Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.nehmen; es kommt noch hinzu, daß der Geschworne in der Regel nicht in nehmen; es kommt noch hinzu, daß der Geschworne in der Regel nicht in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105946"/> <p xml:id="ID_319" prev="#ID_318" next="#ID_320"> nehmen; es kommt noch hinzu, daß der Geschworne in der Regel nicht in<lb/> dem Maße von der unverletzlichen Nothwendigkeit der staatlichen Ordnung in<lb/> Abstracto durchdrungen sein wird, um Vergehen gegen sie ebenso strenge zu<lb/> beurtheilen, wie z. B. Vermögensverbrcchen, durchweiche er sogleich und un¬<lb/> mittelbar sich selbst bedroht sieht. Trotzdem möchten wir auch auf eine andere<lb/> Seite der Frage aufmerksam machen. In solcher allgemeinen Erregung, wie<lb/> wir sie 1848 erlebt haben, scheint ein ansteckender Gährungsstoff die Gemüther<lb/> ergriffen und die Idee des Staats ihrer Hoheit entkleidet zu haben. Pygmäen<lb/> wagen es. gegen den uralten, ehernen Bau die Hand zu erheben, und Federn<lb/> wie Zungen treiben sich zu Drohungen hinauf, welchen die That dennoch nie¬<lb/> mals Wirklichkeit geben würde. Was die Zeit und was die Massen verschul¬<lb/> den, wird endlich an den Einzelnen gerächt, welche nur um einen Grad lauter<lb/> und hartnäckiger schrien, als tausend andere von der gleichen innern Schuld.<lb/> Sollte dann das mildere Urtheil von Geschwornen, wenn nicht an strenger<lb/> Gerechtigkeit, so doch an eigentlicher Billigkeit vor dem kühlern und objecti¬<lb/> veren Spruch des Richters den Vorzug verdienen? Wir wollen nicht unbedingt<lb/> ja sagen. Aber was erfüllt uns denn mit so tiefem Mitleid gegen die poli¬<lb/> tischen Verurtheilten und Verbannten aus jenen Jahren und macht den Wunsch<lb/> nach Amnestie bei allen laut, sie mögen gehören, zu welcher Partei sie wollen,<lb/> und die Verurteilungen sür noch so gerecht halten? Was empört uns grade-<lb/> zu. wenn wir heute noch ein paar arme Gevatter Schneider und Handschuh¬<lb/> macher zu langjähriger Zuchthaushaft verurtheilt sehen, weil sie vor zehn<lb/> Jahren einmal etwas zu geräuschvoll „Staatsumwälzung" gespielt haben?<lb/> Sie alle haben unzweifelhaft gegen ein hohes Gut der Menschheit gesündigt;<lb/> wenn aber nicht der Freisprechung, mag hier doch der Gnade ein Platz ge¬<lb/> gönnt sein, Aber auch ohne über politische Vergehen competent zu sein,<lb/> haben die Geschwornengerichte sich bei uns bewährt und in den Städten we¬<lb/> nigstens allgemein Anhänger gefunden. Es wäre traurig, wenn dem nicht<lb/> so wäre, wenn das ganze Institut aus Gründen, welche außerhalb der Zwecke<lb/> des Rechts liegen, in unsere Rechtsverfassung übertragen wäre. Schon ein<lb/> factischer Umstand müßte vor solcher Ausfassung ihres Wesens warnen: Die<lb/> praktischen Engländer und Amerikaner, welche einem politischen Amulet zu<lb/> Liebe gewiß nicht eine mangelhafte Rechtsprechung mit in den Kauf nehmen<lb/> würden, haben die Jury im Criminal- und im Civilproceß seit einer Reihe<lb/> von Jahren, in denen sich die Zweckmäßigkeit einer Einrichtung wol erproben<lb/> läßt, und nie kommt es einer ihrer Parteien in den Sinn, eine principielle<lb/> Umgestaltung derselben auf ihr Programm zu setzen. Wir wollen damit na¬<lb/> türlich nicht sagen, daß eine für Amerika und England passende Einrichtung<lb/> deshalb auch der ganzen übrigen Welt zuträglich sein müßte. Wo es noch<lb/> besondere Classen- und Standesrechte gibt, wäre ein Geschwornengericht, wei-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0135]
