Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Kern der ganzen Frage. Damit ist das Vorhandensein der verbrecherischen
Absicht und der Zurechnungsfähigkeit ausgesprochen, die keineswegs juristische
Begriffe, sondern einfache Urtheile des gewöhnlichen Verstandes über vorlie¬
gende Facta sind. Es gibt allerdings qualisicirende Merkmale der Schuld
wie die bestimmten Milderungs- und Schärfungsgründe, Theilnahme, Begün¬
stigung und Versuch, welche das Gesetz zu juristischen Begriffen gemacht hat;
ebenso kommen Verbrechen vor, von denen es zweifelhaft werden kann, in
welche von mehren verwandten gesetzlichen Kategorien sie unterzubringen sind,
ob z. B. unter Diebstahl. Unterschlagung oder Betrug, unter Verleumdung
oder wissentlich falsche Denunciation. Aber man vergesse auch nicht, daß die
Geschwornen, wenn sie nicht selbst diesen Grad von Vertrautheit mit dem
Strafgesetzbuch besitzen, bei jeder zweifelhaften Frage Rath und Belehrung
des Vorsitzenden Richters einholen dürfen, daß sie ihr Berbice überhaupt nur
auf Grund einer Verhandlung abgeben, die völlig von Fachmännern dirigirt
wird, und ihnen sowol von Stnatsanwalt und Vertheidiger, als auch durch
das unparteiische Resumöe des Präsidenten zusammenhängend in ihren bedeu¬
tendsten Momenten vorgeführt worden ist.

Wenn trotzdem manche Verbiete vorkommrn, über welche Juristen den
Kopf schütteln, so glauben wir die Veranlassung dazu in einigen nicht unheil¬
baren Mängeln unsrer Geschwornengerichte zu finden. Von unglücklichen Fällen,
in denen ein "Schuldig" sich später als eine ungerechte Verurtheilung heraus¬
stellt, sehen wir ab. Das kann bei unseligen Verkettungen von Jndicien, bei
meineidiger Zeugen auch vor Nichtercollegien vorkommen. Diese Fälle pflegen
nicht zu denen zu gehören, welche dem Juristen als Angriffswaffe gegen die
Jury dienen müssen, denn die mitwirkenden Richter tragen dabei die gleiche
Verantwortlichkeit, da das Gesetz (Art. 99. des Geh. v. 3. Mai 1852) ihnen
ausdrücklich gestattet, jede Sache, in welcher ihnen die Geschwornen materiell
zum Nachtheil des Angeklagten geirrt zu haben scheinen, ohne Angabe von
Gründen vor ein neues Schwurgericht zu weisen. Wir geben allerdings zu.
auch Verbiete zu kennen, welche mit den Thatsachen und allen Regeln des
Denkens in unbegreiflichen Widerspruch stehen. Aber sie würden seltner wer¬
den und wahrscheinlich günz verschwinden, sobald folgende drei Veränderungen
einträten. Erstens in der Zusammensetzung der Jury, zweitens in dem Ver¬
fahren, drittens in dem Verbiet selbst.

Durch die Höhe des geforderten Census wird die Zahl der in Abstracto
zum Geschwornenamt Befähigten, wie wir schon bemerkt haben, ungemein
beschränkt und dadurch einerseits die Last der Qualificirten eine ziemlich drückende,
andrerseits die Auswahl erschwert und viele sehr tüchtige Elemente ausge¬
schlossen. Wer so viel Vermögen oder Einkommen besitzt, um ohne zu große
Opfer sich dem Gemeindedienst einige Tage unentgeltlich unterziehen zu können,


17*

der Kern der ganzen Frage. Damit ist das Vorhandensein der verbrecherischen
Absicht und der Zurechnungsfähigkeit ausgesprochen, die keineswegs juristische
Begriffe, sondern einfache Urtheile des gewöhnlichen Verstandes über vorlie¬
gende Facta sind. Es gibt allerdings qualisicirende Merkmale der Schuld
wie die bestimmten Milderungs- und Schärfungsgründe, Theilnahme, Begün¬
stigung und Versuch, welche das Gesetz zu juristischen Begriffen gemacht hat;
ebenso kommen Verbrechen vor, von denen es zweifelhaft werden kann, in
welche von mehren verwandten gesetzlichen Kategorien sie unterzubringen sind,
ob z. B. unter Diebstahl. Unterschlagung oder Betrug, unter Verleumdung
oder wissentlich falsche Denunciation. Aber man vergesse auch nicht, daß die
Geschwornen, wenn sie nicht selbst diesen Grad von Vertrautheit mit dem
Strafgesetzbuch besitzen, bei jeder zweifelhaften Frage Rath und Belehrung
des Vorsitzenden Richters einholen dürfen, daß sie ihr Berbice überhaupt nur
auf Grund einer Verhandlung abgeben, die völlig von Fachmännern dirigirt
wird, und ihnen sowol von Stnatsanwalt und Vertheidiger, als auch durch
das unparteiische Resumöe des Präsidenten zusammenhängend in ihren bedeu¬
tendsten Momenten vorgeführt worden ist.

