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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Die Begleitung des Instruments ist unwesentlich und die meisten Ritor-
nelli fingt man ohne Instrument; steht eins zur Verfügung, so schließt gewöhn¬
lich ein saltarelloartiges Nachspiel jeden Vers ab. Von welcher Gemeinnützig¬
keit diese Sangform ist, davon wird man sich hiernach leicht überzeugt halten.
Zu den meisten Tagesstunden hat ein äußerungsbcdürftiges Volt wie das
italienische, etwas aus dem Herzen, was heraus möchte. Ein Mädchen, das
sich am Fenster zeigt, fordert die Necklust ihres ol" ü. vis heraus; sofort wird
irgend eine Blüte angerufen und ein schalkhafter Endreim dazu ersonnen.
Der Schuster, aus der Straße mit Sticfelbencigcln vollauf beschäftigt, macht
sich im Ritornell über die vorüberwandelndcn Schuhe und Stiefeln lustig, an
denen er Mängel aller Art entdeckt. Die Latugaverkäuferin verspottet ihre
gegenüberstehende Concurrentin. Der Campagnereiter nimmt mit einem Nitor-
uell von der Wirthin der einsamen Herberge an der Via Appia Abschied und
hat den Vorrath in seinem Neimköcher noch lange nicht verschossen, wenn er
in Arriccia eintrabt. Und nun gar wenn Abends das Geschäft ruht und
hier und dort Liebeseinleitungen gemacht werden, welche leicht zugängliche
und jedem geläufige Mittheilungsweise und wie unverfänglich zugleich, da alle
Welt singt!

Außer dieser Art Gesang nun, der sich über ganz Italien erstreckt und
den wir mit den Schifferliedern im Hafen des goldnen Horns vergleichen hör¬
ten. gibt.es eine unzählige Menge Lieder, welche im Munde des Volks leben,
durch Tradition oder auch durch gedruckte Ueberlieferung sich fort erhalten und
mit der französischen Chanson manche Aehnlichkeit haben. Wir geben einige
Beispiele aus Rom:


II Norlo non na deeoo, lirira. ig. ig. lorg ig,!
?ovoro Norlo, eoms tÄrd, s. e.xmrxü.?

Wie die Amsel hier im ersten Vers keinen Schnabel hat und der Chor,
dem die letzte Zeile zufällt, daher verwundert fragt: wie er nur sein Leben
fristen werde? so spricht ihm der zweite Vers die Augen, der dritte den
.Kopf, der vierte den Hals ub und immer bleibt die Verwunderung des Chors
die nämliche.

Ein anderes Beispiel:


Lus dolli (ZLeliictti! Ig. vitg, nig, tu tgi, oontontg,
L<z ti miro, ölig, non ti läse-ol'o eng.i-el"o bvlli
Oeelrietti atro luri tu!

Im zweiten V/rs werden die Zähne gepriesen, im dritten it I>c;I ,ur"in">,
im vierten alle Wonne, welche die besungene Schöne zu bereiten vermag.


Die Begleitung des Instruments ist unwesentlich und die meisten Ritor-
nelli fingt man ohne Instrument; steht eins zur Verfügung, so schließt gewöhn¬
lich ein saltarelloartiges Nachspiel jeden Vers ab. Von welcher Gemeinnützig¬
keit diese Sangform ist, davon wird man sich hiernach leicht überzeugt halten.
Zu den meisten Tagesstunden hat ein äußerungsbcdürftiges Volt wie das
italienische, etwas aus dem Herzen, was heraus möchte. Ein Mädchen, das
sich am Fenster zeigt, fordert die Necklust ihres ol» ü. vis heraus; sofort wird
irgend eine Blüte angerufen und ein schalkhafter Endreim dazu ersonnen.
Der Schuster, aus der Straße mit Sticfelbencigcln vollauf beschäftigt, macht
sich im Ritornell über die vorüberwandelndcn Schuhe und Stiefeln lustig, an
denen er Mängel aller Art entdeckt. Die Latugaverkäuferin verspottet ihre
gegenüberstehende Concurrentin. Der Campagnereiter nimmt mit einem Nitor-
uell von der Wirthin der einsamen Herberge an der Via Appia Abschied und
hat den Vorrath in seinem Neimköcher noch lange nicht verschossen, wenn er
in Arriccia eintrabt. Und nun gar wenn Abends das Geschäft ruht und
hier und dort Liebeseinleitungen gemacht werden, welche leicht zugängliche
und jedem geläufige Mittheilungsweise und wie unverfänglich zugleich, da alle
Welt singt!

