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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Stufe des Bewußtseins sich mit der unerbittlichen Macht der historischen Ent¬
wicklung verträgt, muß man beim alten Hegel nachlesen, der über dies wie
über manches Andere ewige Worte gesagt hat.

Indem Lehrs sich bemüht, den Dichtern bis in die geheimsten Regungen
ihres Gemüths nachzuempfinden, wird sein Urtheil so mit dem ihrigen ver¬
flochten, daß es nur in der Form der Sympathie auftritt. Daraus erklärt
sich die bei einem Verehrer Homers wunderbare Begeisterung für jene sym¬
bolischen Werte Goethes, denen doch das fehlt, was hauptsächlich die Alten
auszeichnet, die Zeichnung. Es ist uns aufgefallen, eine" wie gedeihlichen
Boden diese Richtung grade in Königsberg gefunden hat. Rosenkranz in
seiner Schrift über Goethe, die in der Zeit ihres ersten Erscheinens 1847 auf
die würdige Auffassung des Dichters sehr günstig eingewirkt hat. bespricht mit
besonderer Wärme- diese Erzeugnisse des Alters. Ebenso Eholevius in seiner
Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen, ein Werk, das
noch lange nicht hinreichend gewürdigt ist. und dessen Einseitigkeit man sehr
bequem dadurch ergänzen kann, daß man neben seinem idealistischen Gesichts-
punkt auch den entgegengesetzten, ebenso berechtigten gellend macht. Auch in
Meyers Geschichte der Botanik ist die geistvolle Darstellung der antiken Natur¬
betrachtung nicht der am wenigsten interessante Theil. Noch sei hier der
Bortrag des Director Horkel über die Lebensweisheit des Komiker Menander
erwähnt, welcher hauptsächlich die Vorstellungen der Alten über den Dämon
und die Tyche. die auch in Lehrs Ausfähen eine Hauptrolle spielen, an einem
einzelnen Beispiel ausführt.

Ein Königsberger ist gleichfalls der Dichter Ferdinand Gregoro-
vius, dessen Euphorion, eine Dichtung aus Pompeji in 4 Gesängen
(Leipzig. Brockhaus) wir hier mit einigen Worten anzeige". Daß die Dich¬
tung sich im Allgemeinen von den griechischen Stoffen und Formen zu den
deutschen abgewandt hat, halten wir aus Gründen, die wir schon mehrfach
auseinandergesetzt haben, für ein Glück. Allein es hat auch seineu Nachtheil,
wenn man einer strengen Schule entflieht. Wir sind selten in der Lage, eine
neue lyrische Sammlung zu durchblättern, ohne-über die Rohheit und Geschmack¬
losigkeit der Form zu erstaunen, um von dem dürftigen Inhalt ganz zu
schweigen. Bewegt mau sich auf griechischem Boden, so ist man wenigstens
genöthigt, auf seine Haltung zu achten und sich daran zu erinnern, daß man
in guter Gesellschaft ist. Dieser Sinn für schöne Form hat uns in dem vor¬
liegenden Gedicht wohlthätig berührt, wenn der Dichter auch mitunter zu
weit geht, z. B.


Als ob innen der Geist ihm wäre gelöst vom Dasein
War es zu Sinn ihm da, als flog er den Himmel entlang nun
Ikarus gleich, gram selig entzückt auf Flügeln Auroras.

' Grenjbvten I. 18S6. 60

Stufe des Bewußtseins sich mit der unerbittlichen Macht der historischen Ent¬
wicklung verträgt, muß man beim alten Hegel nachlesen, der über dies wie
über manches Andere ewige Worte gesagt hat.

Indem Lehrs sich bemüht, den Dichtern bis in die geheimsten Regungen
ihres Gemüths nachzuempfinden, wird sein Urtheil so mit dem ihrigen ver¬
flochten, daß es nur in der Form der Sympathie auftritt. Daraus erklärt
sich die bei einem Verehrer Homers wunderbare Begeisterung für jene sym¬
bolischen Werte Goethes, denen doch das fehlt, was hauptsächlich die Alten
auszeichnet, die Zeichnung. Es ist uns aufgefallen, eine» wie gedeihlichen
Boden diese Richtung grade in Königsberg gefunden hat. Rosenkranz in
seiner Schrift über Goethe, die in der Zeit ihres ersten Erscheinens 1847 auf
die würdige Auffassung des Dichters sehr günstig eingewirkt hat. bespricht mit
besonderer Wärme- diese Erzeugnisse des Alters. Ebenso Eholevius in seiner
Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen, ein Werk, das
noch lange nicht hinreichend gewürdigt ist. und dessen Einseitigkeit man sehr
bequem dadurch ergänzen kann, daß man neben seinem idealistischen Gesichts-
punkt auch den entgegengesetzten, ebenso berechtigten gellend macht. Auch in
Meyers Geschichte der Botanik ist die geistvolle Darstellung der antiken Natur¬
betrachtung nicht der am wenigsten interessante Theil. Noch sei hier der
Bortrag des Director Horkel über die Lebensweisheit des Komiker Menander
erwähnt, welcher hauptsächlich die Vorstellungen der Alten über den Dämon
und die Tyche. die auch in Lehrs Ausfähen eine Hauptrolle spielen, an einem
einzelnen Beispiel ausführt.

