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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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gute und auskömmliche Verpflegung. -- Nach Frankreich kam die Jury, und
zwar Anklage- und Urtheilsjury, während der ersten Revolution, aber in einer
so völlig mißverstandnen Weise, daß sie grade das Gegentheil von dem leistete,
was die Jury gewähren soll: die Garantie eines Zutrauen erweckenden und
unparteiischen Urtheils. Nicht nur die Geschwornen selbst, auch Richter und
Assisenpräsident gingen aus Urwähler hervor, und der Pöbel, welcher auf der
Straße durch rohe Gewalt terrorisirte, durfte im Gerichtssaal unter dem
Schein des Gesetzes herrschen. Napoleon, obgleich kein Freund der Jury,
stellte sie, die unter jener Gestalt sich selbst unmöglich gemacht hatte, dennoch
wieder her. und behielt sie auch im Loäe ä'instruction bei, wenigstens die Ur¬
theilsjury. Nur legte er die Bildung der jährlichen Dienstliste von 60 Personen
in die Hand der Präfecten und forderte von dem Geschwornen ein Alter von
30 Jahren, außerdem bedeutendes Vermögen oder Bildung. Von den 60 Personen
der Dienstliste strich der vom Justizminister jedesmal ernannte Assisenpräsident
24 fort; aus den 36 übrigen wurden 12 ausgelost; Ankläger und Vertheidiger
hatten bei der Auslosung ein gleiches Verwerfungsrecht. Das Urtheil durfte nicht
einstimmig abgegeben werden; über die Zahl der zum "Schuldig" erforderlichen
Stimmen jedoch hat die Gesetzgebung wiederholentlich verschiedene Bestimmungen
gegeben. Durch spätere Gesetze namentlich die von 1827, 1848 und 1853 ist dann
ein großer Fortschritt in der Verbesserung der Geschwornengerichte geschehn. Die
Zahl der abhängigen Beamten, welche früher einen großenTheil der Geschwornen¬
listen füllten, der Einfluß des Vermögens und des Präfecten sind bei der Bildung
der Urlisten und >der Dicnstliste völlig beseitigt, und an ihre Stelle der
Friedensrichter unter der Controle unbeschränkter Teffentlichkeit und die blinde,
aber wenigstens unparteiische Entscheidung des Looses getreten. -- Nach
Preußen wurden die Geschwornengerichte leider übertragen, bevor Frank¬
reich diese Reformen erlebt hatte, und deshalb sind bei uns noch alle die
Principien erkennbar, von welchen die erste napoleonische Gesetzgebung aus¬
ging: der Einfluß der Regierungsbeamten auf Bildung der Jury für den ein¬
zelnen Fall, die Bedeutung des Vermögens für die potenzielle Fähigkeit zum
Geschwornenamt. Die §§. 62--96 der Verord. v. 3. Jan. 1849 und Art.
55--72 des Geh. v. 31. Mai 1852 bestimmen darüber etwa Folgendes: Jeder
30 Jahr alte, unbescholtene. Lesens und Schreibens kundige Preuße, der in
seiner Gemeinde seit einem Jahr wohnt und entweder 16 Thlr. Classensteuer,
20 Thlr. Grundsteuer oder 24 Thlr. Gewerbesteuer zahlt, außerdem Beamte,
die vom König unmittelbar ernannt sind, oder ein jährliches Gehalt von
mindestens 500 Thlr. beziehen, Rechtsanwälte, Professoren und approbirte
Aerzte haben einen Anspruch auf die vom Landrath, Gemeindevorstand oder
Stadtmagistrat gebildete Urliste zu kommen und das Recht, wenn dieses bei
der öffentlichen Auslegung derselben sich als nicht geschehen herausstellt, bei


gute und auskömmliche Verpflegung. — Nach Frankreich kam die Jury, und
zwar Anklage- und Urtheilsjury, während der ersten Revolution, aber in einer
so völlig mißverstandnen Weise, daß sie grade das Gegentheil von dem leistete,
was die Jury gewähren soll: die Garantie eines Zutrauen erweckenden und
unparteiischen Urtheils. Nicht nur die Geschwornen selbst, auch Richter und
Assisenpräsident gingen aus Urwähler hervor, und der Pöbel, welcher auf der
Straße durch rohe Gewalt terrorisirte, durfte im Gerichtssaal unter dem
Schein des Gesetzes herrschen. Napoleon, obgleich kein Freund der Jury,
stellte sie, die unter jener Gestalt sich selbst unmöglich gemacht hatte, dennoch
wieder her. und behielt sie auch im Loäe ä'instruction bei, wenigstens die Ur¬
theilsjury. Nur legte er die Bildung der jährlichen Dienstliste von 60 Personen
in die Hand der Präfecten und forderte von dem Geschwornen ein Alter von
30 Jahren, außerdem bedeutendes Vermögen oder Bildung. Von den 60 Personen
der Dienstliste strich der vom Justizminister jedesmal ernannte Assisenpräsident
24 fort; aus den 36 übrigen wurden 12 ausgelost; Ankläger und Vertheidiger
hatten bei der Auslosung ein gleiches Verwerfungsrecht. Das Urtheil durfte nicht
einstimmig abgegeben werden; über die Zahl der zum „Schuldig" erforderlichen
Stimmen jedoch hat die Gesetzgebung wiederholentlich verschiedene Bestimmungen
gegeben. Durch spätere Gesetze namentlich die von 1827, 1848 und 1853 ist dann
ein großer Fortschritt in der Verbesserung der Geschwornengerichte geschehn. Die
Zahl der abhängigen Beamten, welche früher einen großenTheil der Geschwornen¬
listen füllten, der Einfluß des Vermögens und des Präfecten sind bei der Bildung
der Urlisten und >der Dicnstliste völlig beseitigt, und an ihre Stelle der
Friedensrichter unter der Controle unbeschränkter Teffentlichkeit und die blinde,
aber wenigstens unparteiische Entscheidung des Looses getreten. — Nach
Preußen wurden die Geschwornengerichte leider übertragen, bevor Frank¬
reich diese Reformen erlebt hatte, und deshalb sind bei uns noch alle die
Principien erkennbar, von welchen die erste napoleonische Gesetzgebung aus¬
ging: der Einfluß der Regierungsbeamten auf Bildung der Jury für den ein¬
zelnen Fall, die Bedeutung des Vermögens für die potenzielle Fähigkeit zum
Geschwornenamt. Die §§. 62—96 der Verord. v. 3. Jan. 1849 und Art.