Wenn trotzdem manche Verbiete vorkommrn, über welche Juristen den
Kopf schütteln, so glauben wir die Veranlassung dazu in einigen nicht unheil¬
baren Mängeln unsrer Geschwornengerichte zu finden. Von unglücklichen Fällen,
in denen ein „Schuldig" sich später als eine ungerechte Verurtheilung heraus¬
stellt, sehen wir ab. Das kann bei unseligen Verkettungen von Jndicien, bei
meineidiger Zeugen auch vor Nichtercollegien vorkommen. Diese Fälle pflegen
nicht zu denen zu gehören, welche dem Juristen als Angriffswaffe gegen die
Jury dienen müssen, denn die mitwirkenden Richter tragen dabei die gleiche
Verantwortlichkeit, da das Gesetz (Art. 99. des Geh. v. 3. Mai 1852) ihnen
ausdrücklich gestattet, jede Sache, in welcher ihnen die Geschwornen materiell
zum Nachtheil des Angeklagten geirrt zu haben scheinen, ohne Angabe von
Gründen vor ein neues Schwurgericht zu weisen. Wir geben allerdings zu.
auch Verbiete zu kennen, welche mit den Thatsachen und allen Regeln des
Denkens in unbegreiflichen Widerspruch stehen. Aber sie würden seltner wer¬
den und wahrscheinlich günz verschwinden, sobald folgende drei Veränderungen
einträten. Erstens in der Zusammensetzung der Jury, zweitens in dem Ver¬
fahren, drittens in dem Verbiet selbst.

Durch die Höhe des geforderten Census wird die Zahl der in Abstracto
zum Geschwornenamt Befähigten, wie wir schon bemerkt haben, ungemein
beschränkt und dadurch einerseits die Last der Qualificirten eine ziemlich drückende,
andrerseits die Auswahl erschwert und viele sehr tüchtige Elemente ausge¬
schlossen. Wer so viel Vermögen oder Einkommen besitzt, um ohne zu große
Opfer sich dem Gemeindedienst einige Tage unentgeltlich unterziehen zu können,


