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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Inseln und in nicht wenigen Dörfern des'Peloponnes die Volkssprache das
Albanesische ist. ein Dialekt, von der Sprache des Thucydides ungefähr ebenso
verschieden wie von der Sprache Macaulays, kein vollständiger Beweis sein,
daß diese Gegenden nur von Albanesen d. h. Angehörigen eines illyrischen
Stammes bewohnt sind, der vielleicht aus Nachkommen der alten Pelasger
besteht, sicher aber nicht hellenisch ist, so warnt doch die Beobachtung, daß
fast nur aus diesen albanesisch redenden Griechen die Klephtenbanden des
Landes sich rekrutircn, daß die Albanesen Nordgriechenlands bei weitem die
meisten Kämpfer und die berühmtesten Führer des Unabhängigkeitskriegs stell¬
ten, und daß in gleicher Weise die Flotte, die in diesem Streite sich Ruhm
erwarb, mit Albanesen von den Inseln bemannt und fast allein von solchen
befehligt war, ziemlich nachdrücklich vor der Meinung, welche in den Gro߬
thaten jener Revolution Wirkungen des directen Erbtheils der Tapferkeit sieht,
die in den Schlachten bei Marathon und Salamis Asien besiegte.

Dagegen gibt es andere Eigenschaften, die entschieden auf das alte Grie-
chenvolk. wenigstens aus die alten Athener und die von ihrem Geiste durch¬
drungenen Kreise hinweisen. Dahin gehört das ruhmredige Wesen, dahin
die Eitelkeit, die außerordentliche Schwatzhaftigkeit, dahin die Gewinnsucht,
die jedem Beobachter der jetzigen Griechen auffallen müssen, dahin vor allem
der demokratische Sinn, der sich nach den verschiedensten Richtungen hin offen¬
bart. Es wurden in neuester Zeit von einigen Fanarioten, die von Konstan¬
tinopel übergesiedelt sind, Versuche angestellt, sich als Adelige geltend zu machen.
Die Herren hatten sich doppelte Visitenkarten stechen lassen, eine Art, auf der
sie als Graf oder Baron, die andere auf der sie als bloßer Kyrios So und
So figurirten. Nur die letztere Sorte hatte in Athen Cours, die andere mochte
für London. Paris und Petersburg gut sein, in Griechenland wurde sie als
falsche Münze mit Protest zurückgewiesen. Da dieser Adel eignes Fabrikat
war und da ihn keine adelige Denkart begleitete, so wäre dagegen nichts ein¬
zuwenden, wenn das Motiv des Protests Entrüstung über die Anmaßung ge¬
wesen wäre. Allein der Grund liegt tiefer. Es ist den jetzigen Griechen wie
ihren Vätern zu Aristides Zeit fast unmöglich, einen Bessern neben sich zu
sehen. Seiten läßt sich einer von ihnen herab, Bedienter zu werden. Die
Lastträger in Athen sind der großen Mehrzahl nach Malteser. Minister reden
die Huissiers ihrer Bureaux mit "at^os, Bruder an. Unser Reiseführer, der
zugleich unser Koch war, setzte sich auf dem Dampfschiff ohne Weiteres neben
den Exminister Rigas Palamedes und unterhielt sich wol eine halbe Stunde
lang mit ihm ganz wie mit seines Gleichen. Warum auch nicht? Hatte ihn
doch die atheniensische Polizei, als er vor der Tour nach dem Peloponnes
einen griechischen Paß "für seine Effendis" d. h. für seine Herren verlangt,
barsch genug belehrt, daß es im freien Hellas keine Effendis mehr gäbe. Man


Inseln und in nicht wenigen Dörfern des'Peloponnes die Volkssprache das
Albanesische ist. ein Dialekt, von der Sprache des Thucydides ungefähr ebenso
verschieden wie von der Sprache Macaulays, kein vollständiger Beweis sein,
daß diese Gegenden nur von Albanesen d. h. Angehörigen eines illyrischen
Stammes bewohnt sind, der vielleicht aus Nachkommen der alten Pelasger
besteht, sicher aber nicht hellenisch ist, so warnt doch die Beobachtung, daß
fast nur aus diesen albanesisch redenden Griechen die Klephtenbanden des
Landes sich rekrutircn, daß die Albanesen Nordgriechenlands bei weitem die
meisten Kämpfer und die berühmtesten Führer des Unabhängigkeitskriegs stell¬
ten, und daß in gleicher Weise die Flotte, die in diesem Streite sich Ruhm
erwarb, mit Albanesen von den Inseln bemannt und fast allein von solchen
befehligt war, ziemlich nachdrücklich vor der Meinung, welche in den Gro߬
thaten jener Revolution Wirkungen des directen Erbtheils der Tapferkeit sieht,
die in den Schlachten bei Marathon und Salamis Asien besiegte.

