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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Räthselhast wie alles Werden ist auch das der Städte im früheren Mittel¬
alter, namentlich der italienischen, mit ihrer früh entwickelten Selbstständigseit
und geistlicher wie weltlicher Herrschaft Trotz bietenden Machtstellung. Bald ist
es der Bischof, dessen Befreiung von weltlicher Gerichtsbarkeit friedliebende
Ansiedler herbeizieht, bald scharen sie sich um die feste Burg eines weltlichen
Machthabers, eines Grafen oder mächtigen Lehnsherrn, bald endlich erwächst
aus dem Zusammenhalten der Innungen und Zünfte Handel- und Gewerbe¬
treibender selbst ein neues unabhängiges Gemeinwesen.

Auffallend genug läßt für San Marino sich keine dieser sonst gewöhn¬
lichen Enstehungsarten annehmen. Von jeher weilte der Bischof, zu dessen
geistlichem Sprengel San Marino gehört, in einer andern Stadt, in San Leo,
und Jahrhunderte lang bekämpfte er feindselig die Freiheit der kleinen Republik.
Einen Herrensitz hat San Marino nie in seinen Mauern gesehn und die Ge¬
werbe sind noch heute auf ein so geringes Maß beschränkt, daß wir in ihnen
nicht füglich die Wurzeln und Pfeiler des junge" Staates finden können.

So bleibt denn kaum anderes zu vermuthen, als daß jenes schon er¬
wähnte Kloster, ausgestattet, wie anzunehmen ist, mit mancherlei Vorrechten
und Freiheiten, den Anfang gemacht hat. Dienstleute, Pachter und kleine
Gewerbsleute mochten auf der entlegenen Berghöhe unter dem Schutze des
Abtes in sturmbewegtcr Zeit Schutz suchen und finden. Endlich verdoppelten
eine Burg und steinerne Mauern die natürliche Festigkeit des Ortes und so
waren die Bedingungen eines Städtelebens gegeben.

Noch heute zählt San Marino vier Klöster. Befremdend ist es aber
allerdings, daß keines darunter so hohes Alterthum nachweisen kann, oder
solchen Ansehens genießt, wie unter jener Voraussetzung von der Anstalt zu
erwarten wäre, aus welcher der ganze Freistaat hervorgegangen ist.

Wir können daher nicht umhin, nach einem weiteren Momente zu fragen,
das zum Aufblühen von San Marino wenigstens mitgewirkt habe. Schon
im Jahre 1244 finden wir nun als eine Quelle namhaften Einkommens die
Zölle erwähnt, welche von den Besuchern des Marktes der Vorstadt von San
Marino erhoben werden. Auf der ersten Terrasse des Gebirges von Monte
Feltro belegen, bildet der Borgo ein natürliches Emporium zwischen den Berg¬
bewohnern und der kornerzeugenden Ebne sowol als den Hafenstädten, welche
die überseeischen Waaren herbeiführen. Unter dem Schutze der festen Burg,
zu deren Füßen jene Vorstadt belegen ist, mußte hier ein reger Verkehr er¬
blühen, und so berichtet denn schon die erwähnte Urkunde nicht nur von einem
regelmäßigen Mittwochsmarkt, sondern daneben auch von einer September¬
messe zu Maria Geburt. Später folgten sich von Ende Juli (Sanct Annen¬
tag) bis Ende September (Matthäustag) Jahrmärkte von vierzehn zu vier¬
zehn Tagen.


Räthselhast wie alles Werden ist auch das der Städte im früheren Mittel¬
alter, namentlich der italienischen, mit ihrer früh entwickelten Selbstständigseit
und geistlicher wie weltlicher Herrschaft Trotz bietenden Machtstellung. Bald ist
es der Bischof, dessen Befreiung von weltlicher Gerichtsbarkeit friedliebende
Ansiedler herbeizieht, bald scharen sie sich um die feste Burg eines weltlichen
Machthabers, eines Grafen oder mächtigen Lehnsherrn, bald endlich erwächst
aus dem Zusammenhalten der Innungen und Zünfte Handel- und Gewerbe¬
treibender selbst ein neues unabhängiges Gemeinwesen.

Auffallend genug läßt für San Marino sich keine dieser sonst gewöhn¬
lichen Enstehungsarten annehmen. Von jeher weilte der Bischof, zu dessen
geistlichem Sprengel San Marino gehört, in einer andern Stadt, in San Leo,
und Jahrhunderte lang bekämpfte er feindselig die Freiheit der kleinen Republik.
Einen Herrensitz hat San Marino nie in seinen Mauern gesehn und die Ge¬
werbe sind noch heute auf ein so geringes Maß beschränkt, daß wir in ihnen
nicht füglich die Wurzeln und Pfeiler des junge» Staates finden können.

So bleibt denn kaum anderes zu vermuthen, als daß jenes schon er¬
wähnte Kloster, ausgestattet, wie anzunehmen ist, mit mancherlei Vorrechten
und Freiheiten, den Anfang gemacht hat. Dienstleute, Pachter und kleine
Gewerbsleute mochten auf der entlegenen Berghöhe unter dem Schutze des
Abtes in sturmbewegtcr Zeit Schutz suchen und finden. Endlich verdoppelten
eine Burg und steinerne Mauern die natürliche Festigkeit des Ortes und so
waren die Bedingungen eines Städtelebens gegeben.