Außer dieser Art Gesang nun, der sich über ganz Italien erstreckt und
den wir mit den Schifferliedern im Hafen des goldnen Horns vergleichen hör¬
ten. gibt.es eine unzählige Menge Lieder, welche im Munde des Volks leben,
durch Tradition oder auch durch gedruckte Ueberlieferung sich fort erhalten und
mit der französischen Chanson manche Aehnlichkeit haben. Wir geben einige
Beispiele aus Rom:


II Norlo non na deeoo, lirira. ig. ig. lorg ig,!
?ovoro Norlo, eoms tÄrd, s. e.xmrxü.?

Wie die Amsel hier im ersten Vers keinen Schnabel hat und der Chor,
dem die letzte Zeile zufällt, daher verwundert fragt: wie er nur sein Leben
fristen werde? so spricht ihm der zweite Vers die Augen, der dritte den
.Kopf, der vierte den Hals ub und immer bleibt die Verwunderung des Chors
die nämliche.

Ein anderes Beispiel:


Lus dolli (ZLeliictti! Ig. vitg, nig, tu tgi, oontontg,
L<z ti miro, ölig, non ti läse-ol'o eng.i-el»o bvlli
Oeelrietti atro luri tu!

Im zweiten V/rs werden die Zähne gepriesen, im dritten it I>c;I ,ur«in«>,
im vierten alle Wonne, welche die besungene Schöne zu bereiten vermag.


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[0232] Die Begleitung des Instruments ist unwesentlich und die meisten Ritor- nelli fingt man ohne Instrument; steht eins zur Verfügung, so schließt gewöhn¬ lich ein saltarelloartiges Nachspiel jeden Vers ab. Von welcher Gemeinnützig¬ keit diese Sangform ist, davon wird man sich hiernach leicht überzeugt halten. Zu den meisten Tagesstunden hat ein äußerungsbcdürftiges Volt wie das italienische, etwas aus dem Herzen, was heraus möchte. Ein Mädchen, das sich am Fenster zeigt, fordert die Necklust ihres ol» ü. vis heraus; sofort wird irgend eine Blüte angerufen und ein schalkhafter Endreim dazu ersonnen. Der Schuster, aus der Straße mit Sticfelbencigcln vollauf beschäftigt, macht sich im Ritornell über die vorüberwandelndcn Schuhe und Stiefeln lustig, an denen er Mängel aller Art entdeckt. Die Latugaverkäuferin verspottet ihre gegenüberstehende Concurrentin. Der Campagnereiter nimmt mit einem Nitor- uell von der Wirthin der einsamen Herberge an der Via Appia Abschied und hat den Vorrath in seinem Neimköcher noch lange nicht verschossen, wenn er in Arriccia eintrabt. Und nun gar wenn Abends das Geschäft ruht und hier und dort Liebeseinleitungen gemacht werden, welche leicht zugängliche und jedem geläufige Mittheilungsweise und wie unverfänglich zugleich, da alle Welt singt! Außer dieser Art Gesang nun, der sich über ganz Italien erstreckt und den wir mit den Schifferliedern im Hafen des goldnen Horns vergleichen hör¬ ten. gibt.es eine unzählige Menge Lieder, welche im Munde des Volks leben, durch Tradition oder auch durch gedruckte Ueberlieferung sich fort erhalten und mit der französischen Chanson manche Aehnlichkeit haben. Wir geben einige Beispiele aus Rom: II Norlo non na deeoo, lirira. ig. ig. lorg ig,! ?ovoro Norlo, eoms tÄrd, s. e.xmrxü.? Wie die Amsel hier im ersten Vers keinen Schnabel hat und der Chor, dem die letzte Zeile zufällt, daher verwundert fragt: wie er nur sein Leben fristen werde? so spricht ihm der zweite Vers die Augen, der dritte den .Kopf, der vierte den Hals ub und immer bleibt die Verwunderung des Chors die nämliche. Ein anderes Beispiel: Lus dolli (ZLeliictti! Ig. vitg, nig, tu tgi, oontontg, L<z ti miro, ölig, non ti läse-ol'o eng.i-el»o bvlli Oeelrietti atro luri tu! Im zweiten V/rs werden die Zähne gepriesen, im dritten it I>c;I ,ur«in«>, im vierten alle Wonne, welche die besungene Schöne zu bereiten vermag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/232>, abgerufen am 27.07.2024.