Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.anwaltes commissarisch ernennt beim Einzelrichter für Übertretungen. Sie Es ist durchaus natürlich und sachgemäß, daß zum Schutz aller Verhält¬ anwaltes commissarisch ernennt beim Einzelrichter für Übertretungen. Sie Es ist durchaus natürlich und sachgemäß, daß zum Schutz aller Verhält¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105929"/> <p xml:id="ID_287" prev="#ID_286"> anwaltes commissarisch ernennt beim Einzelrichter für Übertretungen. Sie<lb/> sind sämmtlich als nichtrichterliche Beamte bezeichnet, die ohne Weiteres absetz¬<lb/> bar und der Disciplin des Justizministers unterworfen sind, das heißt also für<lb/> einen constitutionellen Staat: Sie sind Vertreter und zum großen Theil ab¬<lb/> hängige Werkzeuge der jedes Mal am Ruder befindlichen Partei. Damit ver¬<lb/> trägt es sich nicht, daß das Recht der Anklage ausschließlich in ihre Hand<lb/> gelegt ist, gleichfalls eine unglückliche Uebertragung aus Frankreich, wo jedem<lb/> Staatsanwalt sogar die Annahme oder Erhebung einer Klage von seinen Vor.<lb/> gesetzten untersagt werden kann, so lange er die Sache noch nicht gerichtlich<lb/> anhängig gemacht hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_288" next="#ID_289"> Es ist durchaus natürlich und sachgemäß, daß zum Schutz aller Verhält¬<lb/> nisse, für welche sich durch Zufall' oder nach ihrem, dem unmittelbaren Inter¬<lb/> esse der Einzelnen fern liegenden Charakter im Fall einer Verletzung kein<lb/> Klüger findet, eine öffentliche Behörde bestellt wird. Der Mangel solcher Ein¬<lb/> richtung in England — denn der Attorney und Sollicitor general sind nur<lb/> Vertreter des Ministeriums, wo dieses als Partei in einem Criminalproceß<lb/> erscheint — dünkt uns keineswegs ein Vorzug des englischen Gerichtswesens<lb/> zu sein. Aber damit ist die Privatanklage noch nicht unentbehrlich gemacht,<lb/> oder wenigstens scheint uns kein Grund vorhanden, deshalb das Recht der<lb/> Klage allen mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft zu nehmen. Für die ge¬<lb/> wöhnlichen Verbrechen, dnrch welche der Einzelne verletzt zu werden pflegt, ist<lb/> die Sache unverfänglich. Aber man nehme den Fall der Verkümmerung eines<lb/> politischen Rechts, dessen Ausübung dem Ministerium vielleicht unbequem<lb/> wäre, den Fall, wo ein Privatmann, dem etwas Chikane gern gegönnt wird,<lb/> durch diensteifrige Polizeibeamte verletzt ist, oder wo umgekehrt ein Privat¬<lb/> mann, dem man für manchen Dienst verpflichtet ist, ein Gesetz übertreten hat,<lb/> und wir stehen vor den bedenklichsten Erscheinungen, die kein gesundes Staats-<lb/> leben verträgt: das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft wird zur Justiz¬<lb/> verweigerung. Außer dieser, hier allmächtigen und im Verfahren durchweg<lb/> bevorzugten Stellung der Staatsanwaltschaft leidet unsre neue Criminalein-<lb/> richtung noch an einem besonders ins Auge springenden Uebel: den ausgedehn¬<lb/> ten Befugnissen der Criminalpolizei, welche für alle vorbereitenden Handlungen<lb/> zur Ermittlung eines Verbrechens den Gerichten coordinirt ist, ohne wie diese<lb/> an die Bestimmungen der Habeascorpusacte und der Verfassung gebunden<lb/> zu sein. Bis zur Führung förmlicher, inquisitorischer Voruntersuchungen, wie<lb/> Herr von Hinkeldey sie in Berlin eingerichtet hatte, gehen diese Befugnisse<lb/> nun freilich nicht. Aber in Haussuchungen, Beschlagnahmen, vorläufigen Ver¬<lb/> haftungen, kann die Criminalpolizei doch eine ziemlich schrankenlose Willkür<lb/> entwickeln, die an sich unangenehm ist und es noch mehr werden kann, wenn<lb/> eine unselige Verkettung von Jndicien es bis zur Voruntersuchungshaft bringt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0118]
anwaltes commissarisch ernennt beim Einzelrichter für Übertretungen. Sie
sind sämmtlich als nichtrichterliche Beamte bezeichnet, die ohne Weiteres absetz¬
bar und der Disciplin des Justizministers unterworfen sind, das heißt also für
einen constitutionellen Staat: Sie sind Vertreter und zum großen Theil ab¬
hängige Werkzeuge der jedes Mal am Ruder befindlichen Partei. Damit ver¬
trägt es sich nicht, daß das Recht der Anklage ausschließlich in ihre Hand
gelegt ist, gleichfalls eine unglückliche Uebertragung aus Frankreich, wo jedem
Staatsanwalt sogar die Annahme oder Erhebung einer Klage von seinen Vor.