55—72 des Geh. v. 31. Mai 1852 bestimmen darüber etwa Folgendes: Jeder
30 Jahr alte, unbescholtene. Lesens und Schreibens kundige Preuße, der in
seiner Gemeinde seit einem Jahr wohnt und entweder 16 Thlr. Classensteuer,
20 Thlr. Grundsteuer oder 24 Thlr. Gewerbesteuer zahlt, außerdem Beamte,
die vom König unmittelbar ernannt sind, oder ein jährliches Gehalt von
mindestens 500 Thlr. beziehen, Rechtsanwälte, Professoren und approbirte
Aerzte haben einen Anspruch auf die vom Landrath, Gemeindevorstand oder
Stadtmagistrat gebildete Urliste zu kommen und das Recht, wenn dieses bei
der öffentlichen Auslegung derselben sich als nicht geschehen herausstellt, bei


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[0133] gute und auskömmliche Verpflegung. — Nach Frankreich kam die Jury, und zwar Anklage- und Urtheilsjury, während der ersten Revolution, aber in einer so völlig mißverstandnen Weise, daß sie grade das Gegentheil von dem leistete, was die Jury gewähren soll: die Garantie eines Zutrauen erweckenden und unparteiischen Urtheils. Nicht nur die Geschwornen selbst, auch Richter und Assisenpräsident gingen aus Urwähler hervor, und der Pöbel, welcher auf der Straße durch rohe Gewalt terrorisirte, durfte im Gerichtssaal unter dem Schein des Gesetzes herrschen. Napoleon, obgleich kein Freund der Jury, stellte sie, die unter jener Gestalt sich selbst unmöglich gemacht hatte, dennoch wieder her. und behielt sie auch im Loäe ä'instruction bei, wenigstens die Ur¬ theilsjury. Nur legte er die Bildung der jährlichen Dienstliste von 60 Personen in die Hand der Präfecten und forderte von dem Geschwornen ein Alter von 30 Jahren, außerdem bedeutendes Vermögen oder Bildung. Von den 60 Personen der Dienstliste strich der vom Justizminister jedesmal ernannte Assisenpräsident 24 fort; aus den 36 übrigen wurden 12 ausgelost; Ankläger und Vertheidiger hatten bei der Auslosung ein gleiches Verwerfungsrecht. Das Urtheil durfte nicht einstimmig abgegeben werden; über die Zahl der zum „Schuldig" erforderlichen Stimmen jedoch hat die Gesetzgebung wiederholentlich verschiedene Bestimmungen gegeben. Durch spätere Gesetze namentlich die von 1827, 1848 und 1853 ist dann ein großer Fortschritt in der Verbesserung der Geschwornengerichte geschehn. Die Zahl der abhängigen Beamten, welche früher einen großenTheil der Geschwornen¬ listen füllten, der Einfluß des Vermögens und des Präfecten sind bei der Bildung der Urlisten und >der Dicnstliste völlig beseitigt, und an ihre Stelle der Friedensrichter unter der Controle unbeschränkter Teffentlichkeit und die blinde, aber wenigstens unparteiische Entscheidung des Looses getreten. — Nach Preußen wurden die Geschwornengerichte leider übertragen, bevor Frank¬ reich diese Reformen erlebt hatte, und deshalb sind bei uns noch alle die Principien erkennbar, von welchen die erste napoleonische Gesetzgebung aus¬ ging: der Einfluß der Regierungsbeamten auf Bildung der Jury für den ein¬ zelnen Fall, die Bedeutung des Vermögens für die potenzielle Fähigkeit zum Geschwornenamt. Die §§. 62—96 der Verord. v. 3. Jan. 1849 und Art. 55—72 des Geh. v. 31. Mai 1852 bestimmen darüber etwa Folgendes: Jeder 30 Jahr alte, unbescholtene. Lesens und Schreibens kundige Preuße, der in seiner Gemeinde seit einem Jahr wohnt und entweder 16 Thlr. Classensteuer, 20 Thlr. Grundsteuer oder 24 Thlr. Gewerbesteuer zahlt, außerdem Beamte, die vom König unmittelbar ernannt sind, oder ein jährliches Gehalt von mindestens 500 Thlr. beziehen, Rechtsanwälte, Professoren und approbirte Aerzte haben einen Anspruch auf die vom Landrath, Gemeindevorstand oder Stadtmagistrat gebildete Urliste zu kommen und das Recht, wenn dieses bei der öffentlichen Auslegung derselben sich als nicht geschehen herausstellt, bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/133>, abgerufen am 29.06.2024.