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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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mus und eine Härte, welche in Verbindung mit jenem in hundert Fällen zur
Grausamkeit wurde und eine Uebervölrerung der Gefängnisse und Zuchthäuser
mit sich führte, die binnen kurzem eine mildernde Novelle nöthig machte und
zu den wesentlichsten Vorwürfen gegen das neue Gesetzbuch Veranlassung gibt.
Mehr über dasselbe zu sagen, kann hier nicht beabsichtigt werden. Es würde
das eine genaue Darstellung des ganzen frühern und jetzigen materiellen Cri-
minalrechts erfordern, während dieses uns hier nur insoweit interessirt, als
seine Bestimmungen die Reform der Gerichtsverfassung und des Verfahrens
zu ihrer Voraussetzung oder Folge haben.

Das Strafgesetzbuch unterscheidet nach einem allerdings etwas äußerlichen
Motiv drei Arten von Verletzungen des Gesetzes. Uebertretungen, welche mit
Geldbuße bis zu 50Thlr. oder Gefängniß bis zu 6 Wochen, Vergehen, welche
mit höherer Gefängnißstrafe oder Einschließung bis zu 5 Jahren, Verbrechen,
welche mit mehr als öjähriger Einschließung, Zuchthaus oder Tod bestraft
werden. Uebertretungen werden vom Einzelrichter, Vergehen und die meisten
Fälle des Diebstahls, auch wo er das für Vergehen bestimmte Strafmaß über¬
steigen würde, ebenso die politischen und Preßvergehen, welche vor dem Ge¬
setz vom K. März 1854 vor das Schwurgericht gehörten, von einer aus 3 Rich¬
tern des Untergerichts bestehenden Gerichtsabtheilung, Verbrechen, mit Aus¬
nahme der oben erwähnten von einem Schwurgerichtshof abgeurtheilt, der
aus 12 Geschwornen und 4 Richtern unter Vorsitz eines Präsidenten zusammen¬
gesetzt ist, den der Appellationsgerichtspräsident aus der Zahl der vom Justiz¬
minister dazu für ein Jahr designirter Richter ernennt. Für die schweren
politischen Verbrechen ist seit 1853 ein Anklagesenat aus 7 und ein Urtheils¬
senat aus 10 Mitgliedern beim Kammergericht zu Berlin gebildet, die ohne
Geschworne, aber übrigens nach den Regeln des gewöhnlichen öffentlichen,
mündlichen Verfahrens für Verbrechen, für die ganze Monarchie als Staats¬
gerichtshof fungiren. Die Criminalabtheilung besteht bei den Untergerichten
mindestens aus 3, bei Obcrgerichten aus 5, bei dem Obertribunnl aus 7 Mit¬
gliedern. Der Eröffnung der eigentlichen Untersuchung muß jedesmal ein
Beschluß der Gerichtsnbtheilung des competenten Gerichts vorausgehen; bei
Fällen, die vors Schwurgericht gehören, erfolgt die Versetzung in den Anklage¬
stand nach französischem Muster erst, nachdem außer der Gerichtsabtheilung
des Untergerichts auch die des Obergerichts definitiv darüber beschlossen hat.
Neben dieser Organisation der Gerichte steht unter dem Justizministerium die Staats¬
anwaltschaft, gleichfalls nach französischem Vorbilde in drei Stufen gegliedert:
Ein Generalstaatsanwalt beim Obertribunal, Oberstaatsanwälte bei den Ober¬
gerichten, Staatsanwälte, an deren Stelle aber in jedem Moment der Ober¬
staatsanwalt und seine Gehilfen eintreten können, bei den Untergerichten
Polizeianwülte, die der Regierungspräsident nach Anhörung des Oberstaats-


mus und eine Härte, welche in Verbindung mit jenem in hundert Fällen zur
Grausamkeit wurde und eine Uebervölrerung der Gefängnisse und Zuchthäuser
mit sich führte, die binnen kurzem eine mildernde Novelle nöthig machte und
zu den wesentlichsten Vorwürfen gegen das neue Gesetzbuch Veranlassung gibt.
Mehr über dasselbe zu sagen, kann hier nicht beabsichtigt werden. Es würde
das eine genaue Darstellung des ganzen frühern und jetzigen materiellen Cri-
minalrechts erfordern, während dieses uns hier nur insoweit interessirt, als
seine Bestimmungen die Reform der Gerichtsverfassung und des Verfahrens
zu ihrer Voraussetzung oder Folge haben.

Das Strafgesetzbuch unterscheidet nach einem allerdings etwas äußerlichen
Motiv drei Arten von Verletzungen des Gesetzes. Uebertretungen, welche mit
Geldbuße bis zu 50Thlr. oder Gefängniß bis zu 6 Wochen, Vergehen, welche
mit höherer Gefängnißstrafe oder Einschließung bis zu 5 Jahren, Verbrechen,
welche mit mehr als öjähriger Einschließung, Zuchthaus oder Tod bestraft
werden. Uebertretungen werden vom Einzelrichter, Vergehen und die meisten
Fälle des Diebstahls, auch wo er das für Vergehen bestimmte Strafmaß über¬
steigen würde, ebenso die politischen und Preßvergehen, welche vor dem Ge¬
setz vom K. März 1854 vor das Schwurgericht gehörten, von einer aus 3 Rich¬
tern des Untergerichts bestehenden Gerichtsabtheilung, Verbrechen, mit Aus¬
nahme der oben erwähnten von einem Schwurgerichtshof abgeurtheilt, der
aus 12 Geschwornen und 4 Richtern unter Vorsitz eines Präsidenten zusammen¬
gesetzt ist, den der Appellationsgerichtspräsident aus der Zahl der vom Justiz¬
minister dazu für ein Jahr designirter Richter ernennt. Für die schweren
politischen Verbrechen ist seit 1853 ein Anklagesenat aus 7 und ein Urtheils¬
senat aus 10 Mitgliedern beim Kammergericht zu Berlin gebildet, die ohne
Geschworne, aber übrigens nach den Regeln des gewöhnlichen öffentlichen,
mündlichen Verfahrens für Verbrechen, für die ganze Monarchie als Staats¬
gerichtshof fungiren. Die Criminalabtheilung besteht bei den Untergerichten
mindestens aus 3, bei Obcrgerichten aus 5, bei dem Obertribunnl aus 7 Mit¬
gliedern. Der Eröffnung der eigentlichen Untersuchung muß jedesmal ein
Beschluß der Gerichtsnbtheilung des competenten Gerichts vorausgehen; bei
Fällen, die vors Schwurgericht gehören, erfolgt die Versetzung in den Anklage¬
stand nach französischem Muster erst, nachdem außer der Gerichtsabtheilung
des Untergerichts auch die des Obergerichts definitiv darüber beschlossen hat.
Neben dieser Organisation der Gerichte steht unter dem Justizministerium die Staats¬
anwaltschaft, gleichfalls nach französischem Vorbilde in drei Stufen gegliedert:
Ein Generalstaatsanwalt beim Obertribunal, Oberstaatsanwälte bei den Ober¬
gerichten, Staatsanwälte, an deren Stelle aber in jedem Moment der Ober¬
staatsanwalt und seine Gehilfen eintreten können, bei den Untergerichten
Polizeianwülte, die der Regierungspräsident nach Anhörung des Oberstaats-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/117>, abgerufen am 22.07.2024.