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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Werthes die fortificatorischen Anlagen, zu denen man sich entschloß, immerhin
nur knapp bemessen. Sticht wie bei Köln und Koblenz ist hier auf die Her¬
stellung eines großen verschanzten Lagers Hauptrücksicht genommen, wie es
doch sein müßte, wenn man den Punkt zum Halt einer defensiven Massenauf¬
stellung bestimmte und der Umstand" daß keine feste Brücke über den im Win¬
ter oft wochenlang mit Eis treibenden Strom besteht, gibt zu bedenken: in
welcher bedenklichen Lage sich eine auf dem rechten Weichsclufer stehende preu¬
ßische Armee befinden würde, wenn der Feind links agirt, und elementare
Verhältnisse ihr ein Hinübergehen verwehren. Außerdem ist klar, daß Thorn
eben nur in Bezug auf Ostpreußen und Posen die Bedeutung eines strategi¬
schen Centrums hat, nicht aber in Bezug auf die ganze vstwärtige Frontlinie,
und daß namentlich Schlesien sich etwas weit aus seiner Sphäre hinausgerückt
befindet. Dieser gesuchte wichtige Mittelpunkt der großen östlichen Frontlinie
zwischen Kösel und Memel würde, wenn Preußen seine naturgemäßen Grenzen
besäße, in Motum. am Einfluß des Bug-Narew in die Weichsel gesunden sein;
unter den obwaltenden Verhältnissen aber ist er nirgend anders als in der
Stadt Posen zu finden.

Die unendlich bedeutungsvolle strategische Centralität Posens beruht nicht
allein darauf, daß es zwischen den beiden am weitesten auseinandergelegenen
Partialthcatem des ostwürtigen Kriegs, Preußen und Schlesien, als verbinden¬
des Glied sich eingeschoben findet, sondern auch auf seiner Zwischenlage in¬
mitten der Ostsee und der Sudeten, jener beiden unüberschreitbaren Flügel¬
schranken, und zugleich nahe der Wasserscheide, welche Oder und Weichsel tren¬
nen. Sodann ans dem Umstand, daß jeder directe Stoß von Warschau her
auf die Hauptstadt der Monarchie dicht an ihm vorübergeführt werden muß,
daß jeder Uebergang über die mittlere Oder von ihm unmittelbar, und jeder über
die untere oder obere, schräg im Rücken bedroht wird; daß aber ein Rückstoß
wider Polen und die Mittelwcichscl von hier seinen bestgclcgencn Ausgang
nehmen wird und nehmen muß, weil er auf keinem andern Wege directer,
also mit vollerer Kraft und größerem Nachdruck geführt werden kann.'

Diese Beziehungen Posens zum Ostkriege springen zu klar hervor, und
sind zu gebietender Art, als daß man sich der Ausforderung hätte entziehen
können, sie zum leitenden Motiv beim Entwurf des preußischen Befestigungs¬
systems an der russischen Grenze zu machen. Es war wol schon 1326 oder 27,
als man sich für deu Punkt, um ihn zum eigentlichen Hort der preußischen De¬
fensive im Osten zu machen, entschieden hatte; im Jahre 1828 aber wurde
die erste Hand an die Ausführung gelegt, und dermaßen groß WM die gestellte
fortisicatorische Aufgabe, daß man länger als zwanzig Jahre darauf verwen¬
dete, um sie durchzuführen.

Heute, wo Posen vollendet ist, gilt es, und zwar mit Recht, als das Meister-


Werthes die fortificatorischen Anlagen, zu denen man sich entschloß, immerhin
nur knapp bemessen. Sticht wie bei Köln und Koblenz ist hier auf die Her¬
stellung eines großen verschanzten Lagers Hauptrücksicht genommen, wie es
doch sein müßte, wenn man den Punkt zum Halt einer defensiven Massenauf¬
stellung bestimmte und der Umstand» daß keine feste Brücke über den im Win¬
ter oft wochenlang mit Eis treibenden Strom besteht, gibt zu bedenken: in
welcher bedenklichen Lage sich eine auf dem rechten Weichsclufer stehende preu¬
ßische Armee befinden würde, wenn der Feind links agirt, und elementare
Verhältnisse ihr ein Hinübergehen verwehren. Außerdem ist klar, daß Thorn
eben nur in Bezug auf Ostpreußen und Posen die Bedeutung eines strategi¬
schen Centrums hat, nicht aber in Bezug auf die ganze vstwärtige Frontlinie,
und daß namentlich Schlesien sich etwas weit aus seiner Sphäre hinausgerückt
befindet. Dieser gesuchte wichtige Mittelpunkt der großen östlichen Frontlinie
zwischen Kösel und Memel würde, wenn Preußen seine naturgemäßen Grenzen
besäße, in Motum. am Einfluß des Bug-Narew in die Weichsel gesunden sein;
unter den obwaltenden Verhältnissen aber ist er nirgend anders als in der
Stadt Posen zu finden.

