dem Rücken ansehen, und jene Gabe schneller Auf¬ fassung und geschickter Darstellung hat bis jetzt noch keinen originellen Dichter oder Denker, noch kein erwähnenswerthes philologisches Werk, kein mehr als mittelmäßiges Geschichtsbuch hervorgebracht. Indeß, wo die Kraft vorhanden ist. Bedeutendes zu leisten, darf nicht verzweifelt werden, daß eine größere nationale Entwicklung auch den Einzelnen zum Schaffen im größern Stil anregen wird. Ob Griechenland einmal eine solche Entwicklung haben, ob es seine Grenzen über Thessalien und Albanien und noch ferner hinaus erweitern wird, hängt von unberechenbaren Umstünden, und zum Theil von der Politik ab, die seine Regierung in Zukunft verfolgen wird. Wenn dieselbe Demonstratio¬ nen wie die von 1854, die bei der Kleinheit des Königreichs eben nur Demon¬ strationen sein können, künftig vermeidet, wenn sie durch ruhiges Verhalten gegenüber dem türkischen Nachbar den Westmächten die Meinung benimmt, daß sie nur ein Vorposten Rußlands ist, wenn sie statt mit Rebellionen im Reiche des Sultans zu liebäugeln, alle ihre Kräfte anstrengt, um das eigne Reich innerlich zu kräftigen, seine Bildung zu fördern, seine Hilfsquellen zu erschließen, wenn sie nur dadurch für ihre Zwecke im Auslande wirkt, daß sie den Hellenen in den türkischen Provinzen in Athen erzogene Lehrer sendet und den auswärtigen Stammesbrüdern zeigt, daß es sich unter der weiß und blauen Kreuzfahne in allen Stücken besser lebt, als unter dem Banner mit Halbmond und Stern, so kann ihr bei der einstigen unausbleiblichen Regelung der Dinge auf der illyrischen Halbinsel die gewünschte und für die Entwick¬ lung des griechischen Volksthums allerdings nothwendige Vergrößerung nur in dem Falle entgehen, daß Nußland das übrige Europa besiegt. Einen sol¬ chen Sieg wünscht und hofft kein verständiger Grieche. Die Sympathien, die Nußland hier hat. beschränken sich auf ein und das andere erkaufte Partei¬ haupt und aus diejenigen Kurzsichtigen, welche in dem nordischen Sklaven¬ kaiser nur den Beschützer des orthodoxen Glaubens erblicken. Eine antirussische Politik muß nicht nothwendig eine türkenfreundiiche sein; sie würde aber, be¬ harrlich festgehalten, den Griechen England und Oestreich zu Freunden machen. Fährt man hingegen fort in der bisherigen Weise von Rußland sein Heil zu erwarten und bei Gelegenheit die großgriechische Idee gegen die Türken ins Feld zu schicken, so wird sich dieser Großmannssucht gegenüber das Wort be¬ wahrheiten: Wer sich selbst erhöhet, soll erniedrigt werden, und es könnte sich begeben, daß eine Diplomatenseder käme und die Existenz eines griechischen Staates als die einer Mißschöpfung ausstriche. Zum Schluß noch ein Wort über das, was vorhin bei der Erinnerung an die Gestalt des Landes nicht sogleich auftauchen wollte. Freunde sagten, vor der Abreise zur Mitfahrt eingeladen, nein, sie gingen, wenn es der Süden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/180>, abgerufen am 22.07.2024.