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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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will aber auch keinen moralisch Höheren, keinen Klügeren über sich haben,
und legte der Geist der Zeit nicht dagegen sein Veto ein, so würde man es
Noch heute erleben, daß Staatsmänner nur deshalb verbannt würden, weil
sie das Verbrechen begangen, sich den Namen des Gerechten zu erwerben. Ein
guter Theil des Hasses, der die Deutschen durch die Revolution von hier ver¬
trieb, gehört in dieses Capitel, und in Privatgesprächcn wird man selten eine
hochstehende Persönlichkeit anders als mit Clauseln rühmen hören, die den
Gelobten auf das Niveau der Gewöhnlichkeit zurückstellen.

Die einzige Ausnahme scheint jetzt, aber auch nur jetzt, der König zu sein,
dem man in allen Kreisen alle und deshalb vielleicht mehr treffliche Eigen¬
schaften nachrühmt, als ihm bei aller Anerkennung seines Geschäftseifers und
seiner fast rührenden Liebe zu seinem Volke einst die Geschichte zugestehen
wird. Früher war das anders, und es gab eine starke Partei, die ihn sogar
vom Throne entfernt wünschte, weil er sich nicht mit der großgriechischen Idee
befreunden zu können schien. Das Jahr 1854 zeigte das Gegentheil. König
Otto erstrebte dasselbe, was ganz Hellas erstrebte, er wurde als Märtyrer sür
jene Idee angesehn. ja gewißermaßen als Jncarnation derselben, und so ver¬
ehrt man in ihm jetzt den weisen und edlen Regenten, in Wahrheit aber das
Spiegelbild seiner eignen politischen Grundrichtung.

Ich habe bis jetzt die Aehnlichkeit des modernen Griechen mit dem alten
in unschönen Zügen aufgezeigt. Auch die erfreulichen fordern ihr Recht ge¬
nannt zu werden, und in dieser Beziehung erkenne ich bereitwillig ihren Patrio¬
tismus, der freilich durch Glaubenshaß geschärft wird, und ihren Nationalstolz
an. so oft und so weit dieser auch die Grenzen der Berechtigung überschreiten,
Und so sehr er auch mit seinem auf die Vergangenheit gerichteten Zeigefinger
dem thörichten Dünkel herabgekommener Edelleute gleichen mag. Ferner ist
nicht in Abrede zu stellen, daß selbst die Classen der Bevölkerung, die nicht
zu den Gebildeten zählen, häufig Proben eines aufgeweckten, rasch den Weg
zum erstrebten Ziele findenden, beweglichen und anstelligen Geistes ablegen,
daß die Griechen überhaupt feinfühlend, wenn auch nicht im moralischen
Sinne sind, daß sie als Schüler und Studenten sich leicht über Schwierigkeiten
des Verständnisses hinweghelfen und das einmal Gefaßte in gewandter Dar¬
stellung zu verwerthen wissen. Sodann mag man zugeben, daß ein griechischer
Bauer in seiner äußern Erscheinung noch mancherlei von der altattischen Grazie
entwickelt, wenn dieselbe auch häufig in bloßes kokettirendes Fustcmellen-
schwenken ausartet. Endlich darf der ßleiß nicht unerwähnt bleiben, mit dem
ein halb Dutzend armer Studenten, die, um sich Bücher kaufen zu können,
nur Brot und Knoblauch essen, sich allabendlich um die gemeinschaftliche kleine
Lampe setzt und studirt, als ob es kein Morgen gäbe. Dieser Fleiß des
Demosthenes, der von keinem Hinderniß weiß, ist allerdings hier, näher besehen,


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will aber auch keinen moralisch Höheren, keinen Klügeren über sich haben,
und legte der Geist der Zeit nicht dagegen sein Veto ein, so würde man es
Noch heute erleben, daß Staatsmänner nur deshalb verbannt würden, weil
sie das Verbrechen begangen, sich den Namen des Gerechten zu erwerben. Ein
guter Theil des Hasses, der die Deutschen durch die Revolution von hier ver¬
trieb, gehört in dieses Capitel, und in Privatgesprächcn wird man selten eine
hochstehende Persönlichkeit anders als mit Clauseln rühmen hören, die den
Gelobten auf das Niveau der Gewöhnlichkeit zurückstellen.

Die einzige Ausnahme scheint jetzt, aber auch nur jetzt, der König zu sein,
dem man in allen Kreisen alle und deshalb vielleicht mehr treffliche Eigen¬
schaften nachrühmt, als ihm bei aller Anerkennung seines Geschäftseifers und
seiner fast rührenden Liebe zu seinem Volke einst die Geschichte zugestehen
wird. Früher war das anders, und es gab eine starke Partei, die ihn sogar
vom Throne entfernt wünschte, weil er sich nicht mit der großgriechischen Idee
befreunden zu können schien. Das Jahr 1854 zeigte das Gegentheil. König
Otto erstrebte dasselbe, was ganz Hellas erstrebte, er wurde als Märtyrer sür
jene Idee angesehn. ja gewißermaßen als Jncarnation derselben, und so ver¬
ehrt man in ihm jetzt den weisen und edlen Regenten, in Wahrheit aber das
Spiegelbild seiner eignen politischen Grundrichtung.

Ich habe bis jetzt die Aehnlichkeit des modernen Griechen mit dem alten
in unschönen Zügen aufgezeigt. Auch die erfreulichen fordern ihr Recht ge¬
nannt zu werden, und in dieser Beziehung erkenne ich bereitwillig ihren Patrio¬
tismus, der freilich durch Glaubenshaß geschärft wird, und ihren Nationalstolz
an. so oft und so weit dieser auch die Grenzen der Berechtigung überschreiten,
Und so sehr er auch mit seinem auf die Vergangenheit gerichteten Zeigefinger
dem thörichten Dünkel herabgekommener Edelleute gleichen mag. Ferner ist
nicht in Abrede zu stellen, daß selbst die Classen der Bevölkerung, die nicht
zu den Gebildeten zählen, häufig Proben eines aufgeweckten, rasch den Weg
zum erstrebten Ziele findenden, beweglichen und anstelligen Geistes ablegen,
daß die Griechen überhaupt feinfühlend, wenn auch nicht im moralischen
Sinne sind, daß sie als Schüler und Studenten sich leicht über Schwierigkeiten
des Verständnisses hinweghelfen und das einmal Gefaßte in gewandter Dar¬
stellung zu verwerthen wissen. Sodann mag man zugeben, daß ein griechischer
Bauer in seiner äußern Erscheinung noch mancherlei von der altattischen Grazie
entwickelt, wenn dieselbe auch häufig in bloßes kokettirendes Fustcmellen-
schwenken ausartet. Endlich darf der ßleiß nicht unerwähnt bleiben, mit dem
ein halb Dutzend armer Studenten, die, um sich Bücher kaufen zu können,
nur Brot und Knoblauch essen, sich allabendlich um die gemeinschaftliche kleine
Lampe setzt und studirt, als ob es kein Morgen gäbe. Dieser Fleiß des
Demosthenes, der von keinem Hinderniß weiß, ist allerdings hier, näher besehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/179>, abgerufen am 22.07.2024.