Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm zu theilen. Voller Entsetzen vor so unheiliger Berührung floh der heilige
Mann in die Felsenwiidniß des titanischen Gebirges. Hier entdeckte er un¬
weit des jetzigen Borgo, am Fuße der steilen Felsenwand den von Bäumen
und Sträuchern dicht verwachsenen Eingang einer Höhle, in deren Innerem
ein Quell lauteren Wassers entsprang. Fastend, betend und singend, nur in
Gesellschaft der wilden Thiere des Waldes, verlebte Marinus hier langer als
ein Jahr. Da entdeckten vor dem Unwetter flüchtende Hirten den frommen
Klausner und verriethen seinen Zufluchtsort jenem Weibe, die sich seine Gat¬
tin nannte. Schnell eilte sie den Berg hinan und da er vor ihren Bitten in
der Höhle innerste Räume floh und sich hinter Schloß und Riegel barg, harrte
sie weinend und flehend sechs Tage lang vor der Thür und kehrte dann ohne
Hoffnung nach Rimini nur zurück, um von des heiligen Mannes Standhaf-
tigkeit Zeugniß zu geben und dann zu sterben.

Marinus aber verließ die Höhle, deren Geheimniß nun verrathen war
und siedelte sich auf den obersten Bergeszacken an, wo er dem heiligen Petrus
ein Kirchlein bauete und eine Mauer ausführte, die vor weltlicher Berührung
ihn schützen sollte. Zu solchem Gebahren fehlte es dem frommen Einsiedler
eigentlich an Recht, denn der Berg gehörte einer vornehmen Witwe Felicissima.
So eilte denn deren Sohn nach jener Höhe, um die Fortführung des Werkes
zu untersagen. Als aber Marinus den Zürnenden herankommen sah, betete er
um Abwendung der Gefahr, und, wie angewurzelt, blieb der junge Mann regungs¬
los an derselben Stelle, selbst der Sprache beraubt. Wehklagend kam die
Mutter herbei und auf ihre Bitten löste Marinus alsbald den Zauber. Feli¬
cissima aber und ihr ganzes Haus bekehrten sich und dem heiligen Manne wurde
der Berg mit allem Zubehör zu vollstem Rechte auf ewige Zeiten geschenkt.

Von den weiteren Schicksalen der Ansiedelung, die Marinus auf der
Höhe des titanischen Berges gegründet, vernehmen wir Jahrhunderte lang
nichts mehr. Sicher scheint nur so viel, daß die Nachfolger seinen Weiberhaß
nicht in gleichem Maße getheilt haben können; denn die Einsiedelei verwandelt
sich allmälig in eine wohlbevölkerte Ortschaft. Eine Urkunde vom Jahre 885
redet noch von dem Kloster San Marino und dessen Abt Stephanus, der vor
dem Bischof und dem Herzog von Monte Feltro mit dem Bischof von Rimini
über einige Grundstücke streitet. Im Jahre 951. also zur Zeit des ersten
Zuges Kaiser Ottos nach Italien, datirt der zweite Berengar schon eine Ur¬
kunde aus der "Gemeinde" (Mds) San Marino, wohin er sich vermuthlich
vor des Kaisers siegreichen Waffen geflüchtet hatte, wie er eilf Jahre später
seine Laufbahn in der benachbarten Bergfeste San Leo beenden sollte. Wieder
schweigen die Quellen der Geschichte durch mehre Jahrhunderte, und im Jahre
1244 finden wir die Burg (^rx) und den Gerichtshof (Luria oder vurtis) von
San Marino genannt.


19*

ihm zu theilen. Voller Entsetzen vor so unheiliger Berührung floh der heilige
Mann in die Felsenwiidniß des titanischen Gebirges. Hier entdeckte er un¬
weit des jetzigen Borgo, am Fuße der steilen Felsenwand den von Bäumen
und Sträuchern dicht verwachsenen Eingang einer Höhle, in deren Innerem
ein Quell lauteren Wassers entsprang. Fastend, betend und singend, nur in
Gesellschaft der wilden Thiere des Waldes, verlebte Marinus hier langer als
ein Jahr. Da entdeckten vor dem Unwetter flüchtende Hirten den frommen
Klausner und verriethen seinen Zufluchtsort jenem Weibe, die sich seine Gat¬
tin nannte. Schnell eilte sie den Berg hinan und da er vor ihren Bitten in
der Höhle innerste Räume floh und sich hinter Schloß und Riegel barg, harrte
sie weinend und flehend sechs Tage lang vor der Thür und kehrte dann ohne
Hoffnung nach Rimini nur zurück, um von des heiligen Mannes Standhaf-
tigkeit Zeugniß zu geben und dann zu sterben.

