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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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arten einfügbar und mehr im Charakter einer der altgriechischen Tonfolgen,
hat mit den oben angedeuteten Singweisen das Zerren des Schlusses, das
Trioleneinschieben und die schläfrige Unbestimmtheit gemein. Da es sehr
häusig komisch wirken soll, so erhöht der Sänger durch das lange Vorenthal¬
ten der Schlußsilbe die Wirkung, indem er die Spannung des Hörers ver¬
längert. Wo ihm niemand zuhört, faßt er sich um des eignen Genusses
willen nicht kürzer, da ihm das clolee to' ninno, zu dem der Ton langsam
hinabsinkt, lieber ist. als der kürzer gehaltene Theil des erzählenden Eingangs.

Hier eins dieser römischen Gassenproduete, wie es zur Chitarra gesungen
wird, langsam, gedehnt, zum Schluß meist in Moll und fast Note für Note
dem Gesänge in den Massarien Sorrcntos entsprechend!


Blüte des Oelbaums!

Wer ein Weib nahm, das nicht Frieden hält,
'Ist ein Mann zwischen Leben und Sterben.

Nußblüte!

Willst du freien und keinen Krieg habe",
So nimm eine Blinde, Taube oder Stumme.

Pinicnblütc!
sichrer ist eine Terre im Lotto zu treffen,
Als eine Gattin ohne Mängel.

Nelkenblüte!

Die Weiber haben Rosen aus Wangen und Busen, .
Aber pflücke sie -- Du wirst Dich stechen!

Melonenblüte!
Wer da den Frauen trauen möchte,
Denke bei Zeiten an Simson und Delila u. s. w.


Der Reim wird nicht immer festgehalten, Assonanzen, und oft nicht ein¬
mal diese, schließen die letzte Zeile. Eigentlich aber soll die willkürliche An¬
rufung einer Blüte ?loi' al Noloue, ?lor ä'Incliviu, u. s. w. den Anhalt für
den Endreim abgeben. Die immer rege Phantasie des Jtalieners hat dadurch
einen Zaum, der sie zum Aufsuchen einer Reimverwandtschaft nöthigt, und
da die Melodie nicht mehr erfunden zu werdeu braucht, die italienische Sprache sich
aber spielend reimt, so ist die unserm Volke abgehende Jmprovisationsgabe
hier kaum noch etwas Verwunderungswcrthes, Der ganze Zauber des Ritor-
nells besteht in der Schlußzeile, die der Sänger selbst zu finden hat, nachdem
er die Blüte im Eingang nannte. Hier spannt sich das Interesse. Jeder hat
einige Dutzend Reime in Bereitschaft und ist überrascht, wenn der Sänger
neue bringt. Im Lesen geht dem Ritornell jeder Reiz ab; die Willkür des
Eingangs verletzt als sinnlos.


arten einfügbar und mehr im Charakter einer der altgriechischen Tonfolgen,
hat mit den oben angedeuteten Singweisen das Zerren des Schlusses, das
Trioleneinschieben und die schläfrige Unbestimmtheit gemein. Da es sehr
häusig komisch wirken soll, so erhöht der Sänger durch das lange Vorenthal¬
ten der Schlußsilbe die Wirkung, indem er die Spannung des Hörers ver¬
längert. Wo ihm niemand zuhört, faßt er sich um des eignen Genusses
willen nicht kürzer, da ihm das clolee to' ninno, zu dem der Ton langsam
hinabsinkt, lieber ist. als der kürzer gehaltene Theil des erzählenden Eingangs.

Hier eins dieser römischen Gassenproduete, wie es zur Chitarra gesungen
wird, langsam, gedehnt, zum Schluß meist in Moll und fast Note für Note
dem Gesänge in den Massarien Sorrcntos entsprechend!


Blüte des Oelbaums!

Wer ein Weib nahm, das nicht Frieden hält,
'Ist ein Mann zwischen Leben und Sterben.

Nußblüte!

Willst du freien und keinen Krieg habe»,
So nimm eine Blinde, Taube oder Stumme.

Pinicnblütc!
sichrer ist eine Terre im Lotto zu treffen,
Als eine Gattin ohne Mängel.

Nelkenblüte!

Die Weiber haben Rosen aus Wangen und Busen, .
Aber pflücke sie — Du wirst Dich stechen!

Melonenblüte!
Wer da den Frauen trauen möchte,
Denke bei Zeiten an Simson und Delila u. s. w.


Der Reim wird nicht immer festgehalten, Assonanzen, und oft nicht ein¬
mal diese, schließen die letzte Zeile. Eigentlich aber soll die willkürliche An¬
rufung einer Blüte ?loi' al Noloue, ?lor ä'Incliviu, u. s. w. den Anhalt für
den Endreim abgeben. Die immer rege Phantasie des Jtalieners hat dadurch
einen Zaum, der sie zum Aufsuchen einer Reimverwandtschaft nöthigt, und
da die Melodie nicht mehr erfunden zu werdeu braucht, die italienische Sprache sich
aber spielend reimt, so ist die unserm Volke abgehende Jmprovisationsgabe
hier kaum noch etwas Verwunderungswcrthes, Der ganze Zauber des Ritor-
nells besteht in der Schlußzeile, die der Sänger selbst zu finden hat, nachdem
er die Blüte im Eingang nannte. Hier spannt sich das Interesse. Jeder hat
einige Dutzend Reime in Bereitschaft und ist überrascht, wenn der Sänger
neue bringt. Im Lesen geht dem Ritornell jeder Reiz ab; die Willkür des
Eingangs verletzt als sinnlos.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/231>, abgerufen am 27.07.2024.