Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.den genannten Behörden dagegen binnen drei Tagen protokollarisch zu recla- In dieser Gestalt haben die Schwurgerichte nun seit neun Jahren in den genannten Behörden dagegen binnen drei Tagen protokollarisch zu recla- In dieser Gestalt haben die Schwurgerichte nun seit neun Jahren in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105945"/> <p xml:id="ID_317" prev="#ID_316"> den genannten Behörden dagegen binnen drei Tagen protokollarisch zu recla-<lb/> miren — aber auch weiter nichts. Zu Geschwornen können nicht berufen<lb/> werden: Hohe Administrativbeamte, Staatsanwälte und richterliche Beamte,<lb/> active Militärs, Geistliche, Elementarschullehrer, Greise über 70 Jahr und<lb/> alle Personen, welche die obengenannten Steuersähe nicht zahlen d. h. ein<lb/> überwiegender Theil unserer Mittelstände. Ist die Uriiste zusammengestellt,<lb/> so haben die damit betrauten Behörden mit den Direktoren der Gerichte erster<lb/> Instanz über die Qualification der einzelnen Berechtigten Rücksprache zu neh¬<lb/> men, die Bemerkungen derselben in die Listen einzutragen und solche an den<lb/> Regierungspräsidenten zu senden, der daraus Dienstlisten von 48 Personen<lb/> zusammenstellt und an das Assisengericht sendet, dessen Präsident 30 von diesen<lb/> 48 als Geschworne einberuft. Die Einberufenen müssen bei einer Geldstrafe,<lb/> die auf 100—200 Thlr. gesteigert werden kann, erscheinen, oder rechtzeitig<lb/> Entschuldigungsgründe für ihr Ausbleiben anführen, über deren Gewicht das<lb/> Gericht entscheidet. Für gehörig Entschuldigte werden andere aus der Dienst¬<lb/> liste, im Nothfall aus einer vom Regierungspräsidenten für das ganze Ge¬<lb/> schäftsjahr gebildeten Ergänzungsliste einberufen. Der Angeklagte erhält<lb/> einige Tage vor der Verhandlung Einsicht in die definitiv gebildete Dienst¬<lb/> liste. Unmittelbar vor Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt die Bildung<lb/> des Schwurgerichts für den bestimmten Fall in öffentlicher Sitzung und der<lb/> Präsident lost bei gleichem Verwerfungsrecht des Angeklagten und des Staats¬<lb/> anwalts von mindestens 24 Erschienenen die 12 Urtheilsgeschwornen aus,<lb/> welche mit mehr als 7 Stimmen das Schuldig aussprechen tonnen, während<lb/> bei 7 gegen 5 Stimmen der Spruch des Gerichtshofs dem ihrigen beitreten<lb/> muß, um die Verurtheilung des Angeklagten zu bewirken.</p><lb/> <p xml:id="ID_318" next="#ID_319"> In dieser Gestalt haben die Schwurgerichte nun seit neun Jahren in<lb/> Preußen bestanden. Von den politischen Wunderwirkungen, die man von<lb/> ihnen erwartete, hat keine sich erfüllt, als politische und Preßvergehen noch<lb/> an der Tagesordnung waren. Doch mochten manche zu milde Verbiete der<lb/> Regierung ein sehr verzeihliches Mißtrauen gegen ihr unparteiisches Urtheil in<lb/> politischen Fragen einflößen, infolge dessen zuerst die schweren Verbrechen gegen<lb/> den Staat und die Person des Monarchen, endlich auch alle politischen und<lb/> Preßvergehen ihrer Kompetenz entzogen, und jene einem besondern Staats¬<lb/> gerichtshof, diese den Gerichtsabtheilungen überwiesen wurden. Wenn es hier<lb/> darauf ankommt, das Gesetz nach vollem, strengem Recht walten zu lassen,<lb/> ist das gewiß ein Fortschritt; denn die Geschwornen werden aus Classen der<lb/> Gesellschaft genommen, welche selbst der politischen Strömung der Zeit mehr<lb/> unterworfen sind, als der gelehrte Richter, welcher durch lange Uebung ge¬<lb/> wohnt ist, von allem zu abstrahiren und mitten im Drang des Lebens und<lb/> der eignen Empfindung das Gesetz zur alleinigen Richtschnur des Urtheils zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
