Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.empfinden sehr lebhaft die Schwächen, welche bei ihnen häufig sind. Cliquengcist, Jeder Erfolg und jede' Niederlage im Unterhause ist wenige Stunden empfinden sehr lebhaft die Schwächen, welche bei ihnen häufig sind. Cliquengcist, Jeder Erfolg und jede' Niederlage im Unterhause ist wenige Stunden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105647"/> <p xml:id="ID_970" prev="#ID_969"> empfinden sehr lebhaft die Schwächen, welche bei ihnen häufig sind. Cliquengcist,<lb/> Patronage, Mangel an Kenntniß des Auslandes, und dilettircnde Unsicherheit<lb/> in solchen Fragen, welche ernste Studien und gewissenhafte Hingebung ver¬<lb/> langen; und wieder sind wir geneigt, das Talent zu unterschätzen, welches dem<lb/> englischen Parteiführer als Hauptsache erscheint: die geschickte Behandlung,<lb/> des Parlaments. — Wer etwa von deutschen Ministern aus den stolzen Namen<lb/> eines Staatsmanns Anspruch hat, ist fast ohne Ausnahme im Beamtenstand<lb/> heraufgekommen, und eine, wenn auch einseitige geschäftliche Routine, darf<lb/> bei ihm vorausgesetzt werden. Dazu kommt, daß überhaupt die deutsche<lb/> Bildung vielseitiger ist und daß eine Kenntniß auswärtiger Staats- und<lb/> Lebensverhältnisse, welche in England die meisten Parlamentsglieder nicht be-.<lb/> sitzen, bei uns zu den nothwendigen Qualitäten eines gebildeten Mannes<lb/> geHort. Der englische Staatsmann dagegen bildet sich in den Debatten und dem<lb/> Parteitreiben einer großen Versammlung, welche einige bedeutende und viele in¬<lb/> telligente Männer, aber noch mehr anspruchsvolle Nullen enthält. Er entwickelt die<lb/> Fähigkeiten, aus diese Gesellschaft zu wirken, sucht so viel Kenntniß über die<lb/> einzelnen Fragen zu gewinnen, als nöthig ist, eine Stunde mit Erfolg darüber<lb/> zu sprechen, er lernt Kriegslisten und Parteikunststücke gebrauchen, strebt darnach,<lb/> dem Gegner mit Geistesgegenwart zu antworten, er ist bemüht, seiner Partei<lb/> angenehm zu werden, lind seine Wähler bei guter Laune zu erhalten. Erweist<lb/> er in einer dieser Richtungen besonderes Talent, so hat er große Aussicht, so<lb/> oft seine Genossen die höchsten Aemter nnter sich vertheilen, einen Minister¬<lb/> stuhl zu erringen, gleich viel, welche Kenntnisse er von der Politik des Aus¬<lb/> landes und den Bedürfnissen des Inlandes hat. Besitzt er den Fleiß, sich<lb/> in einem bestimmten Fach gründliche Kenntnisse zu erwerben, um so besser<lb/> für ihn, denn um so schätzenswerther wird er seiner Partei, aber wer als<lb/> Mitglied des Unterhauses dergleichen gewinnen will, muß viel Lebenskraft<lb/> haben, zumal wenn er schon in seiner Ingend durch Familieneinfluß ins Par¬<lb/> lament gebracht wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_971" next="#ID_972"> Jeder Erfolg und jede' Niederlage im Unterhause ist wenige Stunden<lb/> nachher das Tagesgespräch von ganz England, jeder dauernde Einfluß auf<lb/> das Haus der Gemeinen bahnt mit Sicherheit den Weg zu den höchsten<lb/> Ehren. So gewinnt dem englischen Politiker seine Stellung zum Parlament und<lb/> zu den Wählern eine Bedeutung, welche nicht leicht zu vereinigen ist mit<lb/> Unabhängigkeit und Größe des Charakters und mit unbefangener Schätzung<lb/> der Staatsinteressen. Ein großer Mann, eine solide Tüchtigkeit, feste Integrität<lb/> des Charakters werden diese Uebelstände besikgen. und es ist hier durchaus nicht<lb/> die Absicht zu behaupten, daß England bei derartiger Bildung seiner Politiker<lb/> im Ganzen weniger weit gekommen ist, als andere Staaten, welche Generale oder<lb/> Landräthe zu Ministern machen. Aber in solchen Zeiten, wo das englische</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0370]
