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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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zur Zukunft wenden könnte, wenn es mindestens den Weichselstrom von der
See bis Krakau als sein eigen besäße.

Es war etwa um die Mitte der zwanziger Jahre, als man in Preußen zu¬
erst daran dachte, etwas Größeres als bloße Neparaturbauten zum vermehrten
Schutz der ostwärtigen Grenze zu unternehmen. Den Punkt, aus welchen man
als den ersten seine Aufmerksamkeit zu richten habe, glaubte man in Thorn
zu erkennen. Wie bekannt kam diese Stadt als eine geschleifte oder mindestens
tief verfallene Festung an Preußen. Die Bedeutung, welche es als strategische
Oertlichkeit hat, ist nirgend und von niemandem klarer auseinandergesetzt
worden, als durch den preußischen General von Willisen in seinem als classisch
anerkannten, bedeutenden und namentlich dem Laien im Kriegswesen als beste
Einführung in dasselbe zu empfehlenden Werke: "Theorie des großen
Krieges". Der verehrte Autor sagt darüber etwa Folgendes: "Der gefähr¬
lichste Angriff ist von Warschau und vom linken Weichselufer her.
Nun hat aber glücklicherweise die Stellung bei Thorn die Weichsel bis zum
Meere im Rücken; außerdem hat diese Stellung eine durch die starke Netzelinie
gedeckte Verbindung mit dein Centro in ihrer Flanke. Gegen einen Angriff
von Ostpreußen her, nachdem etwa die Vertheidigung, wäre sie nicht gleich
durch einen ersten Schritt, wie es leicht geschehen könnte, an den Riemen ver¬
legt worden, am Pregel aufgegeben worden, hätte die Vertheidigung bei Thorn
die freieste und gesichertste Verbindung nach Südwesten und Westen. Thorn
hat somit eine allgemein günstige strategische Lage. Weder auf der einen noch
auf der andern Linie dürfte der Feind den strategischen Meridian der Auf¬
stellung von Thorn überschreiten, ohne sich strategisch blos zugeben. Er müßte
sich gegen Thorn wenden, um die Vertheidigung von dort zu vertreiben. Die
Lage von Thorn vertheidigt aber, und grade für den schlimmsten Angriff, für
den von Warschau her, Ostpreußen mit. Wenn der Feind nur mit einer
Armee, und auf dieser Richtung allein operirt, so ist Preußen sogar durch die
Stellung von Thorn mehr geschützt, als etwa Posen oder Schlesien. Operirt
er aher mit einer zweiten Armee zugleich auf der Linie von Wilna, so dürfte
auch ein zweites partielles Vertheidigungssystem für Preußen am Pregel eta-
blirt werden, und es hatte zugleich die centrale Stellung bei' Thorn die Ge¬
legenheit zu einem partiellen Angriff, zu einen Act aus dem offensiven Theile
der Vertheidigung."

So weit General von Willisen. Seine.über die Bedeutung von Thorn
ausgesprochenen Ansichten haben grade darum einen vorwiegenden Werth, weil
sie, abgesehen von der Feder, aus welcher sie kommen, zugleich das Urtheil
ausdrücken dürsten, welches im großen Generalstabe zu Berlin Geltung hatte,
und im Kriegsministerium letztlich den Ausschlag sür die Wahl gegeben hat.
Inzwischen waren in Ansehung dieses großen ihm zugeschriebenen strategischen


zur Zukunft wenden könnte, wenn es mindestens den Weichselstrom von der
See bis Krakau als sein eigen besäße.

Es war etwa um die Mitte der zwanziger Jahre, als man in Preußen zu¬
erst daran dachte, etwas Größeres als bloße Neparaturbauten zum vermehrten
Schutz der ostwärtigen Grenze zu unternehmen. Den Punkt, aus welchen man
als den ersten seine Aufmerksamkeit zu richten habe, glaubte man in Thorn
zu erkennen. Wie bekannt kam diese Stadt als eine geschleifte oder mindestens
tief verfallene Festung an Preußen. Die Bedeutung, welche es als strategische
Oertlichkeit hat, ist nirgend und von niemandem klarer auseinandergesetzt
worden, als durch den preußischen General von Willisen in seinem als classisch
anerkannten, bedeutenden und namentlich dem Laien im Kriegswesen als beste
Einführung in dasselbe zu empfehlenden Werke: „Theorie des großen
Krieges". Der verehrte Autor sagt darüber etwa Folgendes: „Der gefähr¬
lichste Angriff ist von Warschau und vom linken Weichselufer her.
Nun hat aber glücklicherweise die Stellung bei Thorn die Weichsel bis zum
Meere im Rücken; außerdem hat diese Stellung eine durch die starke Netzelinie
gedeckte Verbindung mit dein Centro in ihrer Flanke. Gegen einen Angriff
von Ostpreußen her, nachdem etwa die Vertheidigung, wäre sie nicht gleich
durch einen ersten Schritt, wie es leicht geschehen könnte, an den Riemen ver¬
legt worden, am Pregel aufgegeben worden, hätte die Vertheidigung bei Thorn
die freieste und gesichertste Verbindung nach Südwesten und Westen. Thorn
hat somit eine allgemein günstige strategische Lage. Weder auf der einen noch
auf der andern Linie dürfte der Feind den strategischen Meridian der Auf¬
stellung von Thorn überschreiten, ohne sich strategisch blos zugeben. Er müßte
sich gegen Thorn wenden, um die Vertheidigung von dort zu vertreiben. Die
Lage von Thorn vertheidigt aber, und grade für den schlimmsten Angriff, für
den von Warschau her, Ostpreußen mit. Wenn der Feind nur mit einer
Armee, und auf dieser Richtung allein operirt, so ist Preußen sogar durch die
Stellung von Thorn mehr geschützt, als etwa Posen oder Schlesien. Operirt
er aher mit einer zweiten Armee zugleich auf der Linie von Wilna, so dürfte
auch ein zweites partielles Vertheidigungssystem für Preußen am Pregel eta-
blirt werden, und es hatte zugleich die centrale Stellung bei' Thorn die Ge¬
legenheit zu einem partiellen Angriff, zu einen Act aus dem offensiven Theile
der Vertheidigung."

So weit General von Willisen. Seine.über die Bedeutung von Thorn
ausgesprochenen Ansichten haben grade darum einen vorwiegenden Werth, weil
sie, abgesehen von der Feder, aus welcher sie kommen, zugleich das Urtheil
ausdrücken dürsten, welches im großen Generalstabe zu Berlin Geltung hatte,
und im Kriegsministerium letztlich den Ausschlag sür die Wahl gegeben hat.
Inzwischen waren in Ansehung dieses großen ihm zugeschriebenen strategischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/269>, abgerufen am 28.07.2024.