Dagegen gibt es andere Eigenschaften, die entschieden auf das alte Grie-
chenvolk. wenigstens aus die alten Athener und die von ihrem Geiste durch¬
drungenen Kreise hinweisen. Dahin gehört das ruhmredige Wesen, dahin
die Eitelkeit, die außerordentliche Schwatzhaftigkeit, dahin die Gewinnsucht,
die jedem Beobachter der jetzigen Griechen auffallen müssen, dahin vor allem
der demokratische Sinn, der sich nach den verschiedensten Richtungen hin offen¬
bart. Es wurden in neuester Zeit von einigen Fanarioten, die von Konstan¬
tinopel übergesiedelt sind, Versuche angestellt, sich als Adelige geltend zu machen.
Die Herren hatten sich doppelte Visitenkarten stechen lassen, eine Art, auf der
sie als Graf oder Baron, die andere auf der sie als bloßer Kyrios So und
So figurirten. Nur die letztere Sorte hatte in Athen Cours, die andere mochte
für London. Paris und Petersburg gut sein, in Griechenland wurde sie als
falsche Münze mit Protest zurückgewiesen. Da dieser Adel eignes Fabrikat
war und da ihn keine adelige Denkart begleitete, so wäre dagegen nichts ein¬
zuwenden, wenn das Motiv des Protests Entrüstung über die Anmaßung ge¬
wesen wäre. Allein der Grund liegt tiefer. Es ist den jetzigen Griechen wie
ihren Vätern zu Aristides Zeit fast unmöglich, einen Bessern neben sich zu
sehen. Seiten läßt sich einer von ihnen herab, Bedienter zu werden. Die
Lastträger in Athen sind der großen Mehrzahl nach Malteser. Minister reden
die Huissiers ihrer Bureaux mit «at^os, Bruder an. Unser Reiseführer, der
zugleich unser Koch war, setzte sich auf dem Dampfschiff ohne Weiteres neben
den Exminister Rigas Palamedes und unterhielt sich wol eine halbe Stunde
lang mit ihm ganz wie mit seines Gleichen. Warum auch nicht? Hatte ihn
doch die atheniensische Polizei, als er vor der Tour nach dem Peloponnes
einen griechischen Paß „für seine Effendis" d. h. für seine Herren verlangt,
barsch genug belehrt, daß es im freien Hellas keine Effendis mehr gäbe. Man


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[0178] Inseln und in nicht wenigen Dörfern des'Peloponnes die Volkssprache das Albanesische ist. ein Dialekt, von der Sprache des Thucydides ungefähr ebenso verschieden wie von der Sprache Macaulays, kein vollständiger Beweis sein, daß diese Gegenden nur von Albanesen d. h. Angehörigen eines illyrischen Stammes bewohnt sind, der vielleicht aus Nachkommen der alten Pelasger besteht, sicher aber nicht hellenisch ist, so warnt doch die Beobachtung, daß fast nur aus diesen albanesisch redenden Griechen die Klephtenbanden des Landes sich rekrutircn, daß die Albanesen Nordgriechenlands bei weitem die meisten Kämpfer und die berühmtesten Führer des Unabhängigkeitskriegs stell¬ ten, und daß in gleicher Weise die Flotte, die in diesem Streite sich Ruhm erwarb, mit Albanesen von den Inseln bemannt und fast allein von solchen befehligt war, ziemlich nachdrücklich vor der Meinung, welche in den Gro߬ thaten jener Revolution Wirkungen des directen Erbtheils der Tapferkeit sieht, die in den Schlachten bei Marathon und Salamis Asien besiegte. Dagegen gibt es andere Eigenschaften, die entschieden auf das alte Grie- chenvolk. wenigstens aus die alten Athener und die von ihrem Geiste durch¬ drungenen Kreise hinweisen. Dahin gehört das ruhmredige Wesen, dahin die Eitelkeit, die außerordentliche Schwatzhaftigkeit, dahin die Gewinnsucht, die jedem Beobachter der jetzigen Griechen auffallen müssen, dahin vor allem der demokratische Sinn, der sich nach den verschiedensten Richtungen hin offen¬ bart. Es wurden in neuester Zeit von einigen Fanarioten, die von Konstan¬ tinopel übergesiedelt sind, Versuche angestellt, sich als Adelige geltend zu machen. Die Herren hatten sich doppelte Visitenkarten stechen lassen, eine Art, auf der sie als Graf oder Baron, die andere auf der sie als bloßer Kyrios So und So figurirten. Nur die letztere Sorte hatte in Athen Cours, die andere mochte für London. Paris und Petersburg gut sein, in Griechenland wurde sie als falsche Münze mit Protest zurückgewiesen. Da dieser Adel eignes Fabrikat war und da ihn keine adelige Denkart begleitete, so wäre dagegen nichts ein¬ zuwenden, wenn das Motiv des Protests Entrüstung über die Anmaßung ge¬ wesen wäre. Allein der Grund liegt tiefer. Es ist den jetzigen Griechen wie ihren Vätern zu Aristides Zeit fast unmöglich, einen Bessern neben sich zu sehen. Seiten läßt sich einer von ihnen herab, Bedienter zu werden. Die Lastträger in Athen sind der großen Mehrzahl nach Malteser. Minister reden die Huissiers ihrer Bureaux mit «at^os, Bruder an. Unser Reiseführer, der zugleich unser Koch war, setzte sich auf dem Dampfschiff ohne Weiteres neben den Exminister Rigas Palamedes und unterhielt sich wol eine halbe Stunde lang mit ihm ganz wie mit seines Gleichen. Warum auch nicht? Hatte ihn doch die atheniensische Polizei, als er vor der Tour nach dem Peloponnes einen griechischen Paß „für seine Effendis" d. h. für seine Herren verlangt, barsch genug belehrt, daß es im freien Hellas keine Effendis mehr gäbe. Man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/178>, abgerufen am 22.07.2024.