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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Diese Sprache kann man-nicht wol griechisch nennen, sondern romantisch, und
zwar ist es diesmal eine bestimmte romantische Muse, die Muse- Leopold
Schcfcrs, die den Leitton gegeben hat. Der Dichter rechnet sich übrigens,
wie es bei den, nachgebornen einer poetischen Richtung begreiflich ist. zur
streitenden Kirche und hat sein Glaubensbekenntnis!, wenn nicht ausführlich
auseinandergesetzt, doch wenigstens so weit angedeutet, daß wir uns bei Ge¬
legenheit desselben einige Fragen erlauben dürfen.


Lied, eh weiter du eilst mit der wechselnden Lampe des Lebens,
Tritt zu de" fernen Geliebten mir froh und der sanften Olive
Kränze vertheile und sprich- Heil, Gdcle, Wenige, Heil euch!
Die in der Brust ihr noch idealische Flammen ernähret,
Avhvld Eitlem und Feinde der dunklen Tagesgewohnheit.
Fehl es an'Licht doch nimmer im Leben, an herzlicher Lust euch
Nie! an das blühende Haus mag stets auch pochen Aurora
Hold, und sie führe herein in den Saal auch himmlische Stunden
Und zu den Festlichen seien als Gäste die Götter geladen,
Gaben der Liebe entschüttcnd und weiserer Wünsche Gewährung.

Die Frage ist nun, worin der Idealismus dieser Dichtung liegen soll, im
Inhalt oder in der Form? Daß zu Neros Zeit im Ganzen das Leben poetischer
war als bei uns, wird der Dichter kaum behaupten. Von der schmuzigen
Verworfenheit, der Infamie und der Abgeschmacktheit jener Zeiten ist alle
Welt überzeugt. Die Schilderungen unseres gelehrten Mitarbeiters aus dem
Alterthum geben aber auch hinreichende Proben von ihrer albernen Spieß-
bürgerlrchkeit.

Oder in der Form? -- die Hexameter, in denen Hermann und Doro¬
thea geschrieben ist, breiten um diese Dichtung ein schönes Gewand, aber
die Prosa des Wilhelm Meister ist auch nicht zu verachten: es wird darauf
ankommen, daß jeder poetische Stoss die ihm angemessene Form findet.

Und hier scheint es uns nöthig, damit nicht mit den Stichwörtern des
Idealismus und Realismus ein ähnlicher Unfug getrieben werde, wie im
Mittclnltcr mit den Stichwörtern Nominalismus und Realismus, die Frage
auszustellen, was beides heißt.

Was heißt künstlerischer Idealismus? Die Fähigkeit hinter dem Zufälligen
und Unwesentlichen der Erscheinung das Wahre und Wesentliche zu entdecken
und demselben eine vollendete Gestalt zu geben.

Und was heißt künstlerischer Realismus? -- Genau dasselbe. Es besteht
in den Principien der Kunst kein Unterschied. Die Mittel, die man anwendet,
müssen der bestimmten Kunstform entsprechen. Bezweckt man Erhebung des
Gefühls, so muß man in großen Zügen malen, man muß alle Nebenvor-
stellungen sorgfältig entfenien, will man dagegen komisch oder humoristisch


Diese Sprache kann man-nicht wol griechisch nennen, sondern romantisch, und
zwar ist es diesmal eine bestimmte romantische Muse, die Muse- Leopold
Schcfcrs, die den Leitton gegeben hat. Der Dichter rechnet sich übrigens,
wie es bei den, nachgebornen einer poetischen Richtung begreiflich ist. zur
streitenden Kirche und hat sein Glaubensbekenntnis!, wenn nicht ausführlich
auseinandergesetzt, doch wenigstens so weit angedeutet, daß wir uns bei Ge¬
legenheit desselben einige Fragen erlauben dürfen.


Lied, eh weiter du eilst mit der wechselnden Lampe des Lebens,
Tritt zu de» fernen Geliebten mir froh und der sanften Olive
Kränze vertheile und sprich- Heil, Gdcle, Wenige, Heil euch!
Die in der Brust ihr noch idealische Flammen ernähret,
Avhvld Eitlem und Feinde der dunklen Tagesgewohnheit.
Fehl es an'Licht doch nimmer im Leben, an herzlicher Lust euch
Nie! an das blühende Haus mag stets auch pochen Aurora
Hold, und sie führe herein in den Saal auch himmlische Stunden
Und zu den Festlichen seien als Gäste die Götter geladen,
Gaben der Liebe entschüttcnd und weiserer Wünsche Gewährung.

Die Frage ist nun, worin der Idealismus dieser Dichtung liegen soll, im
Inhalt oder in der Form? Daß zu Neros Zeit im Ganzen das Leben poetischer
war als bei uns, wird der Dichter kaum behaupten. Von der schmuzigen
Verworfenheit, der Infamie und der Abgeschmacktheit jener Zeiten ist alle
Welt überzeugt. Die Schilderungen unseres gelehrten Mitarbeiters aus dem
Alterthum geben aber auch hinreichende Proben von ihrer albernen Spieß-
bürgerlrchkeit.

Oder in der Form? — die Hexameter, in denen Hermann und Doro¬
thea geschrieben ist, breiten um diese Dichtung ein schönes Gewand, aber
die Prosa des Wilhelm Meister ist auch nicht zu verachten: es wird darauf
ankommen, daß jeder poetische Stoss die ihm angemessene Form findet.

Und hier scheint es uns nöthig, damit nicht mit den Stichwörtern des
Idealismus und Realismus ein ähnlicher Unfug getrieben werde, wie im
Mittclnltcr mit den Stichwörtern Nominalismus und Realismus, die Frage
auszustellen, was beides heißt.

Was heißt künstlerischer Idealismus? Die Fähigkeit hinter dem Zufälligen
und Unwesentlichen der Erscheinung das Wahre und Wesentliche zu entdecken
und demselben eine vollendete Gestalt zu geben.

Und was heißt künstlerischer Realismus? — Genau dasselbe. Es besteht
in den Principien der Kunst kein Unterschied. Die Mittel, die man anwendet,
müssen der bestimmten Kunstform entsprechen. Bezweckt man Erhebung des
Gefühls, so muß man in großen Zügen malen, man muß alle Nebenvor-
stellungen sorgfältig entfenien, will man dagegen komisch oder humoristisch


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[0482] Diese Sprache kann man-nicht wol griechisch nennen, sondern romantisch, und zwar ist es diesmal eine bestimmte romantische Muse, die Muse- Leopold Schcfcrs, die den Leitton gegeben hat. Der Dichter rechnet sich übrigens, wie es bei den, nachgebornen einer poetischen Richtung begreiflich ist. zur streitenden Kirche und hat sein Glaubensbekenntnis!, wenn nicht ausführlich auseinandergesetzt, doch wenigstens so weit angedeutet, daß wir uns bei Ge¬ legenheit desselben einige Fragen erlauben dürfen. Lied, eh weiter du eilst mit der wechselnden Lampe des Lebens, Tritt zu de» fernen Geliebten mir froh und der sanften Olive Kränze vertheile und sprich- Heil, Gdcle, Wenige, Heil euch! Die in der Brust ihr noch idealische Flammen ernähret, Avhvld Eitlem und Feinde der dunklen Tagesgewohnheit. Fehl es an'Licht doch nimmer im Leben, an herzlicher Lust euch Nie! an das blühende Haus mag stets auch pochen Aurora Hold, und sie führe herein in den Saal auch himmlische Stunden Und zu den Festlichen seien als Gäste die Götter geladen, Gaben der Liebe entschüttcnd und weiserer Wünsche Gewährung. Die Frage ist nun, worin der Idealismus dieser Dichtung liegen soll, im Inhalt oder in der Form? Daß zu Neros Zeit im Ganzen das Leben poetischer war als bei uns, wird der Dichter kaum behaupten. Von der schmuzigen Verworfenheit, der Infamie und der Abgeschmacktheit jener Zeiten ist alle Welt überzeugt. Die Schilderungen unseres gelehrten Mitarbeiters aus dem Alterthum geben aber auch hinreichende Proben von ihrer albernen Spieß- bürgerlrchkeit. Oder in der Form? — die Hexameter, in denen Hermann und Doro¬ thea geschrieben ist, breiten um diese Dichtung ein schönes Gewand, aber die Prosa des Wilhelm Meister ist auch nicht zu verachten: es wird darauf ankommen, daß jeder poetische Stoss die ihm angemessene Form findet. Und hier scheint es uns nöthig, damit nicht mit den Stichwörtern des Idealismus und Realismus ein ähnlicher Unfug getrieben werde, wie im Mittclnltcr mit den Stichwörtern Nominalismus und Realismus, die Frage auszustellen, was beides heißt. Was heißt künstlerischer Idealismus? Die Fähigkeit hinter dem Zufälligen und Unwesentlichen der Erscheinung das Wahre und Wesentliche zu entdecken und demselben eine vollendete Gestalt zu geben. Und was heißt künstlerischer Realismus? — Genau dasselbe. Es besteht in den Principien der Kunst kein Unterschied. Die Mittel, die man anwendet, müssen der bestimmten Kunstform entsprechen. Bezweckt man Erhebung des Gefühls, so muß man in großen Zügen malen, man muß alle Nebenvor- stellungen sorgfältig entfenien, will man dagegen komisch oder humoristisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/482>, abgerufen am 27.07.2024.