empfinden sehr lebhaft die Schwächen, welche bei ihnen häufig sind. Cliquengcist,
Patronage, Mangel an Kenntniß des Auslandes, und dilettircnde Unsicherheit
in solchen Fragen, welche ernste Studien und gewissenhafte Hingebung ver¬
langen; und wieder sind wir geneigt, das Talent zu unterschätzen, welches dem
englischen Parteiführer als Hauptsache erscheint: die geschickte Behandlung,
des Parlaments. — Wer etwa von deutschen Ministern aus den stolzen Namen
eines Staatsmanns Anspruch hat, ist fast ohne Ausnahme im Beamtenstand
heraufgekommen, und eine, wenn auch einseitige geschäftliche Routine, darf
bei ihm vorausgesetzt werden. Dazu kommt, daß überhaupt die deutsche
Bildung vielseitiger ist und daß eine Kenntniß auswärtiger Staats- und
Lebensverhältnisse, welche in England die meisten Parlamentsglieder nicht be-.
sitzen, bei uns zu den nothwendigen Qualitäten eines gebildeten Mannes
geHort. Der englische Staatsmann dagegen bildet sich in den Debatten und dem
Parteitreiben einer großen Versammlung, welche einige bedeutende und viele in¬
telligente Männer, aber noch mehr anspruchsvolle Nullen enthält. Er entwickelt die
Fähigkeiten, aus diese Gesellschaft zu wirken, sucht so viel Kenntniß über die
einzelnen Fragen zu gewinnen, als nöthig ist, eine Stunde mit Erfolg darüber
zu sprechen, er lernt Kriegslisten und Parteikunststücke gebrauchen, strebt darnach,
dem Gegner mit Geistesgegenwart zu antworten, er ist bemüht, seiner Partei
angenehm zu werden, lind seine Wähler bei guter Laune zu erhalten. Erweist
er in einer dieser Richtungen besonderes Talent, so hat er große Aussicht, so
oft seine Genossen die höchsten Aemter nnter sich vertheilen, einen Minister¬
stuhl zu erringen, gleich viel, welche Kenntnisse er von der Politik des Aus¬
landes und den Bedürfnissen des Inlandes hat. Besitzt er den Fleiß, sich
in einem bestimmten Fach gründliche Kenntnisse zu erwerben, um so besser
für ihn, denn um so schätzenswerther wird er seiner Partei, aber wer als
Mitglied des Unterhauses dergleichen gewinnen will, muß viel Lebenskraft
haben, zumal wenn er schon in seiner Ingend durch Familieneinfluß ins Par¬
lament gebracht wird.
Jeder Erfolg und jede' Niederlage im Unterhause ist wenige Stunden
nachher das Tagesgespräch von ganz England, jeder dauernde Einfluß auf
das Haus der Gemeinen bahnt mit Sicherheit den Weg zu den höchsten
Ehren. So gewinnt dem englischen Politiker seine Stellung zum Parlament und
zu den Wählern eine Bedeutung, welche nicht leicht zu vereinigen ist mit
Unabhängigkeit und Größe des Charakters und mit unbefangener Schätzung
der Staatsinteressen. Ein großer Mann, eine solide Tüchtigkeit, feste Integrität
des Charakters werden diese Uebelstände besikgen. und es ist hier durchaus nicht
die Absicht zu behaupten, daß England bei derartiger Bildung seiner Politiker
im Ganzen weniger weit gekommen ist, als andere Staaten, welche Generale oder
Landräthe zu Ministern machen. Aber in solchen Zeiten, wo das englische
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