Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern auch Gesang. Außer anderer Kurzweil stand allwege hinter ihm
ein beredter Stocknarr, den wußte er frei herauszufordern und mit gleichem
lächerlichem Gespräch zu begegnen; gemeiniglich hatte er König!.- Kur- und
Fürstl. Personen beiderlei Geschlechts zur Gesellschaft bei Tische sitzen, mit
denen er ohne Aufhören heiteres Gespräch hielt, denn der Mund stand ihm
nimmermehr stille. Ich habe des Abends bei ihm einen Tanz gesehn, in dem
ein spanischer Herr, der ein langes, geschlossenes Kleid bis auf die Erde an¬
hatte, daß man von den Füßen nichts sehn konnte, ein Fräulein aufforderte
und mit derselben eine Algarde oder Passionesa (wie sie es nennen, ich vcr-
stehs nicht) tctnzte, er that ab und zu gewaltige Sprünge, sie auch und
wußte ihm von allen Seiten so zu begegnen, daß es eine Lust einzusehn war;
und wenn der Tanz zu Ende war, fing ein ander Paar einen welschen Tanz
an. Dagegen sein Herr Bruder, der römische Kaiser, hielt gar kein Banket,
ja er behielt keinen bei sich; wenn sie auf den Dienst warteten und ihn aus
der Kirche in sein Gemach, wo er sich zu Tische setzte, begleiteten, gab er
ihnen einem nach dem andern die Hand, ließ sie gehn und setzte sich allein
an den Tisch. Er redete auch nichts, nur ein Mal, als er aus der Kirche in
sein Gemach kam, sich umsah und Carlowitz") nicht gewahr wurde, sagte
er zu Herzog Moritz: udi est nostor Lai'Iovitius? und als dieser antwortete:
"Gnädigster Kaiser, er ist etwas schwach," rief er seinem Medicus auf hol¬
ländisch: "Vesali, ihr sollt zum Carlowitz gehn, er soll etwas siech sein. seht,
daß ihr ihm helfet." Ich habe den Kaiser auf etlichen Reichstagen oft essen
sehn, aber er hat seinen Bruder, König Ferdinandus, nie zu sich gebeten.
Wenn die Speisen von jungen Fürsten und Grafen aufgetragen wurden, wur¬
den jedesmal vier Trachten, in einer jeden sechs Gerichte, vor ihm auf den Tisch
gesetzt und die Oberschüssel nach einander abgenommen; gegen die, we-lebe er
nicht begehrte, schüttelte er den Kopf, wenn er von etwas essen wollte, winkte
er mit dem Kopf und zog die Schüssel vor sich hin. Es wurden stattliche
Pasteten, Wildpret und wohlzugerichtete Leckerspeisen weggetragen, er behielt
ein Bratferkcl, einen Kalbskopf u. tgi., ließ sich nichts vorschneiden, brauchte
auch das Messer nicht viel, sondern schnitt so viele Stücklein Brot, so groß,
wie er sie zu jedem Bissen in den Mund stecken konnte. Das Gericht, von
dem er essen wollte, löste er an der Ecke, wo es ihm am besten gefiel, mit
dem Messer, sein Stück brach er mit den Fingern auseinander, zog die
Schüssel unter das Kinn, und aß so natürlich, jedoch reinlich und sauber,



. ') Christoph von Carlowitz, der Vertraute und stille Regent des Kurfürsten Moritz von
Sachsen, war in jener Zeit mit gutem Grunde Günstling des Kaisers, denn er war der Po¬
litiker, welcher den Familienvcrrath seines Herrn leitete.

sondern auch Gesang. Außer anderer Kurzweil stand allwege hinter ihm
ein beredter Stocknarr, den wußte er frei herauszufordern und mit gleichem
lächerlichem Gespräch zu begegnen; gemeiniglich hatte er König!.- Kur- und
Fürstl. Personen beiderlei Geschlechts zur Gesellschaft bei Tische sitzen, mit
denen er ohne Aufhören heiteres Gespräch hielt, denn der Mund stand ihm
nimmermehr stille. Ich habe des Abends bei ihm einen Tanz gesehn, in dem
ein spanischer Herr, der ein langes, geschlossenes Kleid bis auf die Erde an¬
hatte, daß man von den Füßen nichts sehn konnte, ein Fräulein aufforderte
und mit derselben eine Algarde oder Passionesa (wie sie es nennen, ich vcr-
stehs nicht) tctnzte, er that ab und zu gewaltige Sprünge, sie auch und
wußte ihm von allen Seiten so zu begegnen, daß es eine Lust einzusehn war;
und wenn der Tanz zu Ende war, fing ein ander Paar einen welschen Tanz
an. Dagegen sein Herr Bruder, der römische Kaiser, hielt gar kein Banket,
ja er behielt keinen bei sich; wenn sie auf den Dienst warteten und ihn aus
der Kirche in sein Gemach, wo er sich zu Tische setzte, begleiteten, gab er
ihnen einem nach dem andern die Hand, ließ sie gehn und setzte sich allein
an den Tisch. Er redete auch nichts, nur ein Mal, als er aus der Kirche in
sein Gemach kam, sich umsah und Carlowitz") nicht gewahr wurde, sagte
er zu Herzog Moritz: udi est nostor Lai'Iovitius? und als dieser antwortete:
„Gnädigster Kaiser, er ist etwas schwach," rief er seinem Medicus auf hol¬
ländisch: „Vesali, ihr sollt zum Carlowitz gehn, er soll etwas siech sein. seht,
daß ihr ihm helfet." Ich habe den Kaiser auf etlichen Reichstagen oft essen
sehn, aber er hat seinen Bruder, König Ferdinandus, nie zu sich gebeten.
