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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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central zu beiden d. h. eine unter den Mauern der Festung concentrirte
Armee kann sich radial nach der einen oder anderen Richtung hinwerfen;
aber, wenn es auch gerathen wäre, eine derartige Centralstellung einzunehmen,
was nicht der Fall ist, wie uns die Erfahrungen des Krieges von 1806 be¬
lehrten, weil der Gegner, wenn er überraschend bei Hof debouchirt, die bei
Erfurt stehende Armee umgehen, zunächst von der Saale und damit vom
Gros der Monarchie abschneiden kann, so ist bei der trefflichen Beschaffenheit
der vielen über den Kamm des Gebirges führenden Nebenstraßen ein Verschluß
bei Hof und Eisenach. wenn er auch hermetisch wäre, im hohen Maße unwirk¬
sam. Nichts desto weniger ist Erfurt von einer großen Bedeutung. Es ist nach
Minden die zweite zwischen dem Rhein und der Elbe gelegene fort^ificatorische
Staffel, der einzige Platz ferner auf der Linie von dem letzteren Strome bis
Mainz, und ein unentbehrlicher Haltpunkt für den in diesen Regionen zu füh¬
renden Krieg. Mehr noch: auf Erfurt beruht der militärische Zusammenhang
der politisch in eine West- und Osthälfte zerrissenen preußischen Monarchie.
Nähme man diesen Platz aus dem System heraus, so würde Preußen auch
in strategischer Hinsicht dem Körper einer Wespe gleichen, welcher da seine
schmalste Taille hat und eine trennende Einschnürung erleidet, wo seine Mitte
und sein Herz unter anderen und normalen Umständen liegen müßte.

Man kann Erfurt den Schlußstein und die unvermißbare Ergänzung des
preußischen, nach Westen (Frankreich entgegen) gewendeten Vertheidignngssystems
nennen. Aber seine Lage ist der Art, daß sie einer Doppelbestimmung entspricht,
und demselben Platz zugleich eine strategische Frontrichtung nach Süden
anweiset. Auf dieses sein Verhalten zum süddeutschen oder Oestreich zu¬
gewendeten Kriegstheater näher einzugehen, muß ich mir an einer anderen
Stelle des Aussatzes vorbehalten. Mit dem zuletzt Gesagten ist derselbe zu
einem Abschnittspunkte gelangt. In dem nachfolgenden Theile werde ich
Preußens Landesbefestigungssystem im Osten zu besprechen haben, und end¬
lich den dritten einer Erörterung seiner sortificatorischen Widerstandsmittel auf
der Südfronte widmen.

Die im vorausgegangenen Abschnitte dargelegte fortificatorische Sicherung
der großen westlichen Landesfronte Preußens war gewiß wichtig, und im
hohen Maße nothwendig. Aber nur wenn man mit der damals ein¬
gehaltenen Politik der Regierung einverstanden ist, kann man es entschuld
tigem, daß eine lange Reihe von Jahren hindurch alle im Budget des Jn-
genicurwesens ^disponiblen Mittel auf ihre Herstellung allein verwendet wurden
und zur Sicherung des Staates nach der entgegengesetzten Richtung hin, d. h.
gegenüber von Rußland, beinahe nichts geschah. Es hat keinen rechten Halt,
und ist nicht ganz logisch, wenn man zur Entschuldigung dieser Vernachlässi¬
gung anführt, daß es vorerst darauf angekommen sei, die Landesbefestigung


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central zu beiden d. h. eine unter den Mauern der Festung concentrirte
Armee kann sich radial nach der einen oder anderen Richtung hinwerfen;
aber, wenn es auch gerathen wäre, eine derartige Centralstellung einzunehmen,
was nicht der Fall ist, wie uns die Erfahrungen des Krieges von 1806 be¬
lehrten, weil der Gegner, wenn er überraschend bei Hof debouchirt, die bei
Erfurt stehende Armee umgehen, zunächst von der Saale und damit vom
Gros der Monarchie abschneiden kann, so ist bei der trefflichen Beschaffenheit
der vielen über den Kamm des Gebirges führenden Nebenstraßen ein Verschluß
bei Hof und Eisenach. wenn er auch hermetisch wäre, im hohen Maße unwirk¬
sam. Nichts desto weniger ist Erfurt von einer großen Bedeutung. Es ist nach
Minden die zweite zwischen dem Rhein und der Elbe gelegene fort^ificatorische
Staffel, der einzige Platz ferner auf der Linie von dem letzteren Strome bis
Mainz, und ein unentbehrlicher Haltpunkt für den in diesen Regionen zu füh¬
renden Krieg. Mehr noch: auf Erfurt beruht der militärische Zusammenhang
der politisch in eine West- und Osthälfte zerrissenen preußischen Monarchie.
Nähme man diesen Platz aus dem System heraus, so würde Preußen auch
in strategischer Hinsicht dem Körper einer Wespe gleichen, welcher da seine
schmalste Taille hat und eine trennende Einschnürung erleidet, wo seine Mitte
und sein Herz unter anderen und normalen Umständen liegen müßte.

Man kann Erfurt den Schlußstein und die unvermißbare Ergänzung des
preußischen, nach Westen (Frankreich entgegen) gewendeten Vertheidignngssystems
nennen. Aber seine Lage ist der Art, daß sie einer Doppelbestimmung entspricht,
und demselben Platz zugleich eine strategische Frontrichtung nach Süden
anweiset. Auf dieses sein Verhalten zum süddeutschen oder Oestreich zu¬
gewendeten Kriegstheater näher einzugehen, muß ich mir an einer anderen
Stelle des Aussatzes vorbehalten. Mit dem zuletzt Gesagten ist derselbe zu
einem Abschnittspunkte gelangt. In dem nachfolgenden Theile werde ich
Preußens Landesbefestigungssystem im Osten zu besprechen haben, und end¬
lich den dritten einer Erörterung seiner sortificatorischen Widerstandsmittel auf
der Südfronte widmen.

Die im vorausgegangenen Abschnitte dargelegte fortificatorische Sicherung
der großen westlichen Landesfronte Preußens war gewiß wichtig, und im
hohen Maße nothwendig. Aber nur wenn man mit der damals ein¬
gehaltenen Politik der Regierung einverstanden ist, kann man es entschuld
tigem, daß eine lange Reihe von Jahren hindurch alle im Budget des Jn-
genicurwesens ^disponiblen Mittel auf ihre Herstellung allein verwendet wurden
und zur Sicherung des Staates nach der entgegengesetzten Richtung hin, d. h.
gegenüber von Rußland, beinahe nichts geschah. Es hat keinen rechten Halt,
und ist nicht ganz logisch, wenn man zur Entschuldigung dieser Vernachlässi¬
gung anführt, daß es vorerst darauf angekommen sei, die Landesbefestigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/267>, abgerufen am 28.07.2024.