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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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girren. Dennoch war auf beiden Punkten beim Ausbruch der französischen
Revolution von 1830 das Meiste beendet, und zwar befand sich damals
Koblenz in einem noch weiter vorgeschrittenen Vertheidigungszustand wie
Köln. Wenn es damals zwischen Preußen und Frankreich zum Kriege ge¬
kommen wäre, würde ersteres, abgesehen von Mainz, drei wichtige rheinische
Deboucheepunkte in seinen Händen gehalten und damit ein schweres Gewicht
in die Wagschale jeder in diese Gegenden verlegten militärischen Entschei¬
dung geworfen haben. Köln, Koblenz und Wesel würden ebenso viele feste
Pforten gewesen sein, durch welche unser Vaterland seine Heere, je nach Be¬
lieben, hätte vorschieben oder hinter die große Rheinbarrivre zurücknehmen
können. Mit anderen Worten: diese Festungen würden als ungeheure, so zu
sagen strategische Brückentopfe gewirkt haben, und es ist eine wohl begründete
Ansicht, daß ein Nheinübcrgang der Franzosen unmöglich gewesen wäre,
wenn sie nicht mindestens zwei zuvor genommen hätten. Die Theorie, auf
welche sich diese Annahme gründet, ist in dem mit Meisterhand geschriebenen
Werke des Generals von Willisen, Theorie des großen Krieges, in einer
ebenso geistreichen wie erschöpfenden Weise entwickelt worden, und ich muß
mich um so mehr darauf beschränken, hier nur darauf hinzudeuten, als ich
ohnehin in Betreff der Ausdehnung dieser Arbeit den Raum Ihrer geehrten
Blätter stark in Anspruch nehme.

Rücksichtlich Mindens ist hier anzumerken, daß die Hauptsache zur Ver¬
stärkung und Erweiterung der dortigen Festungswerke in den dreißiger Jahren
zur Ausführung gekommen ist. Der Punkt bezeichnet eine schwache Region
des preußischen Vertheidigungsgebiets. Man kann sich nicht der Befürchtung
entschlagen, daß, wenn am Rhein eine große Entscheidung gegeben und zu
unserem Nachtheil ausgefallen sein sollte, der Angriff muthmaßlich gleich an
die Elbe gelangen würde, weil dazwischen nichts ist, was ihm ein ernstes
Hinderniß entgegenzustellen vermöchte. Um in diesen weiten Raum ein neues
starkes Element des Widerstandes zu legen, konnte Preußen, bei der Abgren¬
zung seines Territoriums, nicht zugleich ein anderes Mittel ergreifen, als
Erfurt zu erweitern und zu verstärken. Dieser Festung Lage richtig zu er¬
fassen ist nicht ohne Werth, weil darauf das Verständniß des preußischen
Landesvcrtheidigungssystems zu einem großen Theile mildernde. Wie man
weiß liegt Erfurt an keinem Fluß von Bedeutung, und wenn es auch mit
einem guten Schleusenspiel versehen ist, fehlt ihm aus jenem Grunde dennoch
die Bedeutung eines Platzes, der einen Strom hütet. Auch seine Beziehungen
zu den verschiedenen Hauptdcfileen des thüringer Waldes kann man wol
derzeit nur noch als illusorisch bezeichnen. Wie man weiß hat Thüringen
nach Westen hin eine große Pforte: das Debouchee von Eisenach, und nach
Süden hin eine andere, nicht minder wichtige, das von Hof. Erfurt liegt


girren. Dennoch war auf beiden Punkten beim Ausbruch der französischen
Revolution von 1830 das Meiste beendet, und zwar befand sich damals
Koblenz in einem noch weiter vorgeschrittenen Vertheidigungszustand wie
Köln. Wenn es damals zwischen Preußen und Frankreich zum Kriege ge¬
kommen wäre, würde ersteres, abgesehen von Mainz, drei wichtige rheinische
Deboucheepunkte in seinen Händen gehalten und damit ein schweres Gewicht
in die Wagschale jeder in diese Gegenden verlegten militärischen Entschei¬
dung geworfen haben. Köln, Koblenz und Wesel würden ebenso viele feste
Pforten gewesen sein, durch welche unser Vaterland seine Heere, je nach Be¬
lieben, hätte vorschieben oder hinter die große Rheinbarrivre zurücknehmen
können. Mit anderen Worten: diese Festungen würden als ungeheure, so zu
sagen strategische Brückentopfe gewirkt haben, und es ist eine wohl begründete
Ansicht, daß ein Nheinübcrgang der Franzosen unmöglich gewesen wäre,
wenn sie nicht mindestens zwei zuvor genommen hätten. Die Theorie, auf
welche sich diese Annahme gründet, ist in dem mit Meisterhand geschriebenen
Werke des Generals von Willisen, Theorie des großen Krieges, in einer
ebenso geistreichen wie erschöpfenden Weise entwickelt worden, und ich muß
mich um so mehr darauf beschränken, hier nur darauf hinzudeuten, als ich
ohnehin in Betreff der Ausdehnung dieser Arbeit den Raum Ihrer geehrten
Blätter stark in Anspruch nehme.

