Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Festland. Tieftingeschnittene Schluchten und Pässe, überragt von Fels¬
wänden, über denen höher gethürmte zackige Kuppen emporstarren, von Wild¬
bächen zerrissene Thalsohlen, ausgetrocknete Flußbetten, Wege steil hinan und
steiler hinab über verwittertes Gestein, über schräg liegende, schlüpfrige Plat¬
ten, über verfallne Brücken, durch regengeschwellte reißende Gewässer, Kletter¬
ritte auf Ziegenpfaden, ans denen der Reiter, wenn sein Pferd nicht sicher
wäre, aller zehn Schritte Arm und Bein, aller hundert den Hals zu brechen
Gefahr laufen würde, Ohrfeigen von weggebogenen und tückisch zurückschnellen¬
den Stacheleichenästen und Brombeerranken, sind die nächsten Erinnerungen,
welche folgen. Bisweilen öffnet sich ein breites, wohlbepflanztes Thal, bis¬
weilen eine vom Meere halb mit fettem Erdreich zugeschwcmmte Bucht, dann
lenkt der Führer aufs neue nach baumlosen Gebirgskämmen und wüsten dü¬
stern Schluchten ab. Fürwahr, ein Ritt durch die Berge des Mondes kann
nur wenig trostloser sein!

Was weiter aus dem Hintergrunde des Gedächtnisses tritt, ist zunächst
nicht darnach angethan, diese Eindrücke zu verwischen: Auf den Ebenen am
Meere schwüle Hitze und der Dunst fieberschwangerer Sumpfluft, auf den
Hochflächen eiskalte Morgenwinde, in den schornsteinlosen Bauernhäusern, in
denen wir Nachtherberge nahmen, Abendmahlzeiten wie im Rauchfang geges¬
sen, und des Morgens beim Erwachen die Ueberraschung eines Betthimmels
von Dachsparren, der mit Glanzruß überzogen und mit langzottigen Troddeln
von Flockenruß verziert ist, in den Schenken Wein, dem eine ruchlose Ge¬
wohnheit den Geschmack von Kienöl gegeben, bei Frühstück, Mittagsbrod und
Abendessen unaufhörlicher Schöpsenbraten, zähe Hühner und Gänse, in den
Brunnen halblaues Wasser, in den Betten die Pein zahlloser Flöhe und die
Angst vor schlimmeren Gethier mit ähnlichem Lebensberuf.

Es gesellen sich neue Bilder, neue Beobachtungen hinzu, und auch sie
sind nichts weniger als wohlthuend. Ich denke an die Menschen, und die Er¬
innerungen, die mir von ihnen zuerst aufsteigen, sind die an ihre vergleichs¬
weise Armuth und Nachlässigkeit. Ich sehe in waldarmer Gegend Bäume rein
zum Vergnügen niedergebrannt, Pflüge von der rohesten Gestalt, halb auf¬
gebaute und schon wieder halbeingestürzte Häuser, Wohnungen vornehmer
Leute mit Säulen. Balkonen und hohen Hallen, deren Fensterscheiben mit
Papierstreifen geflickt sind. Ich rieche widerliche Bazargerüche, zusammen¬
geflossen aus den Düften von Orangen und Knoblauch. Nakifusel, gesalzncn
Fischen, Oeldampf und faulendem Kehricht. Ich höre ohrenzerquälende Mu¬
sik von Trommeln und Schalmeien, und dazwischen schallt das endlose Gekeif
des Reiseführers mit dem Pferdeknecht und des Pferdeknechts mit dem Maul¬
thiertreiber, das nur unterbrochen wird, wenn der erste uns Fabeln aufzu¬
binden kommt, oder einer der beiden andern eines jener monotonen, lang-


das Festland. Tieftingeschnittene Schluchten und Pässe, überragt von Fels¬
wänden, über denen höher gethürmte zackige Kuppen emporstarren, von Wild¬
bächen zerrissene Thalsohlen, ausgetrocknete Flußbetten, Wege steil hinan und
steiler hinab über verwittertes Gestein, über schräg liegende, schlüpfrige Plat¬
ten, über verfallne Brücken, durch regengeschwellte reißende Gewässer, Kletter¬
ritte auf Ziegenpfaden, ans denen der Reiter, wenn sein Pferd nicht sicher
wäre, aller zehn Schritte Arm und Bein, aller hundert den Hals zu brechen
Gefahr laufen würde, Ohrfeigen von weggebogenen und tückisch zurückschnellen¬
den Stacheleichenästen und Brombeerranken, sind die nächsten Erinnerungen,
welche folgen. Bisweilen öffnet sich ein breites, wohlbepflanztes Thal, bis¬
weilen eine vom Meere halb mit fettem Erdreich zugeschwcmmte Bucht, dann
lenkt der Führer aufs neue nach baumlosen Gebirgskämmen und wüsten dü¬
stern Schluchten ab. Fürwahr, ein Ritt durch die Berge des Mondes kann
nur wenig trostloser sein!