17*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0139" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105950"/>
          <p xml:id="ID_325" prev="#ID_324"> der Kern der ganzen Frage. Damit ist das Vorhandensein der verbrecherischen<lb/>
Absicht und der Zurechnungsfähigkeit ausgesprochen, die keineswegs juristische<lb/>
Begriffe, sondern einfache Urtheile des gewöhnlichen Verstandes über vorlie¬<lb/>
gende Facta sind. Es gibt allerdings qualisicirende Merkmale der Schuld<lb/>
wie die bestimmten Milderungs- und Schärfungsgründe, Theilnahme, Begün¬<lb/>
stigung und Versuch, welche das Gesetz zu juristischen Begriffen gemacht hat;<lb/>
ebenso kommen Verbrechen vor, von denen es zweifelhaft werden kann, in<lb/>
welche von mehren verwandten gesetzlichen Kategorien sie unterzubringen sind,<lb/>
ob z. B. unter Diebstahl. Unterschlagung oder Betrug, unter Verleumdung<lb/>
oder wissentlich falsche Denunciation. Aber man vergesse auch nicht, daß die<lb/>
Geschwornen, wenn sie nicht selbst diesen Grad von Vertrautheit mit dem<lb/>
Strafgesetzbuch besitzen, bei jeder zweifelhaften Frage Rath und Belehrung<lb/>
des Vorsitzenden Richters einholen dürfen, daß sie ihr Berbice überhaupt nur<lb/>
auf Grund einer Verhandlung abgeben, die völlig von Fachmännern dirigirt<lb/>
wird, und ihnen sowol von Stnatsanwalt und Vertheidiger, als auch durch<lb/>
das unparteiische Resumöe des Präsidenten zusammenhängend in ihren bedeu¬<lb/>
tendsten Momenten vorgeführt worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_326"> Wenn trotzdem manche Verbiete vorkommrn, über welche Juristen den<lb/>
Kopf schütteln, so glauben wir die Veranlassung dazu in einigen nicht unheil¬<lb/>
baren Mängeln unsrer Geschwornengerichte zu finden. Von unglücklichen Fällen,<lb/>
in denen ein &#x201E;Schuldig" sich später als eine ungerechte Verurtheilung heraus¬<lb/>
stellt, sehen wir ab. Das kann bei unseligen Verkettungen von Jndicien, bei<lb/>
meineidiger Zeugen auch vor Nichtercollegien vorkommen. Diese Fälle pflegen<lb/>
nicht zu denen zu gehören, welche dem Juristen als Angriffswaffe gegen die<lb/>
Jury dienen müssen, denn die mitwirkenden Richter tragen dabei die gleiche<lb/>
Verantwortlichkeit, da das Gesetz (Art. 99. des Geh. v. 3. Mai 1852) ihnen<lb/>
ausdrücklich gestattet, jede Sache, in welcher ihnen die Geschwornen materiell<lb/>
zum Nachtheil des Angeklagten geirrt zu haben scheinen, ohne Angabe von<lb/>
Gründen vor ein neues Schwurgericht zu weisen. Wir geben allerdings zu.<lb/>
auch Verbiete zu kennen, welche mit den Thatsachen und allen Regeln des<lb/>
Denkens in unbegreiflichen Widerspruch stehen. Aber sie würden seltner wer¬<lb/>
den und wahrscheinlich günz verschwinden, sobald folgende drei Veränderungen<lb/>
einträten. Erstens in der Zusammensetzung der Jury, zweitens in dem Ver¬<lb/>
fahren, drittens in dem Verbiet selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_327" next="#ID_328"> Durch die Höhe des geforderten Census wird die Zahl der in Abstracto<lb/>
zum Geschwornenamt Befähigten, wie wir schon bemerkt haben, ungemein<lb/>
beschränkt und dadurch einerseits die Last der Qualificirten eine ziemlich drückende,<lb/>
andrerseits die Auswahl erschwert und viele sehr tüchtige Elemente ausge¬<lb/>
schlossen. Wer so viel Vermögen oder Einkommen besitzt, um ohne zu große<lb/>
Opfer sich dem Gemeindedienst einige Tage unentgeltlich unterziehen zu können,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 17*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0139] der Kern der ganzen Frage. Damit ist das Vorhandensein der verbrecherischen Absicht und der Zurechnungsfähigkeit ausgesprochen, die keineswegs juristische Begriffe, sondern einfache Urtheile des gewöhnlichen Verstandes über vorlie¬ gende Facta sind. Es gibt allerdings qualisicirende Merkmale der Schuld wie die bestimmten Milderungs- und Schärfungsgründe, Theilnahme, Begün¬ stigung und Versuch, welche das Gesetz zu juristischen Begriffen gemacht hat; ebenso kommen Verbrechen vor, von denen es zweifelhaft werden kann, in welche von mehren verwandten gesetzlichen Kategorien sie unterzubringen sind, ob z. B. unter Diebstahl. Unterschlagung oder Betrug, unter Verleumdung oder wissentlich falsche Denunciation. Aber man vergesse auch nicht, daß die Geschwornen, wenn sie nicht selbst diesen Grad von Vertrautheit mit dem Strafgesetzbuch besitzen, bei jeder zweifelhaften Frage Rath und Belehrung des Vorsitzenden Richters einholen dürfen, daß sie ihr Berbice überhaupt nur auf Grund einer Verhandlung abgeben, die völlig von Fachmännern dirigirt wird, und ihnen sowol von Stnatsanwalt und Vertheidiger, als auch durch das unparteiische Resumöe des Präsidenten zusammenhängend in ihren bedeu¬ tendsten Momenten vorgeführt worden ist. Wenn trotzdem manche Verbiete vorkommrn, über welche Juristen den Kopf schütteln, so glauben wir die Veranlassung dazu in einigen nicht unheil¬ baren Mängeln unsrer Geschwornengerichte zu finden. Von unglücklichen Fällen, in denen ein „Schuldig" sich später als eine ungerechte Verurtheilung heraus¬ stellt, sehen wir ab. Das kann bei unseligen Verkettungen von Jndicien, bei meineidiger Zeugen auch vor Nichtercollegien vorkommen. Diese Fälle pflegen nicht zu denen zu gehören, welche dem Juristen als Angriffswaffe gegen die Jury dienen müssen, denn die mitwirkenden Richter tragen dabei die gleiche Verantwortlichkeit, da das Gesetz (Art. 99. des Geh. v. 3. Mai 1852) ihnen ausdrücklich gestattet, jede Sache, in welcher ihnen die Geschwornen materiell zum Nachtheil des Angeklagten geirrt zu haben scheinen, ohne Angabe von Gründen vor ein neues Schwurgericht zu weisen. Wir geben allerdings zu. auch Verbiete zu kennen, welche mit den Thatsachen und allen Regeln des Denkens in unbegreiflichen Widerspruch stehen. Aber sie würden seltner wer¬ den und wahrscheinlich günz verschwinden, sobald folgende drei Veränderungen einträten. Erstens in der Zusammensetzung der Jury, zweitens in dem Ver¬ fahren, drittens in dem Verbiet selbst. Durch die Höhe des geforderten Census wird die Zahl der in Abstracto zum Geschwornenamt Befähigten, wie wir schon bemerkt haben, ungemein beschränkt und dadurch einerseits die Last der Qualificirten eine ziemlich drückende, andrerseits die Auswahl erschwert und viele sehr tüchtige Elemente ausge¬ schlossen. Wer so viel Vermögen oder Einkommen besitzt, um ohne zu große Opfer sich dem Gemeindedienst einige Tage unentgeltlich unterziehen zu können, 17*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/139
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/139>, abgerufen am 22.07.2024.