Ein Königsberger ist gleichfalls der Dichter Ferdinand Gregoro-
vius, dessen Euphorion, eine Dichtung aus Pompeji in 4 Gesängen
(Leipzig. Brockhaus) wir hier mit einigen Worten anzeige». Daß die Dich¬
tung sich im Allgemeinen von den griechischen Stoffen und Formen zu den
deutschen abgewandt hat, halten wir aus Gründen, die wir schon mehrfach
auseinandergesetzt haben, für ein Glück. Allein es hat auch seineu Nachtheil,
wenn man einer strengen Schule entflieht. Wir sind selten in der Lage, eine
neue lyrische Sammlung zu durchblättern, ohne-über die Rohheit und Geschmack¬
losigkeit der Form zu erstaunen, um von dem dürftigen Inhalt ganz zu
schweigen. Bewegt mau sich auf griechischem Boden, so ist man wenigstens
genöthigt, auf seine Haltung zu achten und sich daran zu erinnern, daß man
in guter Gesellschaft ist. Dieser Sinn für schöne Form hat uns in dem vor¬
liegenden Gedicht wohlthätig berührt, wenn der Dichter auch mitunter zu
weit geht, z. B.


Als ob innen der Geist ihm wäre gelöst vom Dasein
War es zu Sinn ihm da, als flog er den Himmel entlang nun
Ikarus gleich, gram selig entzückt auf Flügeln Auroras.

' Grenjbvten I. 18S6. 60
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[0481] Stufe des Bewußtseins sich mit der unerbittlichen Macht der historischen Ent¬ wicklung verträgt, muß man beim alten Hegel nachlesen, der über dies wie über manches Andere ewige Worte gesagt hat. Indem Lehrs sich bemüht, den Dichtern bis in die geheimsten Regungen ihres Gemüths nachzuempfinden, wird sein Urtheil so mit dem ihrigen ver¬ flochten, daß es nur in der Form der Sympathie auftritt. Daraus erklärt sich die bei einem Verehrer Homers wunderbare Begeisterung für jene sym¬ bolischen Werte Goethes, denen doch das fehlt, was hauptsächlich die Alten auszeichnet, die Zeichnung. Es ist uns aufgefallen, eine» wie gedeihlichen Boden diese Richtung grade in Königsberg gefunden hat. Rosenkranz in seiner Schrift über Goethe, die in der Zeit ihres ersten Erscheinens 1847 auf die würdige Auffassung des Dichters sehr günstig eingewirkt hat. bespricht mit besonderer Wärme- diese Erzeugnisse des Alters. Ebenso Eholevius in seiner Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen, ein Werk, das noch lange nicht hinreichend gewürdigt ist. und dessen Einseitigkeit man sehr bequem dadurch ergänzen kann, daß man neben seinem idealistischen Gesichts- punkt auch den entgegengesetzten, ebenso berechtigten gellend macht. Auch in Meyers Geschichte der Botanik ist die geistvolle Darstellung der antiken Natur¬ betrachtung nicht der am wenigsten interessante Theil. Noch sei hier der Bortrag des Director Horkel über die Lebensweisheit des Komiker Menander erwähnt, welcher hauptsächlich die Vorstellungen der Alten über den Dämon und die Tyche. die auch in Lehrs Ausfähen eine Hauptrolle spielen, an einem einzelnen Beispiel ausführt. Ein Königsberger ist gleichfalls der Dichter Ferdinand Gregoro- vius, dessen Euphorion, eine Dichtung aus Pompeji in 4 Gesängen (Leipzig. Brockhaus) wir hier mit einigen Worten anzeige». Daß die Dich¬ tung sich im Allgemeinen von den griechischen Stoffen und Formen zu den deutschen abgewandt hat, halten wir aus Gründen, die wir schon mehrfach auseinandergesetzt haben, für ein Glück. Allein es hat auch seineu Nachtheil, wenn man einer strengen Schule entflieht. Wir sind selten in der Lage, eine neue lyrische Sammlung zu durchblättern, ohne-über die Rohheit und Geschmack¬ losigkeit der Form zu erstaunen, um von dem dürftigen Inhalt ganz zu schweigen. Bewegt mau sich auf griechischem Boden, so ist man wenigstens genöthigt, auf seine Haltung zu achten und sich daran zu erinnern, daß man in guter Gesellschaft ist. Dieser Sinn für schöne Form hat uns in dem vor¬ liegenden Gedicht wohlthätig berührt, wenn der Dichter auch mitunter zu weit geht, z. B. Als ob innen der Geist ihm wäre gelöst vom Dasein War es zu Sinn ihm da, als flog er den Himmel entlang nun Ikarus gleich, gram selig entzückt auf Flügeln Auroras. ' Grenjbvten I. 18S6. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/481>, abgerufen am 28.07.2024.