Wenn die Speisen von jungen Fürsten und Grafen aufgetragen wurden, wur¬
den jedesmal vier Trachten, in einer jeden sechs Gerichte, vor ihm auf den Tisch
gesetzt und die Oberschüssel nach einander abgenommen; gegen die, we-lebe er
nicht begehrte, schüttelte er den Kopf, wenn er von etwas essen wollte, winkte
er mit dem Kopf und zog die Schüssel vor sich hin. Es wurden stattliche
Pasteten, Wildpret und wohlzugerichtete Leckerspeisen weggetragen, er behielt
ein Bratferkcl, einen Kalbskopf u. tgi., ließ sich nichts vorschneiden, brauchte
auch das Messer nicht viel, sondern schnitt so viele Stücklein Brot, so groß,
wie er sie zu jedem Bissen in den Mund stecken konnte. Das Gericht, von
dem er essen wollte, löste er an der Ecke, wo es ihm am besten gefiel, mit
dem Messer, sein Stück brach er mit den Fingern auseinander, zog die
Schüssel unter das Kinn, und aß so natürlich, jedoch reinlich und sauber,



. ') Christoph von Carlowitz, der Vertraute und stille Regent des Kurfürsten Moritz von
Sachsen, war in jener Zeit mit gutem Grunde Günstling des Kaisers, denn er war der Po¬
litiker, welcher den Familienvcrrath seines Herrn leitete.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105578"/>
            <p xml:id="ID_790" prev="#ID_789" next="#ID_791"> sondern auch Gesang. Außer anderer Kurzweil stand allwege hinter ihm<lb/>
ein beredter Stocknarr, den wußte er frei herauszufordern und mit gleichem<lb/>
lächerlichem Gespräch zu begegnen; gemeiniglich hatte er König!.- Kur- und<lb/>
Fürstl. Personen beiderlei Geschlechts zur Gesellschaft bei Tische sitzen, mit<lb/>
denen er ohne Aufhören heiteres Gespräch hielt, denn der Mund stand ihm<lb/>
nimmermehr stille. Ich habe des Abends bei ihm einen Tanz gesehn, in dem<lb/>
ein spanischer Herr, der ein langes, geschlossenes Kleid bis auf die Erde an¬<lb/>
hatte, daß man von den Füßen nichts sehn konnte, ein Fräulein aufforderte<lb/>
und mit derselben eine Algarde oder Passionesa (wie sie es nennen, ich vcr-<lb/>
stehs nicht) tctnzte, er that ab und zu gewaltige Sprünge, sie auch und<lb/>
wußte ihm von allen Seiten so zu begegnen, daß es eine Lust einzusehn war;<lb/>
und wenn der Tanz zu Ende war, fing ein ander Paar einen welschen Tanz<lb/>
an. Dagegen sein Herr Bruder, der römische Kaiser, hielt gar kein Banket,<lb/>
ja er behielt keinen bei sich; wenn sie auf den Dienst warteten und ihn aus<lb/>
der Kirche in sein Gemach, wo er sich zu Tische setzte, begleiteten, gab er<lb/>
ihnen einem nach dem andern die Hand, ließ sie gehn und setzte sich allein<lb/>
an den Tisch. Er redete auch nichts, nur ein Mal, als er aus der Kirche in<lb/>
sein Gemach kam, sich umsah und Carlowitz") nicht gewahr wurde, sagte<lb/>
er zu Herzog Moritz: udi est nostor Lai'Iovitius? und als dieser antwortete:<lb/>
&#x201E;Gnädigster Kaiser, er ist etwas schwach," rief er seinem Medicus auf hol¬<lb/>
ländisch: &#x201E;Vesali, ihr sollt zum Carlowitz gehn, er soll etwas siech sein. seht,<lb/>
daß ihr ihm helfet." Ich habe den Kaiser auf etlichen Reichstagen oft essen<lb/>
sehn, aber er hat seinen Bruder, König Ferdinandus, nie zu sich gebeten.<lb/>
Wenn die Speisen von jungen Fürsten und Grafen aufgetragen wurden, wur¬<lb/>
den jedesmal vier Trachten, in einer jeden sechs Gerichte, vor ihm auf den Tisch<lb/>
gesetzt und die Oberschüssel nach einander abgenommen; gegen die, we-lebe er<lb/>
nicht begehrte, schüttelte er den Kopf, wenn er von etwas essen wollte, winkte<lb/>
er mit dem Kopf und zog die Schüssel vor sich hin. Es wurden stattliche<lb/>
Pasteten, Wildpret und wohlzugerichtete Leckerspeisen weggetragen, er behielt<lb/>
ein Bratferkcl, einen Kalbskopf u. tgi., ließ sich nichts vorschneiden, brauchte<lb/>
