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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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senken sich die Vorhügel der Apenninen, mit blinkenden Ortschaften und Land¬
häusern dicht überstreut, zur Ebene der Romagna hinab. Dann folgt eine
Anzahl zackig ausgeschnittener Felskuppen: das waldbedeckte, zerklüftete Schwe-
felgebirg des Monte Perticaja, der steilabfallende Felsen der Majoletta und
die sast unnehmbare Bergfeste von San Leo. ein zweites Königstein. Weiter
gegen Mittag schließt die lange Kette der Apenninen (deren entferntere Gipfel
schon nach Toscana und Neapel gehören) den Horizont und entsendet als letz¬
ten Ausläufer den Berg von Ancona bis ins adriatische Meer.

Um diese Felsenburg von San Marino lehnt sich nun das nur andert¬
halb geographische Quadratmeilen umfassende Gebiet des kleinen Freistaates
mit seinen wenigen Ortschaften und etwa 7000 Einwohnern an die Abhänge,
so daß es an keiner Stelle bis zur Ebne herabsteigt. Rings von päpstlichen
Gebiete umgeben, schwimmt es gleich einer Insel im Kirchenstaat.

In den Beuchten, welche die Legende uns über die ersten Anfänge von
San Marino bietet, ist die dichtende Sage unlernbar mit dem Geschichtlichen
verschmolzen. Diocletian und Maximian, die Christenverfolger, hätten der Erzäh¬
lung nach das von einem Seeräuberkönig zerstörte Rimini prächtiger wieder her¬
stellen lassen und zu dem Ende Baumeister und Steinmetzen aus allen Pro¬
vinzen des römischen Reiches berufen. Unter ihnen seien denn auch zwei
fromme Christen ans Dalmatien, Marinus und Leo, herbeigekommen, welche
durch stillen, tunstcrfahrenen Fleiß, durch reinen Lebenswandel und geistlichen
Zuspruch, durch werkthätige Liebe den Genossen vor allen theuer geworden.
Namentlich Marinus sei mit solcher Ausdauer begabt gewesen, daß, wenn die
Gefährten ermüdet dem Schlaf verfallen seien, er die Nächte über fortgearbeitet
habe, um jenen einen Theil ihres kommenden Tagewerks abzunehmen. Da¬
bei wird auch eines Eseleins gedacht, das zu gemeinem Nutzen der fromme
Mann aus eignen Mitteln angeschafft, und das gar häufig der schweren Arbeit
schlimmsten Theil auf sich genommen.

Die Baumaterialien, welche man zunächst zur Verfügung hatte, wollten
auf dle Dauer nicht ausreichen und so gingen Marinus und Leo in das nahe
liegende Gebirg, um Steinbrüche zu suchen und auszubeuten. Solches Be¬
hagen aber fanden die frommen Männer an der einsamen Stille der damals
waldbewachsenen Bergeshöhen, daß Leo auf dem einen der Felsen, der noch
jetzt seinen Namen führt, als Klausner zurückblieb. Marinus kehrte nach
Rimini zurück und wirkte dort arbeitend und lehrend segensreich während länger
als zwölf Jahren.

Da trieb ihn der Legende nach ein seltsamer Grund in das ihm lieb¬
gewordene Gebirge zurück. Ein Weib, angeblich von seltener Schönheit, kam
aus Dalmatien über das Meer herbei. Marinus, den sie als ihren Ehemann
bezeichnete, aufzusuchen und die Beschwerden seines mühevollen Lebens mit


senken sich die Vorhügel der Apenninen, mit blinkenden Ortschaften und Land¬
häusern dicht überstreut, zur Ebene der Romagna hinab. Dann folgt eine
Anzahl zackig ausgeschnittener Felskuppen: das waldbedeckte, zerklüftete Schwe-
felgebirg des Monte Perticaja, der steilabfallende Felsen der Majoletta und
die sast unnehmbare Bergfeste von San Leo. ein zweites Königstein. Weiter
gegen Mittag schließt die lange Kette der Apenninen (deren entferntere Gipfel
schon nach Toscana und Neapel gehören) den Horizont und entsendet als letz¬
ten Ausläufer den Berg von Ancona bis ins adriatische Meer.

Um diese Felsenburg von San Marino lehnt sich nun das nur andert¬
halb geographische Quadratmeilen umfassende Gebiet des kleinen Freistaates
mit seinen wenigen Ortschaften und etwa 7000 Einwohnern an die Abhänge,
so daß es an keiner Stelle bis zur Ebne herabsteigt. Rings von päpstlichen
Gebiete umgeben, schwimmt es gleich einer Insel im Kirchenstaat.

In den Beuchten, welche die Legende uns über die ersten Anfänge von
San Marino bietet, ist die dichtende Sage unlernbar mit dem Geschichtlichen
verschmolzen. Diocletian und Maximian, die Christenverfolger, hätten der Erzäh¬
lung nach das von einem Seeräuberkönig zerstörte Rimini prächtiger wieder her¬
stellen lassen und zu dem Ende Baumeister und Steinmetzen aus allen Pro¬
vinzen des römischen Reiches berufen. Unter ihnen seien denn auch zwei
fromme Christen ans Dalmatien, Marinus und Leo, herbeigekommen, welche
durch stillen, tunstcrfahrenen Fleiß, durch reinen Lebenswandel und geistlichen
Zuspruch, durch werkthätige Liebe den Genossen vor allen theuer geworden.
Namentlich Marinus sei mit solcher Ausdauer begabt gewesen, daß, wenn die
Gefährten ermüdet dem Schlaf verfallen seien, er die Nächte über fortgearbeitet
habe, um jenen einen Theil ihres kommenden Tagewerks abzunehmen. Da¬
bei wird auch eines Eseleins gedacht, das zu gemeinem Nutzen der fromme
Mann aus eignen Mitteln angeschafft, und das gar häufig der schweren Arbeit
schlimmsten Theil auf sich genommen.

Die Baumaterialien, welche man zunächst zur Verfügung hatte, wollten
auf dle Dauer nicht ausreichen und so gingen Marinus und Leo in das nahe
liegende Gebirg, um Steinbrüche zu suchen und auszubeuten. Solches Be¬
hagen aber fanden die frommen Männer an der einsamen Stille der damals
waldbewachsenen Bergeshöhen, daß Leo auf dem einen der Felsen, der noch
jetzt seinen Namen führt, als Klausner zurückblieb. Marinus kehrte nach
Rimini zurück und wirkte dort arbeitend und lehrend segensreich während länger
als zwölf Jahren.

Da trieb ihn der Legende nach ein seltsamer Grund in das ihm lieb¬
gewordene Gebirge zurück. Ein Weib, angeblich von seltener Schönheit, kam
aus Dalmatien über das Meer herbei. Marinus, den sie als ihren Ehemann
bezeichnete, aufzusuchen und die Beschwerden seines mühevollen Lebens mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/154>, abgerufen am 22.07.2024.