Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.drückt ersparten sie ihrerseits natürlich den Bojaren und Gemeinden eine Ver¬ Die Herrenherrschast war sonach äußerst beschränkt. Nichts natürlicher, drückt ersparten sie ihrerseits natürlich den Bojaren und Gemeinden eine Ver¬ Die Herrenherrschast war sonach äußerst beschränkt. Nichts natürlicher, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105826"/> <p xml:id="ID_21" prev="#ID_20"> drückt ersparten sie ihrerseits natürlich den Bojaren und Gemeinden eine Ver¬<lb/> stärkung des Druckes ebenso wenig. Indessen blieb die wesentliche Freiheit der<lb/> Volksmassen ebenso unangetastet. wee das Eigenthumsrecht der Gemeinden<lb/> auf den von jeder benutzten Grund und Boden. Auf diesen hatten die Theil¬<lb/> fürsten fortwährend blos ein Oberhoheitsrecht, während auch der Bojar, welcher<lb/> unmittelbarer Herr einer Gemeinde war. keinen andern Grundbesitz erbeigen¬<lb/> thümlich besaß, als denjenigen, welchen seine persönlichen Sklaven — die<lb/> Haus- und Hofesleute — bearbeiteten. Diese stammten nicht etwa aus seiner<lb/> Gemeinde oder seinem speciellen (theilfürstlichen) Vaterlande, sondern waren<lb/> Kriegsbeute oder Nachkommen der Gefangenen, welche er und seine Väter als<lb/> Vasallen der Großfürsten oder Theilfürsten bei deren wechselseitigen Kämpfen<lb/> gemacht hatten. Das Volk blieb frei, hielt an seiner uralten, sast communistischen<lb/> Gemeindeverfassung fest, übte fortwährend das Recht der Freizügigkeit des<lb/> Einzelnen innerhalb der Grenzen jedes Theilfürstenthums und zahlte dem so¬<lb/> genannten Grundherrn durch Frohnden nur eine gewisse Steuer als Hoheits-<lb/> gefäll. Aber der Betrag dieser Leistung ward zwischen Gemeinde und Grund¬<lb/> herrn an jedem Georgstage von neuem für ein Jahr vereinbart, nicht einseitig<lb/> festgestellt, auferlegt, octrouirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_22"> Die Herrenherrschast war sonach äußerst beschränkt. Nichts natürlicher,<lb/> als daß grade diese kleinen Herrn sich zum großen Theil den Tataren zuwen¬<lb/> deten, in ihre Dienste traten, ihre Töchter heiratheten, kurz sich tatarisirten.<lb/> Nicht dieser kraftlose Adel, sondern recht eigentlich das Volk der Gemeinden<lb/> war es auch. welches das Ansehen der Großfürsten von Moskau immer mehr<lb/> erstarken ließ, und ihnen endlich seine Arme und Waffen lieh, so daß sie die<lb/> Tatarenherrschaft abschütteln konnten. Mit dieser verschwand zugleich die bis¬<lb/> herige Selbstständigkeit der Bojaren; die Theilsürstenthümer zerschmolzen in<lb/> der neuen moskowitischen Staatseinheit. Namentlich gelang das Werk der<lb/> Centralisation und die Nicdenverfung der alten Fürstengeschlechter, so wie die<lb/> Berwandlung der entarteten Bojaren in abhängige Beamte und Höflinge<lb/> unter Iwan 1. und 2. Iwan 4. Wassiliewitsch. welchen die Geschichte mit dem<lb/> Namen des „Grausamen" oder „Schrecklichen" brandmarkt, lebt in den Sa¬<lb/> gen und Liedern des russischen Volkes keineswegs als blutdürstiger Despot,<lb/> sondern als eine gutmüthige, komisch-unbeholfene Persönlichkeit. Seine Blut¬<lb/> thaten sind freilich bekannt genug; aber nicht sie geben ihm seinen Beinamen,<lb/> sondern daß sie ausschließlich die Aristokratie trafen, deren Iugendlräfte er<lb/> überdieß durch die Herstellung des stehenden Strelitzenheeres unmittelbar unter<lb/> den Zarenbefehl beugte. Und auch außerdem ließ sein Ringen nach Aus¬<lb/> schließlichkeit der Zarenmacht seine Gewaltstreiche blos die Bojaren suhlen,<lb/> während das nationale Gemeindewesen und die persönliche Freiheit seiner An¬<lb/> gehörigen vollkommen unangetastet blieb.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