Rücksichtlich Mindens ist hier anzumerken, daß die Hauptsache zur Ver¬
stärkung und Erweiterung der dortigen Festungswerke in den dreißiger Jahren
zur Ausführung gekommen ist. Der Punkt bezeichnet eine schwache Region
des preußischen Vertheidigungsgebiets. Man kann sich nicht der Befürchtung
entschlagen, daß, wenn am Rhein eine große Entscheidung gegeben und zu
unserem Nachtheil ausgefallen sein sollte, der Angriff muthmaßlich gleich an
die Elbe gelangen würde, weil dazwischen nichts ist, was ihm ein ernstes
Hinderniß entgegenzustellen vermöchte. Um in diesen weiten Raum ein neues
starkes Element des Widerstandes zu legen, konnte Preußen, bei der Abgren¬
zung seines Territoriums, nicht zugleich ein anderes Mittel ergreifen, als
Erfurt zu erweitern und zu verstärken. Dieser Festung Lage richtig zu er¬
fassen ist nicht ohne Werth, weil darauf das Verständniß des preußischen
Landesvcrtheidigungssystems zu einem großen Theile mildernde. Wie man
weiß liegt Erfurt an keinem Fluß von Bedeutung, und wenn es auch mit
einem guten Schleusenspiel versehen ist, fehlt ihm aus jenem Grunde dennoch
die Bedeutung eines Platzes, der einen Strom hütet. Auch seine Beziehungen
zu den verschiedenen Hauptdcfileen des thüringer Waldes kann man wol
derzeit nur noch als illusorisch bezeichnen. Wie man weiß hat Thüringen
nach Westen hin eine große Pforte: das Debouchee von Eisenach, und nach
Süden hin eine andere, nicht minder wichtige, das von Hof. Erfurt liegt


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[0266] girren. Dennoch war auf beiden Punkten beim Ausbruch der französischen Revolution von 1830 das Meiste beendet, und zwar befand sich damals Koblenz in einem noch weiter vorgeschrittenen Vertheidigungszustand wie Köln. Wenn es damals zwischen Preußen und Frankreich zum Kriege ge¬ kommen wäre, würde ersteres, abgesehen von Mainz, drei wichtige rheinische Deboucheepunkte in seinen Händen gehalten und damit ein schweres Gewicht in die Wagschale jeder in diese Gegenden verlegten militärischen Entschei¬ dung geworfen haben. Köln, Koblenz und Wesel würden ebenso viele feste Pforten gewesen sein, durch welche unser Vaterland seine Heere, je nach Be¬ lieben, hätte vorschieben oder hinter die große Rheinbarrivre zurücknehmen können. Mit anderen Worten: diese Festungen würden als ungeheure, so zu sagen strategische Brückentopfe gewirkt haben, und es ist eine wohl begründete Ansicht, daß ein Nheinübcrgang der Franzosen unmöglich gewesen wäre, wenn sie nicht mindestens zwei zuvor genommen hätten. Die Theorie, auf welche sich diese Annahme gründet, ist in dem mit Meisterhand geschriebenen Werke des Generals von Willisen, Theorie des großen Krieges, in einer ebenso geistreichen wie erschöpfenden Weise entwickelt worden, und ich muß mich um so mehr darauf beschränken, hier nur darauf hinzudeuten, als ich ohnehin in Betreff der Ausdehnung dieser Arbeit den Raum Ihrer geehrten Blätter stark in Anspruch nehme. Rücksichtlich Mindens ist hier anzumerken, daß die Hauptsache zur Ver¬ stärkung und Erweiterung der dortigen Festungswerke in den dreißiger Jahren zur Ausführung gekommen ist. Der Punkt bezeichnet eine schwache Region des preußischen Vertheidigungsgebiets. Man kann sich nicht der Befürchtung entschlagen, daß, wenn am Rhein eine große Entscheidung gegeben und zu unserem Nachtheil ausgefallen sein sollte, der Angriff muthmaßlich gleich an die Elbe gelangen würde, weil dazwischen nichts ist, was ihm ein ernstes Hinderniß entgegenzustellen vermöchte. Um in diesen weiten Raum ein neues starkes Element des Widerstandes zu legen, konnte Preußen, bei der Abgren¬ zung seines Territoriums, nicht zugleich ein anderes Mittel ergreifen, als Erfurt zu erweitern und zu verstärken. Dieser Festung Lage richtig zu er¬ fassen ist nicht ohne Werth, weil darauf das Verständniß des preußischen Landesvcrtheidigungssystems zu einem großen Theile mildernde. Wie man weiß liegt Erfurt an keinem Fluß von Bedeutung, und wenn es auch mit einem guten Schleusenspiel versehen ist, fehlt ihm aus jenem Grunde dennoch die Bedeutung eines Platzes, der einen Strom hütet. Auch seine Beziehungen zu den verschiedenen Hauptdcfileen des thüringer Waldes kann man wol derzeit nur noch als illusorisch bezeichnen. Wie man weiß hat Thüringen nach Westen hin eine große Pforte: das Debouchee von Eisenach, und nach Süden hin eine andere, nicht minder wichtige, das von Hof. Erfurt liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/266>, abgerufen am 28.07.2024.