Marinus aber verließ die Höhle, deren Geheimniß nun verrathen war
und siedelte sich auf den obersten Bergeszacken an, wo er dem heiligen Petrus
ein Kirchlein bauete und eine Mauer ausführte, die vor weltlicher Berührung
ihn schützen sollte. Zu solchem Gebahren fehlte es dem frommen Einsiedler
eigentlich an Recht, denn der Berg gehörte einer vornehmen Witwe Felicissima.
So eilte denn deren Sohn nach jener Höhe, um die Fortführung des Werkes
zu untersagen. Als aber Marinus den Zürnenden herankommen sah, betete er
um Abwendung der Gefahr, und, wie angewurzelt, blieb der junge Mann regungs¬
los an derselben Stelle, selbst der Sprache beraubt. Wehklagend kam die
Mutter herbei und auf ihre Bitten löste Marinus alsbald den Zauber. Feli¬
cissima aber und ihr ganzes Haus bekehrten sich und dem heiligen Manne wurde
der Berg mit allem Zubehör zu vollstem Rechte auf ewige Zeiten geschenkt.

Von den weiteren Schicksalen der Ansiedelung, die Marinus auf der
Höhe des titanischen Berges gegründet, vernehmen wir Jahrhunderte lang
nichts mehr. Sicher scheint nur so viel, daß die Nachfolger seinen Weiberhaß
nicht in gleichem Maße getheilt haben können; denn die Einsiedelei verwandelt
sich allmälig in eine wohlbevölkerte Ortschaft. Eine Urkunde vom Jahre 885
redet noch von dem Kloster San Marino und dessen Abt Stephanus, der vor
dem Bischof und dem Herzog von Monte Feltro mit dem Bischof von Rimini
über einige Grundstücke streitet. Im Jahre 951. also zur Zeit des ersten
Zuges Kaiser Ottos nach Italien, datirt der zweite Berengar schon eine Ur¬
kunde aus der „Gemeinde" (Mds) San Marino, wohin er sich vermuthlich
vor des Kaisers siegreichen Waffen geflüchtet hatte, wie er eilf Jahre später
seine Laufbahn in der benachbarten Bergfeste San Leo beenden sollte. Wieder
schweigen die Quellen der Geschichte durch mehre Jahrhunderte, und im Jahre
1244 finden wir die Burg (^rx) und den Gerichtshof (Luria oder vurtis) von
San Marino genannt.