Was weiter aus dem Hintergrunde des Gedächtnisses tritt, ist zunächst
nicht darnach angethan, diese Eindrücke zu verwischen: Auf den Ebenen am
Meere schwüle Hitze und der Dunst fieberschwangerer Sumpfluft, auf den
Hochflächen eiskalte Morgenwinde, in den schornsteinlosen Bauernhäusern, in
denen wir Nachtherberge nahmen, Abendmahlzeiten wie im Rauchfang geges¬
sen, und des Morgens beim Erwachen die Ueberraschung eines Betthimmels
von Dachsparren, der mit Glanzruß überzogen und mit langzottigen Troddeln
von Flockenruß verziert ist, in den Schenken Wein, dem eine ruchlose Ge¬
wohnheit den Geschmack von Kienöl gegeben, bei Frühstück, Mittagsbrod und
Abendessen unaufhörlicher Schöpsenbraten, zähe Hühner und Gänse, in den
Brunnen halblaues Wasser, in den Betten die Pein zahlloser Flöhe und die
Angst vor schlimmeren Gethier mit ähnlichem Lebensberuf.

Es gesellen sich neue Bilder, neue Beobachtungen hinzu, und auch sie
sind nichts weniger als wohlthuend. Ich denke an die Menschen, und die Er¬
innerungen, die mir von ihnen zuerst aufsteigen, sind die an ihre vergleichs¬
weise Armuth und Nachlässigkeit. Ich sehe in waldarmer Gegend Bäume rein
zum Vergnügen niedergebrannt, Pflüge von der rohesten Gestalt, halb auf¬
gebaute und schon wieder halbeingestürzte Häuser, Wohnungen vornehmer
Leute mit Säulen. Balkonen und hohen Hallen, deren Fensterscheiben mit
Papierstreifen geflickt sind. Ich rieche widerliche Bazargerüche, zusammen¬
geflossen aus den Düften von Orangen und Knoblauch. Nakifusel, gesalzncn
Fischen, Oeldampf und faulendem Kehricht. Ich höre ohrenzerquälende Mu¬
sik von Trommeln und Schalmeien, und dazwischen schallt das endlose Gekeif
des Reiseführers mit dem Pferdeknecht und des Pferdeknechts mit dem Maul¬
thiertreiber, das nur unterbrochen wird, wenn der erste uns Fabeln aufzu¬
binden kommt, oder einer der beiden andern eines jener monotonen, lang-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105984"/>
            <p xml:id="ID_449" prev="#ID_448"> das Festland. Tieftingeschnittene Schluchten und Pässe, überragt von Fels¬<lb/>
wänden, über denen höher gethürmte zackige Kuppen emporstarren, von Wild¬<lb/>
bächen zerrissene Thalsohlen, ausgetrocknete Flußbetten, Wege steil hinan und<lb/>
steiler hinab über verwittertes Gestein, über schräg liegende, schlüpfrige Plat¬<lb/>
ten, über verfallne Brücken, durch regengeschwellte reißende Gewässer, Kletter¬<lb/>
ritte auf Ziegenpfaden, ans denen der Reiter, wenn sein Pferd nicht sicher<lb/>
wäre, aller zehn Schritte Arm und Bein, aller hundert den Hals zu brechen<lb/>
Gefahr laufen würde, Ohrfeigen von weggebogenen und tückisch zurückschnellen¬<lb/>
den Stacheleichenästen und Brombeerranken, sind die nächsten Erinnerungen,<lb/>
welche folgen. Bisweilen öffnet sich ein breites, wohlbepflanztes Thal, bis¬<lb/>
weilen eine vom Meere halb mit fettem Erdreich zugeschwcmmte Bucht, dann<lb/>
lenkt der Führer aufs neue nach baumlosen Gebirgskämmen und wüsten dü¬<lb/>
stern Schluchten ab. Fürwahr, ein Ritt durch die Berge des Mondes kann<lb/>
nur wenig trostloser sein!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_450"> Was weiter aus dem Hintergrunde des Gedächtnisses tritt, ist zunächst<lb/>
nicht darnach angethan, diese Eindrücke zu verwischen: Auf den Ebenen am<lb/>
Meere schwüle Hitze und der Dunst fieberschwangerer Sumpfluft, auf den<lb/>
Hochflächen eiskalte Morgenwinde, in den schornsteinlosen Bauernhäusern, in<lb/>
denen wir Nachtherberge nahmen, Abendmahlzeiten wie im Rauchfang geges¬<lb/>
sen, und des Morgens beim Erwachen die Ueberraschung eines Betthimmels<lb/>
von Dachsparren, der mit Glanzruß überzogen und mit langzottigen Troddeln<lb/>
von Flockenruß verziert ist, in den Schenken Wein, dem eine ruchlose Ge¬<lb/>
wohnheit den Geschmack von Kienöl gegeben, bei Frühstück, Mittagsbrod und<lb/>
Abendessen unaufhörlicher Schöpsenbraten, zähe Hühner und Gänse, in den<lb/>
Brunnen halblaues Wasser, in den Betten die Pein zahlloser Flöhe und die<lb/>
Angst vor schlimmeren Gethier mit ähnlichem Lebensberuf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_451" next="#ID_452"> Es gesellen sich neue Bilder, neue Beobachtungen hinzu, und auch sie<lb/>