Noch heute zählt San Marino vier Klöster. Befremdend ist es aber
allerdings, daß keines darunter so hohes Alterthum nachweisen kann, oder
solchen Ansehens genießt, wie unter jener Voraussetzung von der Anstalt zu
erwarten wäre, aus welcher der ganze Freistaat hervorgegangen ist.

Wir können daher nicht umhin, nach einem weiteren Momente zu fragen,
das zum Aufblühen von San Marino wenigstens mitgewirkt habe. Schon
im Jahre 1244 finden wir nun als eine Quelle namhaften Einkommens die
Zölle erwähnt, welche von den Besuchern des Marktes der Vorstadt von San
Marino erhoben werden. Auf der ersten Terrasse des Gebirges von Monte
Feltro belegen, bildet der Borgo ein natürliches Emporium zwischen den Berg¬
bewohnern und der kornerzeugenden Ebne sowol als den Hafenstädten, welche
die überseeischen Waaren herbeiführen. Unter dem Schutze der festen Burg,
zu deren Füßen jene Vorstadt belegen ist, mußte hier ein reger Verkehr er¬
blühen, und so berichtet denn schon die erwähnte Urkunde nicht nur von einem
regelmäßigen Mittwochsmarkt, sondern daneben auch von einer September¬
messe zu Maria Geburt. Später folgten sich von Ende Juli (Sanct Annen¬
tag) bis Ende September (Matthäustag) Jahrmärkte von vierzehn zu vier¬
zehn Tagen.


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[0156] Räthselhast wie alles Werden ist auch das der Städte im früheren Mittel¬ alter, namentlich der italienischen, mit ihrer früh entwickelten Selbstständigseit und geistlicher wie weltlicher Herrschaft Trotz bietenden Machtstellung. Bald ist es der Bischof, dessen Befreiung von weltlicher Gerichtsbarkeit friedliebende Ansiedler herbeizieht, bald scharen sie sich um die feste Burg eines weltlichen Machthabers, eines Grafen oder mächtigen Lehnsherrn, bald endlich erwächst aus dem Zusammenhalten der Innungen und Zünfte Handel- und Gewerbe¬ treibender selbst ein neues unabhängiges Gemeinwesen. Auffallend genug läßt für San Marino sich keine dieser sonst gewöhn¬ lichen Enstehungsarten annehmen. Von jeher weilte der Bischof, zu dessen geistlichem Sprengel San Marino gehört, in einer andern Stadt, in San Leo, und Jahrhunderte lang bekämpfte er feindselig die Freiheit der kleinen Republik. Einen Herrensitz hat San Marino nie in seinen Mauern gesehn und die Ge¬ werbe sind noch heute auf ein so geringes Maß beschränkt, daß wir in ihnen nicht füglich die Wurzeln und Pfeiler des junge» Staates finden können. So bleibt denn kaum anderes zu vermuthen, als daß jenes schon er¬ wähnte Kloster, ausgestattet, wie anzunehmen ist, mit mancherlei Vorrechten und Freiheiten, den Anfang gemacht hat. Dienstleute, Pachter und kleine Gewerbsleute mochten auf der entlegenen Berghöhe unter dem Schutze des Abtes in sturmbewegtcr Zeit Schutz suchen und finden. Endlich verdoppelten eine Burg und steinerne Mauern die natürliche Festigkeit des Ortes und so waren die Bedingungen eines Städtelebens gegeben. Noch heute zählt San Marino vier Klöster. Befremdend ist es aber allerdings, daß keines darunter so hohes Alterthum nachweisen kann, oder solchen Ansehens genießt, wie unter jener Voraussetzung von der Anstalt zu erwarten wäre, aus welcher der ganze Freistaat hervorgegangen ist. Wir können daher nicht umhin, nach einem weiteren Momente zu fragen, das zum Aufblühen von San Marino wenigstens mitgewirkt habe. Schon im Jahre 1244 finden wir nun als eine Quelle namhaften Einkommens die Zölle erwähnt, welche von den Besuchern des Marktes der Vorstadt von San Marino erhoben werden. Auf der ersten Terrasse des Gebirges von Monte Feltro belegen, bildet der Borgo ein natürliches Emporium zwischen den Berg¬ bewohnern und der kornerzeugenden Ebne sowol als den Hafenstädten, welche die überseeischen Waaren herbeiführen. Unter dem Schutze der festen Burg, zu deren Füßen jene Vorstadt belegen ist, mußte hier ein reger Verkehr er¬ blühen, und so berichtet denn schon die erwähnte Urkunde nicht nur von einem regelmäßigen Mittwochsmarkt, sondern daneben auch von einer September¬ messe zu Maria Geburt. Später folgten sich von Ende Juli (Sanct Annen¬ tag) bis Ende September (Matthäustag) Jahrmärkte von vierzehn zu vier¬ zehn Tagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/156>, abgerufen am 22.07.2024.