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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Mitglieder erhalten. Das aber ist nicht sowol Schuld der Menschen, als einer
sturmlosen Gegenwart. Sie sind bis zu einem gewissen Grade unnütz gewor¬
den. Demungeachtet ist es Ehre und Pflicht der Parteigenossen, der Presse,
des Volkes und vor allem der Negierung. dies Parteileben nicht zu zerstören,
sondern zu erhalten. Denn diese Parteien, wie ungenügend ihre gegenwärtige
Thätigkeit sein möge, geben doch -- wie das staatliche Leben Englands
ist -- die beste, ja die einzige Garantie, daß die Nation in irgend einer
Zukunft weder anarchischen Gelüsten der Masse noch der Willkür der Krone ver¬
fallen wird. Es ist wahr, daß die großen Parteibanner jetzt von keinem star¬
ken Winde ausgebreitet, träge und schlaff um die Fahnenstangen hängen, aber
es läßt sich prophezeien, daß wieder eine Zeit kommen wird, wo sich aller
Blicke mit Enthusiasmus und Leidenschaft auf sie heften.

Das neue Toryministerium gibt keine Bürgschaft, daß es nach irgend
einer großen Richtung höhere Befähigung entwickeln werde, als Palmer-
ston und seine Collegen. Es leidet noch an dem Uebelstand, daß die meisten
seiner Mitglieder in den Geschäften unbewandert und dem Mechanismus der
Regierungsmaschine sehr fremd sind, und daß jetzt die Begehrlichkeit einer
ganzen Partei nach Aemtern, Sinecuren und Einfluß greifen wird. Und man
kann zweifeln, ob es sich durch die nächste Parlamentssitzung, selbst wenn es seine
Stärke durch Neuwahlen zu vergrößern sucht, erhalten wird. Ferner ist durchaus
zweifelhaft, welche Politik ihm bei den auswärtigen Fragen, welche für uns
^das größte Interesse haben, belieben mag. Wol aber läßt sich annehmen,
daß es im Ganzen ähnlich laviren wird, wie die Whigs. Es wird bei gro¬
ßen Reformen nicht die Initiative ergreifen, wird öffentliche Wünsche so lange
zu beschwichtigen versuchen, bis sie einen imponirenden Ausdruck gewinnen,
dann aber ihnen nachgeben, und wird ebenso ängstlich bemüht sein, die öffent¬
liche Meinung nicht aufzuregen, als die Whigs waren.

Gleich am Anfange seiner Fahrt droht eine Klippe, von der die Tones selbst,
wie es scheint, das Aergste fürchten. Die Bill zum Schutz fremder Souveräne
gegen politische Verschwörer in England, welche von Lord Palmerston ein¬
gebracht, und die Veranlassung, nicht die Ursache seines Sturzes geworden
ist, hatte bei dem Unterhaus? unter dem vorigen Ministerium auf eine Ma¬
jorität zu hoffen. Ob in der Bill irgend etwas enthalten war, was den
Freiheiten des Engländers im Ernst gefährlich werden konnte, darüber wird
ein Ausländer sich des Urtheils enthalten müssen. Sicher ist, daß sie wenig¬
stens im Unterhaus ruhig durchgegangen wäre, wenn nicht ein leichtsinniges
und junkerhaftcs Benehmen Palmerstons -in der Flüchtlingsfrage, wie bei
einigen frühern Gelegenheiten, das sittliche und patriotische Gefühl der Ge¬
bildeten in- und außerhalb des Parlaments verletzt hätte. Diese Gemüths¬
stimmung verursachte jene überraschende Abstimmung bei einer Zwischenfrage,


Mitglieder erhalten. Das aber ist nicht sowol Schuld der Menschen, als einer
sturmlosen Gegenwart. Sie sind bis zu einem gewissen Grade unnütz gewor¬
den. Demungeachtet ist es Ehre und Pflicht der Parteigenossen, der Presse,
des Volkes und vor allem der Negierung. dies Parteileben nicht zu zerstören,
sondern zu erhalten. Denn diese Parteien, wie ungenügend ihre gegenwärtige
Thätigkeit sein möge, geben doch — wie das staatliche Leben Englands
ist — die beste, ja die einzige Garantie, daß die Nation in irgend einer
Zukunft weder anarchischen Gelüsten der Masse noch der Willkür der Krone ver¬
fallen wird. Es ist wahr, daß die großen Parteibanner jetzt von keinem star¬
ken Winde ausgebreitet, träge und schlaff um die Fahnenstangen hängen, aber
es läßt sich prophezeien, daß wieder eine Zeit kommen wird, wo sich aller
Blicke mit Enthusiasmus und Leidenschaft auf sie heften.

Das neue Toryministerium gibt keine Bürgschaft, daß es nach irgend
einer großen Richtung höhere Befähigung entwickeln werde, als Palmer-
ston und seine Collegen. Es leidet noch an dem Uebelstand, daß die meisten
seiner Mitglieder in den Geschäften unbewandert und dem Mechanismus der
Regierungsmaschine sehr fremd sind, und daß jetzt die Begehrlichkeit einer
ganzen Partei nach Aemtern, Sinecuren und Einfluß greifen wird. Und man
kann zweifeln, ob es sich durch die nächste Parlamentssitzung, selbst wenn es seine
Stärke durch Neuwahlen zu vergrößern sucht, erhalten wird. Ferner ist durchaus
zweifelhaft, welche Politik ihm bei den auswärtigen Fragen, welche für uns
^das größte Interesse haben, belieben mag. Wol aber läßt sich annehmen,
daß es im Ganzen ähnlich laviren wird, wie die Whigs. Es wird bei gro¬
ßen Reformen nicht die Initiative ergreifen, wird öffentliche Wünsche so lange
zu beschwichtigen versuchen, bis sie einen imponirenden Ausdruck gewinnen,
dann aber ihnen nachgeben, und wird ebenso ängstlich bemüht sein, die öffent¬
liche Meinung nicht aufzuregen, als die Whigs waren.

Gleich am Anfange seiner Fahrt droht eine Klippe, von der die Tones selbst,
wie es scheint, das Aergste fürchten. Die Bill zum Schutz fremder Souveräne
gegen politische Verschwörer in England, welche von Lord Palmerston ein¬
gebracht, und die Veranlassung, nicht die Ursache seines Sturzes geworden
ist, hatte bei dem Unterhaus? unter dem vorigen Ministerium auf eine Ma¬
jorität zu hoffen. Ob in der Bill irgend etwas enthalten war, was den
Freiheiten des Engländers im Ernst gefährlich werden konnte, darüber wird
ein Ausländer sich des Urtheils enthalten müssen. Sicher ist, daß sie wenig¬
stens im Unterhaus ruhig durchgegangen wäre, wenn nicht ein leichtsinniges
und junkerhaftcs Benehmen Palmerstons -in der Flüchtlingsfrage, wie bei
einigen frühern Gelegenheiten, das sittliche und patriotische Gefühl der Ge¬
bildeten in- und außerhalb des Parlaments verletzt hätte. Diese Gemüths¬
stimmung verursachte jene überraschende Abstimmung bei einer Zwischenfrage,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/372>, abgerufen am 27.07.2024.