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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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überhaupt, nach allen Seiten hin, in ein annäherndes Gleichgewicht zu stellen,
und dieses Bestreben anfangs von den Ostgrcnzen absehen ließ,, weil sich hier
bereits ältere Festungen vorfanden, während der Westen von solchen ganz
entblößt war. Denn in Wahrheit hatte unter diesen Plätzen aus einer frühern
Zeit nur Danzig Bedeutung; die andern Befestigungspunkte: Pillau, Grau-
denz, Kösel kamen ihrer geringen Größe wegen wenig in Betracht, und Kol¬
berg, Stettin, Küstrin und Glogau liegen der eigentlichen Frontlinie zu fern,
um in unmittelbare Beziehung zur Vertheidigung derselben gestellt zu werden.
Das angestrebte Gleichgewicht war aber ganz sicher nicht mehr vorhanden,
als die großen Festungen am Rhein so weit vorgeschritten waren, daß sie
für sähig erachtet werden konnten, Stützpunkte des Widerstandes zu sein, und
Preußen war zu jener Zeit ein Staat mit durchaus abnorm arrangirten Ver¬
theidigungsvorkehrungen, indem er ungeachtet seiner Zwischenstellung zwischen
drei gewaltigen Groß- und Militärmächten eigentlich nur eine einzige bewehrte
Fronte bot und seinen ihm zunächst gestellten Nachbarn unter jenen Rücken
und Flanke ziemlich offen und ungedeckt zuwendete. Es mochte diese Lage
der Dinge mit den Maximen, die im System der "heiligen Allianz" lagen,
vollkommen stimmen, aber mit Preußens ererbter Politik und mit den Grund¬
sätzen, deren energischer Handhabung es seine Machtstellung auf' verhältni߬
mäßig so schmaler Basis zu verdanken hatte, war sie vorerst nicht zu verein¬
baren.

Preußens strategische Stellung gegen Osten, namentlich in Hinsicht auf
die Defensive, ist an und für sich schwächer als die Frankreich gegenüber.
Voraus vor dieser hat der Staat in ersterer Richtung nur den Umstand, daß
seine Hauptmasse hier concentrirt bciscnnmcnliegt, und seine Rußland cntgcgcn-
gckehrte Frontlinic eine darum ausgedehntere -- darum aber auch zugleich
schwerer zu deckende -- ist. Unter die ungünstigen Umstände gehört zunächst
des russischen Polens vorgreifende Lage; wodurch Ostpreußen bis zur Weich¬
sel und darüber hinaus in die Flanke genommen und sein Zusammenhang
mit dem Gros der preußischen Monarchie bedroht wird. Man erinnert sich
wol aus der Geschichte des wiener Kongresses der Denkschriften des wackern
Generals von Knesebeck, in welchen ausgesprochen wird, daß die damals
festgestellten und leider definitiv angenommenen Grenzverhältnisse, zumal in
Ansehung der zunehmenden inneren Machtentwicklung Rußlands, eine Kala¬
mität für Preußen ausmachen, und daß 500,000 Mann Nüssen, die in der
Spitze des den Leib der Monarchie spaltenden polnischen Landeskeils ver¬
sammelt würden, jenen nothwendig sprengen müßten. Es ist hier nicht der
Ort des Näheren darauf einzugehen, was durch eine determinirte Haltung auf
dem besagten Kongresse (1817) zu erreichen gewesen wäre; aber so viel sei
hier bemerkt, daß Preußen heute mit ungleich geringerer Unruhe seine Blicke


überhaupt, nach allen Seiten hin, in ein annäherndes Gleichgewicht zu stellen,
und dieses Bestreben anfangs von den Ostgrcnzen absehen ließ,, weil sich hier
bereits ältere Festungen vorfanden, während der Westen von solchen ganz
entblößt war. Denn in Wahrheit hatte unter diesen Plätzen aus einer frühern
Zeit nur Danzig Bedeutung; die andern Befestigungspunkte: Pillau, Grau-
denz, Kösel kamen ihrer geringen Größe wegen wenig in Betracht, und Kol¬
berg, Stettin, Küstrin und Glogau liegen der eigentlichen Frontlinie zu fern,
um in unmittelbare Beziehung zur Vertheidigung derselben gestellt zu werden.
Das angestrebte Gleichgewicht war aber ganz sicher nicht mehr vorhanden,
als die großen Festungen am Rhein so weit vorgeschritten waren, daß sie
für sähig erachtet werden konnten, Stützpunkte des Widerstandes zu sein, und
Preußen war zu jener Zeit ein Staat mit durchaus abnorm arrangirten Ver¬
theidigungsvorkehrungen, indem er ungeachtet seiner Zwischenstellung zwischen
drei gewaltigen Groß- und Militärmächten eigentlich nur eine einzige bewehrte
Fronte bot und seinen ihm zunächst gestellten Nachbarn unter jenen Rücken
und Flanke ziemlich offen und ungedeckt zuwendete. Es mochte diese Lage
der Dinge mit den Maximen, die im System der „heiligen Allianz" lagen,
vollkommen stimmen, aber mit Preußens ererbter Politik und mit den Grund¬
sätzen, deren energischer Handhabung es seine Machtstellung auf' verhältni߬
mäßig so schmaler Basis zu verdanken hatte, war sie vorerst nicht zu verein¬
baren.

Preußens strategische Stellung gegen Osten, namentlich in Hinsicht auf
die Defensive, ist an und für sich schwächer als die Frankreich gegenüber.
Voraus vor dieser hat der Staat in ersterer Richtung nur den Umstand, daß
seine Hauptmasse hier concentrirt bciscnnmcnliegt, und seine Rußland cntgcgcn-
gckehrte Frontlinic eine darum ausgedehntere — darum aber auch zugleich
schwerer zu deckende — ist. Unter die ungünstigen Umstände gehört zunächst
des russischen Polens vorgreifende Lage; wodurch Ostpreußen bis zur Weich¬
sel und darüber hinaus in die Flanke genommen und sein Zusammenhang
mit dem Gros der preußischen Monarchie bedroht wird. Man erinnert sich
wol aus der Geschichte des wiener Kongresses der Denkschriften des wackern
Generals von Knesebeck, in welchen ausgesprochen wird, daß die damals
festgestellten und leider definitiv angenommenen Grenzverhältnisse, zumal in
Ansehung der zunehmenden inneren Machtentwicklung Rußlands, eine Kala¬
mität für Preußen ausmachen, und daß 500,000 Mann Nüssen, die in der
Spitze des den Leib der Monarchie spaltenden polnischen Landeskeils ver¬
sammelt würden, jenen nothwendig sprengen müßten. Es ist hier nicht der
Ort des Näheren darauf einzugehen, was durch eine determinirte Haltung auf
dem besagten Kongresse (1817) zu erreichen gewesen wäre; aber so viel sei
hier bemerkt, daß Preußen heute mit ungleich geringerer Unruhe seine Blicke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/268>, abgerufen am 28.07.2024.