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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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gedehnten näselnd vorgetragenen Lieder anstimme, in deren Geplärr gelehrte
Ohren den Nachhall alter Chorgesänge oder gar homerischer Rhapsoden¬
tradition hörten, während sie mir weit mehr als Wirkung des Umstandes er¬
scheinen, daß die heutigen Hellenen viel mit Schafen und Ziegen umgehen.

Dazwischen hinein schallt das Gebell jener Nudel von Hirtenhunden, die,
grimmiger als die Wölfe, gegen die sie gehalten werden, den arglosen Rei¬
senden zähnefletschend mit dem Schicksal Aktäons bedrohten, dazwischen hinein
das Murren und Schelten ungastlicher Bauern, die, nachdem ihnen der bloße
Mitgebrauch ihres Herdfeuers und sechs Quadratfuß Estrich zu einem Nacht¬
lager unter Dach und Fach mit einer Summe bezahlt worden, die uns in
einem deutschen Gasthause mittler Classe ein gutes Abendessen und ein beque¬
mes Bett verschafft hätte, von den "Mylordos" noch einmal so viel bean¬
spruchen zu dürfen meinten. Ein langer Todtentanz folgt von Figuren, die
eher in die schwarzen Berge der Tschernagora, unter die Uskoken oder Bos-
niaken als in das Land zu gehören scheinen, das Plato und Sophokles, die
melische Venus und den olympischen Jupiter gebar: Räuberphysiognomien an
jeder Ecke, ungeheure Habichtsnasen mit riesigen Borstenschnurrbärten darunter,
schlottrige Schifferhosen, in denen sich die Beine wie in Säcken bewegen,
schmuzige Fustanellen, zerlumpte Kinder, würdelose Dorfpfaffen und Mönche
-- eine Reihe von Gestalten, denen sich Geschichten von Ministern, die mit
Räuberbanden wie mit Schachfiguren spielen, von bestochenen Volksvertretern,
von angeblich rein aus Trägheit oder Unverstand mißglückter Verbesserungsver¬
suchen, zahlreiche Beispiele sittlicher Verkommenheit und Mangels an echter ari¬
stokratischer Denkart anschließen, und von deren Gesammtheit man sich mit
der Empfindung abwendet, ein Volksleben vor sich zu haben, welches lediglich
eine Mischung von Türkenthum, Einflüssen der orthodoxen Kirche und diesen
beiden Elementen widernatürlich aufgepfropften Errungenschaften westländischer
Cultur zu sein scheint.

Es ist kein schönes Bild, welches sich aus diesen Erinnerungen zusammen¬
setzt. Es würde aber auch kein wahres sein, wenn das Gedächtniß nicht noch
andere Beobachtungen wiedergeben wollte. Es ist eben nur die Schattenseite,
die dadurch, daß sie sich zuerst zeigte, allerdings beweisen mag, daß das Ori¬
ginal des Bildes mehr Schatten als Licht hat, bei deren Beurtheilung aber
immer noch im Auge zu behalten ist, daß wir ihre Gestalt in den benach¬
barten türkischen Strichen ganz natürlich finden würden, während sie hier
durch den unvermeidlichen Vergleich mit dem. was Hellas einst war, dunkler
und widerwärtiger erscheint, als sie uns erscheinen sollte.

Wir verlangen, dieses Gegenbild in der Hand, zu viel von dem Lande.
Wir vergessen die Zwischenzeit, in welcher die wildesten Ströme der Völker¬
wanderung über diese Gefilde, durch diese Thäler brausten, und in welcher


gedehnten näselnd vorgetragenen Lieder anstimme, in deren Geplärr gelehrte
Ohren den Nachhall alter Chorgesänge oder gar homerischer Rhapsoden¬
tradition hörten, während sie mir weit mehr als Wirkung des Umstandes er¬
scheinen, daß die heutigen Hellenen viel mit Schafen und Ziegen umgehen.

Dazwischen hinein schallt das Gebell jener Nudel von Hirtenhunden, die,
grimmiger als die Wölfe, gegen die sie gehalten werden, den arglosen Rei¬
senden zähnefletschend mit dem Schicksal Aktäons bedrohten, dazwischen hinein
das Murren und Schelten ungastlicher Bauern, die, nachdem ihnen der bloße
Mitgebrauch ihres Herdfeuers und sechs Quadratfuß Estrich zu einem Nacht¬
lager unter Dach und Fach mit einer Summe bezahlt worden, die uns in
einem deutschen Gasthause mittler Classe ein gutes Abendessen und ein beque¬
mes Bett verschafft hätte, von den „Mylordos" noch einmal so viel bean¬
spruchen zu dürfen meinten. Ein langer Todtentanz folgt von Figuren, die
eher in die schwarzen Berge der Tschernagora, unter die Uskoken oder Bos-
niaken als in das Land zu gehören scheinen, das Plato und Sophokles, die
melische Venus und den olympischen Jupiter gebar: Räuberphysiognomien an
jeder Ecke, ungeheure Habichtsnasen mit riesigen Borstenschnurrbärten darunter,
schlottrige Schifferhosen, in denen sich die Beine wie in Säcken bewegen,
schmuzige Fustanellen, zerlumpte Kinder, würdelose Dorfpfaffen und Mönche
— eine Reihe von Gestalten, denen sich Geschichten von Ministern, die mit
Räuberbanden wie mit Schachfiguren spielen, von bestochenen Volksvertretern,
von angeblich rein aus Trägheit oder Unverstand mißglückter Verbesserungsver¬
suchen, zahlreiche Beispiele sittlicher Verkommenheit und Mangels an echter ari¬
stokratischer Denkart anschließen, und von deren Gesammtheit man sich mit
der Empfindung abwendet, ein Volksleben vor sich zu haben, welches lediglich
eine Mischung von Türkenthum, Einflüssen der orthodoxen Kirche und diesen
beiden Elementen widernatürlich aufgepfropften Errungenschaften westländischer
Cultur zu sein scheint.

Es ist kein schönes Bild, welches sich aus diesen Erinnerungen zusammen¬
setzt. Es würde aber auch kein wahres sein, wenn das Gedächtniß nicht noch
andere Beobachtungen wiedergeben wollte. Es ist eben nur die Schattenseite,
die dadurch, daß sie sich zuerst zeigte, allerdings beweisen mag, daß das Ori¬
ginal des Bildes mehr Schatten als Licht hat, bei deren Beurtheilung aber
immer noch im Auge zu behalten ist, daß wir ihre Gestalt in den benach¬
barten türkischen Strichen ganz natürlich finden würden, während sie hier
durch den unvermeidlichen Vergleich mit dem. was Hellas einst war, dunkler
und widerwärtiger erscheint, als sie uns erscheinen sollte.

Wir verlangen, dieses Gegenbild in der Hand, zu viel von dem Lande.
Wir vergessen die Zwischenzeit, in welcher die wildesten Ströme der Völker¬
wanderung über diese Gefilde, durch diese Thäler brausten, und in welcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/174>, abgerufen am 01.07.2024.