sind nichts weniger als wohlthuend. Ich denke an die Menschen, und die Er¬<lb/>
innerungen, die mir von ihnen zuerst aufsteigen, sind die an ihre vergleichs¬<lb/>
weise Armuth und Nachlässigkeit. Ich sehe in waldarmer Gegend Bäume rein<lb/>
zum Vergnügen niedergebrannt, Pflüge von der rohesten Gestalt, halb auf¬<lb/>
gebaute und schon wieder halbeingestürzte Häuser, Wohnungen vornehmer<lb/>
Leute mit Säulen. Balkonen und hohen Hallen, deren Fensterscheiben mit<lb/>
Papierstreifen geflickt sind. Ich rieche widerliche Bazargerüche, zusammen¬<lb/>
geflossen aus den Düften von Orangen und Knoblauch. Nakifusel, gesalzncn<lb/>
Fischen, Oeldampf und faulendem Kehricht. Ich höre ohrenzerquälende Mu¬<lb/>
sik von Trommeln und Schalmeien, und dazwischen schallt das endlose Gekeif<lb/>
des Reiseführers mit dem Pferdeknecht und des Pferdeknechts mit dem Maul¬<lb/>
thiertreiber, das nur unterbrochen wird, wenn der erste uns Fabeln aufzu¬<lb/>
binden kommt, oder einer der beiden andern eines jener monotonen, lang-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0173] das Festland. Tieftingeschnittene Schluchten und Pässe, überragt von Fels¬ wänden, über denen höher gethürmte zackige Kuppen emporstarren, von Wild¬ bächen zerrissene Thalsohlen, ausgetrocknete Flußbetten, Wege steil hinan und steiler hinab über verwittertes Gestein, über schräg liegende, schlüpfrige Plat¬ ten, über verfallne Brücken, durch regengeschwellte reißende Gewässer, Kletter¬ ritte auf Ziegenpfaden, ans denen der Reiter, wenn sein Pferd nicht sicher wäre, aller zehn Schritte Arm und Bein, aller hundert den Hals zu brechen Gefahr laufen würde, Ohrfeigen von weggebogenen und tückisch zurückschnellen¬ den Stacheleichenästen und Brombeerranken, sind die nächsten Erinnerungen, welche folgen. Bisweilen öffnet sich ein breites, wohlbepflanztes Thal, bis¬ weilen eine vom Meere halb mit fettem Erdreich zugeschwcmmte Bucht, dann lenkt der Führer aufs neue nach baumlosen Gebirgskämmen und wüsten dü¬ stern Schluchten ab. Fürwahr, ein Ritt durch die Berge des Mondes kann nur wenig trostloser sein! Was weiter aus dem Hintergrunde des Gedächtnisses tritt, ist zunächst nicht darnach angethan, diese Eindrücke zu verwischen: Auf den Ebenen am Meere schwüle Hitze und der Dunst fieberschwangerer Sumpfluft, auf den Hochflächen eiskalte Morgenwinde, in den schornsteinlosen Bauernhäusern, in denen wir Nachtherberge nahmen, Abendmahlzeiten wie im Rauchfang geges¬ sen, und des Morgens beim Erwachen die Ueberraschung eines Betthimmels von Dachsparren, der mit Glanzruß überzogen und mit langzottigen Troddeln von Flockenruß verziert ist, in den Schenken Wein, dem eine ruchlose Ge¬ wohnheit den Geschmack von Kienöl gegeben, bei Frühstück, Mittagsbrod und Abendessen unaufhörlicher Schöpsenbraten, zähe Hühner und Gänse, in den Brunnen halblaues Wasser, in den Betten die Pein zahlloser Flöhe und die Angst vor schlimmeren Gethier mit ähnlichem Lebensberuf. Es gesellen sich neue Bilder, neue Beobachtungen hinzu, und auch sie sind nichts weniger als wohlthuend. Ich denke an die Menschen, und die Er¬ innerungen, die mir von ihnen zuerst aufsteigen, sind die an ihre vergleichs¬ weise Armuth und Nachlässigkeit. Ich sehe in waldarmer Gegend Bäume rein zum Vergnügen niedergebrannt, Pflüge von der rohesten Gestalt, halb auf¬ gebaute und schon wieder halbeingestürzte Häuser, Wohnungen vornehmer Leute mit Säulen. Balkonen und hohen Hallen, deren Fensterscheiben mit Papierstreifen geflickt sind. Ich rieche widerliche Bazargerüche, zusammen¬ geflossen aus den Düften von Orangen und Knoblauch. Nakifusel, gesalzncn Fischen, Oeldampf und faulendem Kehricht. Ich höre ohrenzerquälende Mu¬ sik von Trommeln und Schalmeien, und dazwischen schallt das endlose Gekeif des Reiseführers mit dem Pferdeknecht und des Pferdeknechts mit dem Maul¬ thiertreiber, das nur unterbrochen wird, wenn der erste uns Fabeln aufzu¬ binden kommt, oder einer der beiden andern eines jener monotonen, lang-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/173
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/173>, abgerufen am 29.06.2024.