Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.wilden Gestein, das die Burgtrümmer umgibt, Myrrhe und duftige Cyklamen Ungünstiger als das der Stadt ist schon jdas Klima der hart am nord¬ Bis zum Borgo führt vom Meeresstrande, von Rimini aus, ein wohl¬ Von der höchsten Höhe des Berges, von der Stadt und Burg San Ma¬ Grenzboten III. 1S58. 19
wilden Gestein, das die Burgtrümmer umgibt, Myrrhe und duftige Cyklamen Ungünstiger als das der Stadt ist schon jdas Klima der hart am nord¬ Bis zum Borgo führt vom Meeresstrande, von Rimini aus, ein wohl¬ Von der höchsten Höhe des Berges, von der Stadt und Burg San Ma¬ Grenzboten III. 1S58. 19
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105964"/> <p xml:id="ID_375" prev="#ID_374"> wilden Gestein, das die Burgtrümmer umgibt, Myrrhe und duftige Cyklamen<lb/> wuchern, wahrend im Nordschatten sich das zierliche Venushaar am Felsen-<lb/> abHange wiegt. Weiter hinab überschatten kräftige Eichen und edle Kastanien<lb/> die Flanken des Gebirges, an welche sich gegen die Ebne hin endlich ein<lb/> weiter Gürtel von Oliven reiht. Selbst in den kältesten Wintern pflegt auf<lb/> des Berges Höhe das Thermometer nur wenig Grade unter den Gefrierpunkt<lb/> zu sinken und die Kälte bei weitem nicht zu erreichen, die in der fruchtbaren<lb/> Poebne nicht selten wochenlang selbst die erprobte Geduld des nordischen<lb/> Reisenden erschöpft.</p><lb/> <p xml:id="ID_376"> Ungünstiger als das der Stadt ist schon jdas Klima der hart am nord¬<lb/> östlichen Fuße der höchsten Felswand belegenen Vorstadt, des Borgo. Ihren<lb/> Bewohnern verbirgt sich im Winter während zweier Monate die Sonne, und<lb/> manches Gartengewächs, das oben in der Stadt gedeiht, kann die rauhere<lb/> Lust des Borgo nicht vertragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_377"> Bis zum Borgo führt vom Meeresstrande, von Rimini aus, ein wohl¬<lb/> unterhaltener Fahrweg. Von hier bis in die Stadt war noch bei meinem<lb/> letzten Besuche auf einer künstlich gewundenen Straße nur zu Fuß oder zu<lb/> Maulthier zu gelangen; neuerdings soll aber mit beträchtlichem Aufwand ein<lb/> Fahrweg hergestellt sein. Von jeder andern Seite ist die Bergeszinne unzu¬<lb/> gänglich und, in den Schluchten der Felswand einen neuen Pfad zu suchen,<lb/> bei Lebensstrafe verboten. So hat denn der dürftige Handelsverkehr des Frei¬<lb/> staates, der zum Verkaufe kaum Anderes als Wein, grobe Schafwolle und<lb/> Borstenvieh zu bieten hat, alljährlich aber nicht unbedeutende Getreidevorräthe<lb/> verbraucht, sich unterhalb der Felsenspitze, im Borgo angesiedelt. Hier sehen<lb/> die Häuser wohnlicher und moderner aus, als oben in der Stadt, und Schenke<lb/> bei Schenke ladet zum Genuß des würzigen Muscatellerweins. Tief in die<lb/> Eingeweide der Bergwand hinein erstreckt sich nämlich ein Labyrinth von<lb/> Grotten, die als Felsenkeller benutzt, dem labenden Trank auch während der<lb/> ärgsten Sommerglut eisige Kühle bewahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_378" next="#ID_379"> Von der höchsten Höhe des Berges, von der Stadt und Burg San Ma¬<lb/> rino aus, umfaßt der Blick ein fast schrankenloses reiches Panorama. Auf<lb/> eine Tagereise und 'weiter sehen wir gen Norden und Süden das blaue adria-<lb/> tische Meer die weißen Dünen der Küsten bespülen. Weit über die Fluten<lb/> hinaus aber sah ich selbst eines Tages die langen vielfach verschränkten Berg¬<lb/> züge Dalmatiens klar und derrtlich sich gegen den goldig glänzenden Morgen-<lb/> Himmel abzeichnen. Fast zu den Füßen des Berges von San Marino breitet<lb/> sich Ninnni stattlich am Meere aus und weit darüber hin, mehr als zwölf<lb/> Stunden lang, erstreckt sich der wunderbare Pinienwald von Ravenna. Noch<lb/> jenseits schimmern die salzigen Sümpfe von Comacchio und fern im Norden<lb/> glaubt das Auge Venedigs Lagunen zu errathen. Landeinwärts gegen Westen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 1S58. 