auch das Messer nicht viel, sondern schnitt so viele Stücklein Brot, so groß,<lb/>
wie er sie zu jedem Bissen in den Mund stecken konnte. Das Gericht, von<lb/>
dem er essen wollte, löste er an der Ecke, wo es ihm am besten gefiel, mit<lb/>
dem Messer, sein Stück brach er mit den Fingern auseinander, zog die<lb/>
Schüssel unter das Kinn, und aß so natürlich, jedoch reinlich und sauber,</p><lb/>
            <note xml:id="FID_18" place="foot"> . ') Christoph von Carlowitz, der Vertraute und stille Regent des Kurfürsten Moritz von<lb/>
Sachsen, war in jener Zeit mit gutem Grunde Günstling des Kaisers, denn er war der Po¬<lb/>
litiker, welcher den Familienvcrrath seines Herrn leitete.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] sondern auch Gesang. Außer anderer Kurzweil stand allwege hinter ihm ein beredter Stocknarr, den wußte er frei herauszufordern und mit gleichem lächerlichem Gespräch zu begegnen; gemeiniglich hatte er König!.- Kur- und Fürstl. Personen beiderlei Geschlechts zur Gesellschaft bei Tische sitzen, mit denen er ohne Aufhören heiteres Gespräch hielt, denn der Mund stand ihm nimmermehr stille. Ich habe des Abends bei ihm einen Tanz gesehn, in dem ein spanischer Herr, der ein langes, geschlossenes Kleid bis auf die Erde an¬ hatte, daß man von den Füßen nichts sehn konnte, ein Fräulein aufforderte und mit derselben eine Algarde oder Passionesa (wie sie es nennen, ich vcr- stehs nicht) tctnzte, er that ab und zu gewaltige Sprünge, sie auch und wußte ihm von allen Seiten so zu begegnen, daß es eine Lust einzusehn war; und wenn der Tanz zu Ende war, fing ein ander Paar einen welschen Tanz an. Dagegen sein Herr Bruder, der römische Kaiser, hielt gar kein Banket, ja er behielt keinen bei sich; wenn sie auf den Dienst warteten und ihn aus der Kirche in sein Gemach, wo er sich zu Tische setzte, begleiteten, gab er ihnen einem nach dem andern die Hand, ließ sie gehn und setzte sich allein an den Tisch. Er redete auch nichts, nur ein Mal, als er aus der Kirche in sein Gemach kam, sich umsah und Carlowitz") nicht gewahr wurde, sagte er zu Herzog Moritz: udi est nostor Lai'Iovitius? und als dieser antwortete: „Gnädigster Kaiser, er ist etwas schwach," rief er seinem Medicus auf hol¬ ländisch: „Vesali, ihr sollt zum Carlowitz gehn, er soll etwas siech sein. seht, daß ihr ihm helfet." Ich habe den Kaiser auf etlichen Reichstagen oft essen sehn, aber er hat seinen Bruder, König Ferdinandus, nie zu sich gebeten. Wenn die Speisen von jungen Fürsten und Grafen aufgetragen wurden, wur¬ den jedesmal vier Trachten, in einer jeden sechs Gerichte, vor ihm auf den Tisch gesetzt und die Oberschüssel nach einander abgenommen; gegen die, we-lebe er nicht begehrte, schüttelte er den Kopf, wenn er von etwas essen wollte, winkte er mit dem Kopf und zog die Schüssel vor sich hin. Es wurden stattliche Pasteten, Wildpret und wohlzugerichtete Leckerspeisen weggetragen, er behielt ein Bratferkcl, einen Kalbskopf u. tgi., ließ sich nichts vorschneiden, brauchte auch das Messer nicht viel, sondern schnitt so viele Stücklein Brot, so groß, wie er sie zu jedem Bissen in den Mund stecken konnte. Das Gericht, von dem er essen wollte, löste er an der Ecke, wo es ihm am besten gefiel, mit dem Messer, sein Stück brach er mit den Fingern auseinander, zog die Schüssel unter das Kinn, und aß so natürlich, jedoch reinlich und sauber, . ') Christoph von Carlowitz, der Vertraute und stille Regent des Kurfürsten Moritz von Sachsen, war in jener Zeit mit gutem Grunde Günstling des Kaisers, denn er war der Po¬ litiker, welcher den Familienvcrrath seines Herrn leitete.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/301>, abgerufen am 22.12.2024.