Die unendlich bedeutungsvolle strategische Centralität Posens beruht nicht
allein darauf, daß es zwischen den beiden am weitesten auseinandergelegenen
Partialthcatem des ostwürtigen Kriegs, Preußen und Schlesien, als verbinden¬
des Glied sich eingeschoben findet, sondern auch auf seiner Zwischenlage in¬
mitten der Ostsee und der Sudeten, jener beiden unüberschreitbaren Flügel¬
schranken, und zugleich nahe der Wasserscheide, welche Oder und Weichsel tren¬
nen. Sodann ans dem Umstand, daß jeder directe Stoß von Warschau her
auf die Hauptstadt der Monarchie dicht an ihm vorübergeführt werden muß,
daß jeder Uebergang über die mittlere Oder von ihm unmittelbar, und jeder über
die untere oder obere, schräg im Rücken bedroht wird; daß aber ein Rückstoß
wider Polen und die Mittelwcichscl von hier seinen bestgclcgencn Ausgang
nehmen wird und nehmen muß, weil er auf keinem andern Wege directer,
also mit vollerer Kraft und größerem Nachdruck geführt werden kann.'

Diese Beziehungen Posens zum Ostkriege springen zu klar hervor, und
sind zu gebietender Art, als daß man sich der Ausforderung hätte entziehen
können, sie zum leitenden Motiv beim Entwurf des preußischen Befestigungs¬
systems an der russischen Grenze zu machen. Es war wol schon 1326 oder 27,
als man sich für deu Punkt, um ihn zum eigentlichen Hort der preußischen De¬
fensive im Osten zu machen, entschieden hatte; im Jahre 1828 aber wurde
die erste Hand an die Ausführung gelegt, und dermaßen groß WM die gestellte
fortisicatorische Aufgabe, daß man länger als zwanzig Jahre darauf verwen¬
dete, um sie durchzuführen.

Heute, wo Posen vollendet ist, gilt es, und zwar mit Recht, als das Meister-


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[0270] Werthes die fortificatorischen Anlagen, zu denen man sich entschloß, immerhin nur knapp bemessen. Sticht wie bei Köln und Koblenz ist hier auf die Her¬ stellung eines großen verschanzten Lagers Hauptrücksicht genommen, wie es doch sein müßte, wenn man den Punkt zum Halt einer defensiven Massenauf¬ stellung bestimmte und der Umstand» daß keine feste Brücke über den im Win¬ ter oft wochenlang mit Eis treibenden Strom besteht, gibt zu bedenken: in welcher bedenklichen Lage sich eine auf dem rechten Weichsclufer stehende preu¬ ßische Armee befinden würde, wenn der Feind links agirt, und elementare Verhältnisse ihr ein Hinübergehen verwehren. Außerdem ist klar, daß Thorn eben nur in Bezug auf Ostpreußen und Posen die Bedeutung eines strategi¬ schen Centrums hat, nicht aber in Bezug auf die ganze vstwärtige Frontlinie, und daß namentlich Schlesien sich etwas weit aus seiner Sphäre hinausgerückt befindet. Dieser gesuchte wichtige Mittelpunkt der großen östlichen Frontlinie zwischen Kösel und Memel würde, wenn Preußen seine naturgemäßen Grenzen besäße, in Motum. am Einfluß des Bug-Narew in die Weichsel gesunden sein; unter den obwaltenden Verhältnissen aber ist er nirgend anders als in der Stadt Posen zu finden. Die unendlich bedeutungsvolle strategische Centralität Posens beruht nicht allein darauf, daß es zwischen den beiden am weitesten auseinandergelegenen Partialthcatem des ostwürtigen Kriegs, Preußen und Schlesien, als verbinden¬ des Glied sich eingeschoben findet, sondern auch auf seiner Zwischenlage in¬ mitten der Ostsee und der Sudeten, jener beiden unüberschreitbaren Flügel¬ schranken, und zugleich nahe der Wasserscheide, welche Oder und Weichsel tren¬ nen. Sodann ans dem Umstand, daß jeder directe Stoß von Warschau her auf die Hauptstadt der Monarchie dicht an ihm vorübergeführt werden muß, daß jeder Uebergang über die mittlere Oder von ihm unmittelbar, und jeder über die untere oder obere, schräg im Rücken bedroht wird; daß aber ein Rückstoß wider Polen und die Mittelwcichscl von hier seinen bestgclcgencn Ausgang nehmen wird und nehmen muß, weil er auf keinem andern Wege directer, also mit vollerer Kraft und größerem Nachdruck geführt werden kann.' Diese Beziehungen Posens zum Ostkriege springen zu klar hervor, und sind zu gebietender Art, als daß man sich der Ausforderung hätte entziehen können, sie zum leitenden Motiv beim Entwurf des preußischen Befestigungs¬ systems an der russischen Grenze zu machen. Es war wol schon 1326 oder 27, als man sich für deu Punkt, um ihn zum eigentlichen Hort der preußischen De¬ fensive im Osten zu machen, entschieden hatte; im Jahre 1828 aber wurde die erste Hand an die Ausführung gelegt, und dermaßen groß WM die gestellte fortisicatorische Aufgabe, daß man länger als zwanzig Jahre darauf verwen¬ dete, um sie durchzuführen. Heute, wo Posen vollendet ist, gilt es, und zwar mit Recht, als das Meister-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/270>, abgerufen am 28.07.2024.