19</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0153]
wilden Gestein, das die Burgtrümmer umgibt, Myrrhe und duftige Cyklamen
wuchern, wahrend im Nordschatten sich das zierliche Venushaar am Felsen-
abHange wiegt. Weiter hinab überschatten kräftige Eichen und edle Kastanien
die Flanken des Gebirges, an welche sich gegen die Ebne hin endlich ein
weiter Gürtel von Oliven reiht. Selbst in den kältesten Wintern pflegt auf
des Berges Höhe das Thermometer nur wenig Grade unter den Gefrierpunkt
zu sinken und die Kälte bei weitem nicht zu erreichen, die in der fruchtbaren
Poebne nicht selten wochenlang selbst die erprobte Geduld des nordischen
Reisenden erschöpft.
Ungünstiger als das der Stadt ist schon jdas Klima der hart am nord¬
östlichen Fuße der höchsten Felswand belegenen Vorstadt, des Borgo. Ihren
Bewohnern verbirgt sich im Winter während zweier Monate die Sonne, und
manches Gartengewächs, das oben in der Stadt gedeiht, kann die rauhere
Lust des Borgo nicht vertragen.
Bis zum Borgo führt vom Meeresstrande, von Rimini aus, ein wohl¬
unterhaltener Fahrweg. Von hier bis in die Stadt war noch bei meinem
letzten Besuche auf einer künstlich gewundenen Straße nur zu Fuß oder zu
Maulthier zu gelangen; neuerdings soll aber mit beträchtlichem Aufwand ein
Fahrweg hergestellt sein. Von jeder andern Seite ist die Bergeszinne unzu¬
gänglich und, in den Schluchten der Felswand einen neuen Pfad zu suchen,
bei Lebensstrafe verboten. So hat denn der dürftige Handelsverkehr des Frei¬
staates, der zum Verkaufe kaum Anderes als Wein, grobe Schafwolle und
Borstenvieh zu bieten hat, alljährlich aber nicht unbedeutende Getreidevorräthe
verbraucht, sich unterhalb der Felsenspitze, im Borgo angesiedelt. Hier sehen
die Häuser wohnlicher und moderner aus, als oben in der Stadt, und Schenke
bei Schenke ladet zum Genuß des würzigen Muscatellerweins. Tief in die
Eingeweide der Bergwand hinein erstreckt sich nämlich ein Labyrinth von
Grotten, die als Felsenkeller benutzt, dem labenden Trank auch während der
ärgsten Sommerglut eisige Kühle bewahren.
Von der höchsten Höhe des Berges, von der Stadt und Burg San Ma¬
rino aus, umfaßt der Blick ein fast schrankenloses reiches Panorama. Auf
eine Tagereise und 'weiter sehen wir gen Norden und Süden das blaue adria-
tische Meer die weißen Dünen der Küsten bespülen. Weit über die Fluten
hinaus aber sah ich selbst eines Tages die langen vielfach verschränkten Berg¬
züge Dalmatiens klar und derrtlich sich gegen den goldig glänzenden Morgen-
Himmel abzeichnen. Fast zu den Füßen des Berges von San Marino breitet
sich Ninnni stattlich am Meere aus und weit darüber hin, mehr als zwölf
Stunden lang, erstreckt sich der wunderbare Pinienwald von Ravenna. Noch
jenseits schimmern die salzigen Sümpfe von Comacchio und fern im Norden
glaubt das Auge Venedigs Lagunen zu errathen. Landeinwärts gegen Westen
Grenzboten III. 1S58. 19
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