den genannten Behörden dagegen binnen drei Tagen protokollarisch zu recla-
miren — aber auch weiter nichts. Zu Geschwornen können nicht berufen
werden: Hohe Administrativbeamte, Staatsanwälte und richterliche Beamte,
active Militärs, Geistliche, Elementarschullehrer, Greise über 70 Jahr und
alle Personen, welche die obengenannten Steuersähe nicht zahlen d. h. ein
überwiegender Theil unserer Mittelstände. Ist die Uriiste zusammengestellt,
so haben die damit betrauten Behörden mit den Direktoren der Gerichte erster
Instanz über die Qualification der einzelnen Berechtigten Rücksprache zu neh¬
men, die Bemerkungen derselben in die Listen einzutragen und solche an den
Regierungspräsidenten zu senden, der daraus Dienstlisten von 48 Personen
zusammenstellt und an das Assisengericht sendet, dessen Präsident 30 von diesen
48 als Geschworne einberuft. Die Einberufenen müssen bei einer Geldstrafe,
die auf 100—200 Thlr. gesteigert werden kann, erscheinen, oder rechtzeitig
Entschuldigungsgründe für ihr Ausbleiben anführen, über deren Gewicht das
Gericht entscheidet. Für gehörig Entschuldigte werden andere aus der Dienst¬
liste, im Nothfall aus einer vom Regierungspräsidenten für das ganze Ge¬
schäftsjahr gebildeten Ergänzungsliste einberufen. Der Angeklagte erhält
einige Tage vor der Verhandlung Einsicht in die definitiv gebildete Dienst¬
liste. Unmittelbar vor Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgt die Bildung
des Schwurgerichts für den bestimmten Fall in öffentlicher Sitzung und der
Präsident lost bei gleichem Verwerfungsrecht des Angeklagten und des Staats¬
anwalts von mindestens 24 Erschienenen die 12 Urtheilsgeschwornen aus,
welche mit mehr als 7 Stimmen das Schuldig aussprechen tonnen, während
bei 7 gegen 5 Stimmen der Spruch des Gerichtshofs dem ihrigen beitreten
muß, um die Verurtheilung des Angeklagten zu bewirken.
In dieser Gestalt haben die Schwurgerichte nun seit neun Jahren in
Preußen bestanden. Von den politischen Wunderwirkungen, die man von
ihnen erwartete, hat keine sich erfüllt, als politische und Preßvergehen noch
an der Tagesordnung waren. Doch mochten manche zu milde Verbiete der
Regierung ein sehr verzeihliches Mißtrauen gegen ihr unparteiisches Urtheil in
politischen Fragen einflößen, infolge dessen zuerst die schweren Verbrechen gegen
den Staat und die Person des Monarchen, endlich auch alle politischen und
Preßvergehen ihrer Kompetenz entzogen, und jene einem besondern Staats¬
gerichtshof, diese den Gerichtsabtheilungen überwiesen wurden. Wenn es hier
darauf ankommt, das Gesetz nach vollem, strengem Recht walten zu lassen,
ist das gewiß ein Fortschritt; denn die Geschwornen werden aus Classen der
Gesellschaft genommen, welche selbst der politischen Strömung der Zeit mehr
unterworfen sind, als der gelehrte Richter, welcher durch lange Uebung ge¬
wohnt ist, von allem zu abstrahiren und mitten im Drang des Lebens und
der eignen Empfindung das Gesetz zur alleinigen Richtschnur des Urtheils zu
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