nehmen; es kommt noch hinzu, daß der Geschworne in der Regel nicht in
dem Maße von der unverletzlichen Nothwendigkeit der staatlichen Ordnung in
Abstracto durchdrungen sein wird, um Vergehen gegen sie ebenso strenge zu
beurtheilen, wie z. B. Vermögensverbrcchen, durchweiche er sogleich und un¬
mittelbar sich selbst bedroht sieht. Trotzdem möchten wir auch auf eine andere
Seite der Frage aufmerksam machen. In solcher allgemeinen Erregung, wie
wir sie 1848 erlebt haben, scheint ein ansteckender Gährungsstoff die Gemüther
ergriffen und die Idee des Staats ihrer Hoheit entkleidet zu haben. Pygmäen
wagen es. gegen den uralten, ehernen Bau die Hand zu erheben, und Federn
wie Zungen treiben sich zu Drohungen hinauf, welchen die That dennoch nie¬
mals Wirklichkeit geben würde. Was die Zeit und was die Massen verschul¬
den, wird endlich an den Einzelnen gerächt, welche nur um einen Grad lauter
und hartnäckiger schrien, als tausend andere von der gleichen innern Schuld.
Sollte dann das mildere Urtheil von Geschwornen, wenn nicht an strenger
Gerechtigkeit, so doch an eigentlicher Billigkeit vor dem kühlern und objecti¬
veren Spruch des Richters den Vorzug verdienen? Wir wollen nicht unbedingt
ja sagen. Aber was erfüllt uns denn mit so tiefem Mitleid gegen die poli¬
tischen Verurtheilten und Verbannten aus jenen Jahren und macht den Wunsch
nach Amnestie bei allen laut, sie mögen gehören, zu welcher Partei sie wollen,
und die Verurteilungen sür noch so gerecht halten? Was empört uns grade-
zu. wenn wir heute noch ein paar arme Gevatter Schneider und Handschuh¬
macher zu langjähriger Zuchthaushaft verurtheilt sehen, weil sie vor zehn
Jahren einmal etwas zu geräuschvoll „Staatsumwälzung" gespielt haben?
Sie alle haben unzweifelhaft gegen ein hohes Gut der Menschheit gesündigt;
wenn aber nicht der Freisprechung, mag hier doch der Gnade ein Platz ge¬
gönnt sein, Aber auch ohne über politische Vergehen competent zu sein,
haben die Geschwornengerichte sich bei uns bewährt und in den Städten we¬
nigstens allgemein Anhänger gefunden. Es wäre traurig, wenn dem nicht
so wäre, wenn das ganze Institut aus Gründen, welche außerhalb der Zwecke
des Rechts liegen, in unsere Rechtsverfassung übertragen wäre. Schon ein
factischer Umstand müßte vor solcher Ausfassung ihres Wesens warnen: Die
praktischen Engländer und Amerikaner, welche einem politischen Amulet zu
Liebe gewiß nicht eine mangelhafte Rechtsprechung mit in den Kauf nehmen
würden, haben die Jury im Criminal- und im Civilproceß seit einer Reihe
von Jahren, in denen sich die Zweckmäßigkeit einer Einrichtung wol erproben
läßt, und nie kommt es einer ihrer Parteien in den Sinn, eine principielle
Umgestaltung derselben auf ihr Programm zu setzen. Wir wollen damit na¬
türlich nicht sagen, daß eine für Amerika und England passende Einrichtung
deshalb auch der ganzen übrigen Welt zuträglich sein müßte. Wo es noch
besondere Classen- und Standesrechte gibt, wäre ein Geschwornengericht, wei-
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