19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105966"/>
          <p xml:id="ID_384" prev="#ID_383"> ihm zu theilen. Voller Entsetzen vor so unheiliger Berührung floh der heilige<lb/>
Mann in die Felsenwiidniß des titanischen Gebirges. Hier entdeckte er un¬<lb/>
weit des jetzigen Borgo, am Fuße der steilen Felsenwand den von Bäumen<lb/>
und Sträuchern dicht verwachsenen Eingang einer Höhle, in deren Innerem<lb/>
ein Quell lauteren Wassers entsprang. Fastend, betend und singend, nur in<lb/>
Gesellschaft der wilden Thiere des Waldes, verlebte Marinus hier langer als<lb/>
ein Jahr. Da entdeckten vor dem Unwetter flüchtende Hirten den frommen<lb/>
Klausner und verriethen seinen Zufluchtsort jenem Weibe, die sich seine Gat¬<lb/>
tin nannte. Schnell eilte sie den Berg hinan und da er vor ihren Bitten in<lb/>
der Höhle innerste Räume floh und sich hinter Schloß und Riegel barg, harrte<lb/>
sie weinend und flehend sechs Tage lang vor der Thür und kehrte dann ohne<lb/>
Hoffnung nach Rimini nur zurück, um von des heiligen Mannes Standhaf-<lb/>
tigkeit Zeugniß zu geben und dann zu sterben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_385"> Marinus aber verließ die Höhle, deren Geheimniß nun verrathen war<lb/>
und siedelte sich auf den obersten Bergeszacken an, wo er dem heiligen Petrus<lb/>
ein Kirchlein bauete und eine Mauer ausführte, die vor weltlicher Berührung<lb/>
ihn schützen sollte. Zu solchem Gebahren fehlte es dem frommen Einsiedler<lb/>
eigentlich an Recht, denn der Berg gehörte einer vornehmen Witwe Felicissima.<lb/>
So eilte denn deren Sohn nach jener Höhe, um die Fortführung des Werkes<lb/>
zu untersagen. Als aber Marinus den Zürnenden herankommen sah, betete er<lb/>
um Abwendung der Gefahr, und, wie angewurzelt, blieb der junge Mann regungs¬<lb/>
los an derselben Stelle, selbst der Sprache beraubt. Wehklagend kam die<lb/>
Mutter herbei und auf ihre Bitten löste Marinus alsbald den Zauber. Feli¬<lb/>
cissima aber und ihr ganzes Haus bekehrten sich und dem heiligen Manne wurde<lb/>
der Berg mit allem Zubehör zu vollstem Rechte auf ewige Zeiten geschenkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_386"> Von den weiteren Schicksalen der Ansiedelung, die Marinus auf der<lb/>
Höhe des titanischen Berges gegründet, vernehmen wir Jahrhunderte lang<lb/>
nichts mehr. Sicher scheint nur so viel, daß die Nachfolger seinen Weiberhaß<lb/>
nicht in gleichem Maße getheilt haben können; denn die Einsiedelei verwandelt<lb/>
sich allmälig in eine wohlbevölkerte Ortschaft. Eine Urkunde vom Jahre 885<lb/>
redet noch von dem Kloster San Marino und dessen Abt Stephanus, der vor<lb/>
dem Bischof und dem Herzog von Monte Feltro mit dem Bischof von Rimini<lb/>
über einige Grundstücke streitet. Im Jahre 951. also zur Zeit des ersten<lb/>
Zuges Kaiser Ottos nach Italien, datirt der zweite Berengar schon eine Ur¬<lb/>
kunde aus der &#x201E;Gemeinde" (Mds) San Marino, wohin er sich vermuthlich<lb/>
vor des Kaisers siegreichen Waffen geflüchtet hatte, wie er eilf Jahre später<lb/>
seine Laufbahn in der benachbarten Bergfeste San Leo beenden sollte. Wieder<lb/>
schweigen die Quellen der Geschichte durch mehre Jahrhunderte, und im Jahre<lb/>
1244 finden wir die Burg (^rx) und den Gerichtshof (Luria oder vurtis) von<lb/>
San Marino genannt.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 19*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0155] ihm zu theilen. Voller Entsetzen vor so unheiliger Berührung floh der heilige Mann in die Felsenwiidniß des titanischen Gebirges. Hier entdeckte er un¬ weit des jetzigen Borgo, am Fuße der steilen Felsenwand den von Bäumen und Sträuchern dicht verwachsenen Eingang einer Höhle, in deren Innerem ein Quell lauteren Wassers entsprang. Fastend, betend und singend, nur in Gesellschaft der wilden Thiere des Waldes, verlebte Marinus hier langer als ein Jahr. Da entdeckten vor dem Unwetter flüchtende Hirten den frommen Klausner und verriethen seinen Zufluchtsort jenem Weibe, die sich seine Gat¬ tin nannte. Schnell eilte sie den Berg hinan und da er vor ihren Bitten in der Höhle innerste Räume floh und sich hinter Schloß und Riegel barg, harrte sie weinend und flehend sechs Tage lang vor der Thür und kehrte dann ohne Hoffnung nach Rimini nur zurück, um von des heiligen Mannes Standhaf- tigkeit Zeugniß zu geben und dann zu sterben. Marinus aber verließ die Höhle, deren Geheimniß nun verrathen war und siedelte sich auf den obersten Bergeszacken an, wo er dem heiligen Petrus ein Kirchlein bauete und eine Mauer ausführte, die vor weltlicher Berührung ihn schützen sollte. Zu solchem Gebahren fehlte es dem frommen Einsiedler eigentlich an Recht, denn der Berg gehörte einer vornehmen Witwe Felicissima. So eilte denn deren Sohn nach jener Höhe, um die Fortführung des Werkes zu untersagen. Als aber Marinus den Zürnenden herankommen sah, betete er um Abwendung der Gefahr, und, wie angewurzelt, blieb der junge Mann regungs¬ los an derselben Stelle, selbst der Sprache beraubt. Wehklagend kam die Mutter herbei und auf ihre Bitten löste Marinus alsbald den Zauber. Feli¬ cissima aber und ihr ganzes Haus bekehrten sich und dem heiligen Manne wurde der Berg mit allem Zubehör zu vollstem Rechte auf ewige Zeiten geschenkt. Von den weiteren Schicksalen der Ansiedelung, die Marinus auf der Höhe des titanischen Berges gegründet, vernehmen wir Jahrhunderte lang nichts mehr. Sicher scheint nur so viel, daß die Nachfolger seinen Weiberhaß nicht in gleichem Maße getheilt haben können; denn die Einsiedelei verwandelt sich allmälig in eine wohlbevölkerte Ortschaft. Eine Urkunde vom Jahre 885 redet noch von dem Kloster San Marino und dessen Abt Stephanus, der vor dem Bischof und dem Herzog von Monte Feltro mit dem Bischof von Rimini über einige Grundstücke streitet. Im Jahre 951. also zur Zeit des ersten Zuges Kaiser Ottos nach Italien, datirt der zweite Berengar schon eine Ur¬ kunde aus der „Gemeinde" (Mds) San Marino, wohin er sich vermuthlich vor des Kaisers siegreichen Waffen geflüchtet hatte, wie er eilf Jahre später seine Laufbahn in der benachbarten Bergfeste San Leo beenden sollte. Wieder schweigen die Quellen der Geschichte durch mehre Jahrhunderte, und im Jahre 1244 finden wir die Burg (^rx) und den Gerichtshof (Luria oder vurtis) von San Marino genannt. 19*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/155
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/155>, abgerufen am 22.07.2024.