gesetzten untersagt werden kann, so lange er die Sache noch nicht gerichtlich
anhängig gemacht hat.
Es ist durchaus natürlich und sachgemäß, daß zum Schutz aller Verhält¬
nisse, für welche sich durch Zufall' oder nach ihrem, dem unmittelbaren Inter¬
esse der Einzelnen fern liegenden Charakter im Fall einer Verletzung kein
Klüger findet, eine öffentliche Behörde bestellt wird. Der Mangel solcher Ein¬
richtung in England — denn der Attorney und Sollicitor general sind nur
Vertreter des Ministeriums, wo dieses als Partei in einem Criminalproceß
erscheint — dünkt uns keineswegs ein Vorzug des englischen Gerichtswesens
zu sein. Aber damit ist die Privatanklage noch nicht unentbehrlich gemacht,
oder wenigstens scheint uns kein Grund vorhanden, deshalb das Recht der
Klage allen mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft zu nehmen. Für die ge¬
wöhnlichen Verbrechen, dnrch welche der Einzelne verletzt zu werden pflegt, ist
die Sache unverfänglich. Aber man nehme den Fall der Verkümmerung eines
politischen Rechts, dessen Ausübung dem Ministerium vielleicht unbequem
wäre, den Fall, wo ein Privatmann, dem etwas Chikane gern gegönnt wird,
durch diensteifrige Polizeibeamte verletzt ist, oder wo umgekehrt ein Privat¬
mann, dem man für manchen Dienst verpflichtet ist, ein Gesetz übertreten hat,
und wir stehen vor den bedenklichsten Erscheinungen, die kein gesundes Staats-
leben verträgt: das Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft wird zur Justiz¬
verweigerung. Außer dieser, hier allmächtigen und im Verfahren durchweg
bevorzugten Stellung der Staatsanwaltschaft leidet unsre neue Criminalein-
richtung noch an einem besonders ins Auge springenden Uebel: den ausgedehn¬
ten Befugnissen der Criminalpolizei, welche für alle vorbereitenden Handlungen
zur Ermittlung eines Verbrechens den Gerichten coordinirt ist, ohne wie diese
an die Bestimmungen der Habeascorpusacte und der Verfassung gebunden
zu sein. Bis zur Führung förmlicher, inquisitorischer Voruntersuchungen, wie
Herr von Hinkeldey sie in Berlin eingerichtet hatte, gehen diese Befugnisse
nun freilich nicht. Aber in Haussuchungen, Beschlagnahmen, vorläufigen Ver¬
haftungen, kann die Criminalpolizei doch eine ziemlich schrankenlose Willkür
entwickeln, die an sich unangenehm ist und es noch mehr werden kann, wenn
eine unselige Verkettung von Jndicien es bis zur Voruntersuchungshaft bringt.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |