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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Parlament nicht durch die mächtige Kraft eines Einzelnen gehoben wird, oder
in welcher nicht große Parteiinteressen das gesammte Staatsleben zu erfüllen
vermögen, wird, ein solches Bildungssystem doch sehr sichtbare Unbequemlichkeit
haben. Ein Mann wie Palmerston, der feine andere Specialität hat, als Vir¬
tuosität in den kleinen Parteimanövern, dem Werben, Peitschen, dem Be-
arbeiten der Presse, den Tischreden für die Wähler, und vor allem eherne
Stirn, suffisance und Geistesgegenwart in parlamentarischen Repliken, konnte
doch nur den Engländern Jahre lang so imponiren, daß sie zuletzt geneigt
waren, ihn für einen großen Mann zu halten.

Allerdings hat ihm genützt, daß England im Ganzen seit Lösung der Kornfrage
in einem Zustande so großen Gedeihens ist, daß ein leidenschaftlicher Kampf
gegen verkehrte Richtungen im Staate -- fast die einzige Schule großer englischer
Politiker - uicht mehr stattgefunden hat. Selbst die kostbaren Kriege der neuesten
Zeit haben das fortschreitende Gedeihen und ein gewisses. großartiges Behagen
des Landes kaum zu stören vermocht. Der Souverän ist populär, die Krone
streng gesetzlich und ängstlich bemüht, der öffentlichen Meinung zu willfahren,
d,e alten Streitfragen der großen Parteien, welche durch Jahrhunderte die
Redner, Charaktere und Leiter Englands gebildet haben, sind fast ohne Aus¬
nahme gelöst. -- Allerdings vergeht für England kein Jahr, wo nicht
die höchsten Interessen das größte Urtheil forderten. Aber nicht jedes
große Interesse ist in England geeignet, große Staatsmänner zu ziehen, nur
was Parlament und Nation leidenschaftlich und dauernd aufregt, wird -- wie
die englische Verfassung ist, -- zu einer großen Schule,

Wenn man zugibt, daß die Gegenwart Englands eine Zeit der politi¬
schen Mittelmäßigkeit für Whigs und Tories ist, darf man aus denselben Gründen
grade die Gegenwart als eine Zeit der Blüte und des Glückes für die Nation
betrachten, wie sie einem Volke nicht in jedem Jahrhundert gegönnt wird. Crom-
well, Halifax, Somers, selbst die Walpole, Pitt und Fox gehören nicht den Zei¬
ten an, welche man vorzugsweise ruhige und glückliche nennt. Aller¬
dings zieht jede Zeit, auch die der Ruhe, des Behagens und des Genusses, die
Anfänge einer neuen, welche anders aussieht, mit sich groß, und die Blüte
einer Pflanze ist dem Naturforscher einer der letzten Processe, welche sie in dem
Kreislauf alles Irdischen durchmacht. Auch im Leben eines modernen Staates
entwickeln sich aus der Zeit hohen Gedeihens neue Leiden und Schäden, welche
eine", künftigen Geschlecht harten Kampf und neue Aufgaben stellen Deshalb
aber thut man auch Unrecht, wenn man die großen Parteigenossenschasten des par¬
lamentarischen Englands, Whigs rend Tories, als antiquirt und in völliger
Auflösung begriffen darstellt. Es ist wahr, sie sind gegenwärtig schwach, aus
den Parteikämpfen ist ein unerfreuliches Cliquenwesen geworden und die Tra¬
ditionen haben sich fast nur in der persönlichen Kameradschaft der einzelnen


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Parlament nicht durch die mächtige Kraft eines Einzelnen gehoben wird, oder
in welcher nicht große Parteiinteressen das gesammte Staatsleben zu erfüllen
vermögen, wird, ein solches Bildungssystem doch sehr sichtbare Unbequemlichkeit
haben. Ein Mann wie Palmerston, der feine andere Specialität hat, als Vir¬
tuosität in den kleinen Parteimanövern, dem Werben, Peitschen, dem Be-
arbeiten der Presse, den Tischreden für die Wähler, und vor allem eherne
Stirn, suffisance und Geistesgegenwart in parlamentarischen Repliken, konnte
doch nur den Engländern Jahre lang so imponiren, daß sie zuletzt geneigt
waren, ihn für einen großen Mann zu halten.

Allerdings hat ihm genützt, daß England im Ganzen seit Lösung der Kornfrage
in einem Zustande so großen Gedeihens ist, daß ein leidenschaftlicher Kampf
gegen verkehrte Richtungen im Staate — fast die einzige Schule großer englischer
Politiker - uicht mehr stattgefunden hat. Selbst die kostbaren Kriege der neuesten
Zeit haben das fortschreitende Gedeihen und ein gewisses. großartiges Behagen
des Landes kaum zu stören vermocht. Der Souverän ist populär, die Krone
streng gesetzlich und ängstlich bemüht, der öffentlichen Meinung zu willfahren,
d,e alten Streitfragen der großen Parteien, welche durch Jahrhunderte die
Redner, Charaktere und Leiter Englands gebildet haben, sind fast ohne Aus¬
nahme gelöst. — Allerdings vergeht für England kein Jahr, wo nicht
die höchsten Interessen das größte Urtheil forderten. Aber nicht jedes
große Interesse ist in England geeignet, große Staatsmänner zu ziehen, nur
was Parlament und Nation leidenschaftlich und dauernd aufregt, wird — wie
die englische Verfassung ist, — zu einer großen Schule,

Wenn man zugibt, daß die Gegenwart Englands eine Zeit der politi¬
schen Mittelmäßigkeit für Whigs und Tories ist, darf man aus denselben Gründen
grade die Gegenwart als eine Zeit der Blüte und des Glückes für die Nation
betrachten, wie sie einem Volke nicht in jedem Jahrhundert gegönnt wird. Crom-
well, Halifax, Somers, selbst die Walpole, Pitt und Fox gehören nicht den Zei¬
ten an, welche man vorzugsweise ruhige und glückliche nennt. Aller¬
dings zieht jede Zeit, auch die der Ruhe, des Behagens und des Genusses, die
Anfänge einer neuen, welche anders aussieht, mit sich groß, und die Blüte
einer Pflanze ist dem Naturforscher einer der letzten Processe, welche sie in dem
Kreislauf alles Irdischen durchmacht. Auch im Leben eines modernen Staates
entwickeln sich aus der Zeit hohen Gedeihens neue Leiden und Schäden, welche
eine», künftigen Geschlecht harten Kampf und neue Aufgaben stellen Deshalb
aber thut man auch Unrecht, wenn man die großen Parteigenossenschasten des par¬
lamentarischen Englands, Whigs rend Tories, als antiquirt und in völliger
Auflösung begriffen darstellt. Es ist wahr, sie sind gegenwärtig schwach, aus
den Parteikämpfen ist ein unerfreuliches Cliquenwesen geworden und die Tra¬
ditionen haben sich fast nur in der persönlichen Kameradschaft der einzelnen


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[0371] Parlament nicht durch die mächtige Kraft eines Einzelnen gehoben wird, oder in welcher nicht große Parteiinteressen das gesammte Staatsleben zu erfüllen vermögen, wird, ein solches Bildungssystem doch sehr sichtbare Unbequemlichkeit haben. Ein Mann wie Palmerston, der feine andere Specialität hat, als Vir¬ tuosität in den kleinen Parteimanövern, dem Werben, Peitschen, dem Be- arbeiten der Presse, den Tischreden für die Wähler, und vor allem eherne Stirn, suffisance und Geistesgegenwart in parlamentarischen Repliken, konnte doch nur den Engländern Jahre lang so imponiren, daß sie zuletzt geneigt waren, ihn für einen großen Mann zu halten. Allerdings hat ihm genützt, daß England im Ganzen seit Lösung der Kornfrage in einem Zustande so großen Gedeihens ist, daß ein leidenschaftlicher Kampf gegen verkehrte Richtungen im Staate — fast die einzige Schule großer englischer Politiker - uicht mehr stattgefunden hat. Selbst die kostbaren Kriege der neuesten Zeit haben das fortschreitende Gedeihen und ein gewisses. großartiges Behagen des Landes kaum zu stören vermocht. Der Souverän ist populär, die Krone streng gesetzlich und ängstlich bemüht, der öffentlichen Meinung zu willfahren, d,e alten Streitfragen der großen Parteien, welche durch Jahrhunderte die Redner, Charaktere und Leiter Englands gebildet haben, sind fast ohne Aus¬ nahme gelöst. — Allerdings vergeht für England kein Jahr, wo nicht die höchsten Interessen das größte Urtheil forderten. Aber nicht jedes große Interesse ist in England geeignet, große Staatsmänner zu ziehen, nur was Parlament und Nation leidenschaftlich und dauernd aufregt, wird — wie die englische Verfassung ist, — zu einer großen Schule, Wenn man zugibt, daß die Gegenwart Englands eine Zeit der politi¬ schen Mittelmäßigkeit für Whigs und Tories ist, darf man aus denselben Gründen grade die Gegenwart als eine Zeit der Blüte und des Glückes für die Nation betrachten, wie sie einem Volke nicht in jedem Jahrhundert gegönnt wird. Crom- well, Halifax, Somers, selbst die Walpole, Pitt und Fox gehören nicht den Zei¬ ten an, welche man vorzugsweise ruhige und glückliche nennt. Aller¬ dings zieht jede Zeit, auch die der Ruhe, des Behagens und des Genusses, die Anfänge einer neuen, welche anders aussieht, mit sich groß, und die Blüte einer Pflanze ist dem Naturforscher einer der letzten Processe, welche sie in dem Kreislauf alles Irdischen durchmacht. Auch im Leben eines modernen Staates entwickeln sich aus der Zeit hohen Gedeihens neue Leiden und Schäden, welche eine», künftigen Geschlecht harten Kampf und neue Aufgaben stellen Deshalb aber thut man auch Unrecht, wenn man die großen Parteigenossenschasten des par¬ lamentarischen Englands, Whigs rend Tories, als antiquirt und in völliger Auflösung begriffen darstellt. Es ist wahr, sie sind gegenwärtig schwach, aus den Parteikämpfen ist ein unerfreuliches Cliquenwesen geworden und die Tra¬ ditionen haben sich fast nur in der persönlichen Kameradschaft der einzelnen 46 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/371>, abgerufen am 27.07.2024.