drückt ersparten sie ihrerseits natürlich den Bojaren und Gemeinden eine Ver¬
stärkung des Druckes ebenso wenig. Indessen blieb die wesentliche Freiheit der
Volksmassen ebenso unangetastet. wee das Eigenthumsrecht der Gemeinden
auf den von jeder benutzten Grund und Boden. Auf diesen hatten die Theil¬
fürsten fortwährend blos ein Oberhoheitsrecht, während auch der Bojar, welcher
unmittelbarer Herr einer Gemeinde war. keinen andern Grundbesitz erbeigen¬
thümlich besaß, als denjenigen, welchen seine persönlichen Sklaven — die
Haus- und Hofesleute — bearbeiteten. Diese stammten nicht etwa aus seiner
Gemeinde oder seinem speciellen (theilfürstlichen) Vaterlande, sondern waren
Kriegsbeute oder Nachkommen der Gefangenen, welche er und seine Väter als
Vasallen der Großfürsten oder Theilfürsten bei deren wechselseitigen Kämpfen
gemacht hatten. Das Volk blieb frei, hielt an seiner uralten, sast communistischen
Gemeindeverfassung fest, übte fortwährend das Recht der Freizügigkeit des
Einzelnen innerhalb der Grenzen jedes Theilfürstenthums und zahlte dem so¬
genannten Grundherrn durch Frohnden nur eine gewisse Steuer als Hoheits-
gefäll. Aber der Betrag dieser Leistung ward zwischen Gemeinde und Grund¬
herrn an jedem Georgstage von neuem für ein Jahr vereinbart, nicht einseitig
festgestellt, auferlegt, octrouirt.
Die Herrenherrschast war sonach äußerst beschränkt. Nichts natürlicher,
als daß grade diese kleinen Herrn sich zum großen Theil den Tataren zuwen¬
deten, in ihre Dienste traten, ihre Töchter heiratheten, kurz sich tatarisirten.
Nicht dieser kraftlose Adel, sondern recht eigentlich das Volk der Gemeinden
war es auch. welches das Ansehen der Großfürsten von Moskau immer mehr
erstarken ließ, und ihnen endlich seine Arme und Waffen lieh, so daß sie die
Tatarenherrschaft abschütteln konnten. Mit dieser verschwand zugleich die bis¬
herige Selbstständigkeit der Bojaren; die Theilsürstenthümer zerschmolzen in
der neuen moskowitischen Staatseinheit. Namentlich gelang das Werk der
Centralisation und die Nicdenverfung der alten Fürstengeschlechter, so wie die
Berwandlung der entarteten Bojaren in abhängige Beamte und Höflinge
unter Iwan 1. und 2. Iwan 4. Wassiliewitsch. welchen die Geschichte mit dem
Namen des „Grausamen" oder „Schrecklichen" brandmarkt, lebt in den Sa¬
gen und Liedern des russischen Volkes keineswegs als blutdürstiger Despot,
sondern als eine gutmüthige, komisch-unbeholfene Persönlichkeit. Seine Blut¬
thaten sind freilich bekannt genug; aber nicht sie geben ihm seinen Beinamen,
sondern daß sie ausschließlich die Aristokratie trafen, deren Iugendlräfte er
überdieß durch die Herstellung des stehenden Strelitzenheeres unmittelbar unter
den Zarenbefehl beugte. Und auch außerdem ließ sein Ringen nach Aus¬
schließlichkeit der Zarenmacht seine Gewaltstreiche blos die Bojaren suhlen,
während das nationale Gemeindewesen und die persönliche Freiheit seiner An¬
gehörigen vollkommen unangetastet blieb.
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