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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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zeugte sich von der Unausführbarkeit seiner Theorien in der Praxis; als ein^
Arbeiterdeputation zu ihm kam mit der Forderung des Rechtes auf Arbeit,
sagte er zu einem der Arbeiter: "Schreiben Sie doch nieder, wie das zu
machen ist, -- Aber -- ich kann nicht schreiben. -- Gut, so werde ich Ihr
Secretär sein, dictiren Sie. -- Jedem ist Arbeit gesichert. 2. Die Arbeit
wird bezahlt. -- Wohl, und wie wollen Sie das machen? -- Ja, das weiß
ich nicht." Allgemeines Gelächter seiner Genossen, worauf die Deputation in
bester Laune abzog. Das französische Volk ist ein großes Kind, es schreit
nach allem und begnügt sich schließlich mit seiner äsmi-wsss und etwas Spiel¬
zeug. Zwischen allem Blutvergießen und Geschrei laufen die Bonmots um¬
her. Bei dem ersten großen Fest, wodurch die Proclamirung der Republik
gefeiert werden sollte, ritten zwei Frauenzimmer von zweifelhaftem Ruf
wahrscheinlich in Reminiscenz an 1791, in fleischfarbenem Tricot als Göttinnen
der Vernunft einher, man trieb sie fort und einer sagte ihnen: I0 xr"mivi-
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"t,<;8, toutes les Äeux, ämdlvmlmt. ig-iele,?. -- Bei der Berathung des Club¬
gesetzes protestirte einer vom Berge gegen die Ausschließung der Frauen, man
dürfe sie nicht als minderjährig behandeln. Eine Stimme rief: "Sie werden
es vielmehr übel nehmen, wenn man sie als großjährig behandelt." --
Aehnliche Züge ließen sich noch viele beibringen.

Man muß indeß gestehen, daß, wenn das Volk im Rausche war, die
Regierung wenig mehr Besinnung hatte, und die meiste Zeit der verhältni߬
mäßig Vernünftigen, wie Lamartine und Bastide. wurde dadurch in Anspruch
genommen, die gröbsten Irrthümer ihrer Kollegen zu erklären und zu ent¬
schuldigen; in einer Proclamation ward gesagt, die Negierung nehme die Clubs
unter ihren Schutz und freue sich zu sehen, wie in verschiednen Punkten der
Stadt die Bürger sich versammeln, um sich über die tiefsten Fragen der
Politik zu besprechen, ein anderes Decret hob die Permanenz der Richter auf,
als unverträglich mit republikanischen Institutionen, und ließ dem Justizminister
Macht, jeden Richter nach Willkür abzusetzen. Derselbe verhängnißvolle Irr¬
thum hat sich in letzter Zeit in den Vereinigten Staaten geltend gemacht und
die Unabhängigkeit der Gerichte vernichtet, nur daß man dort wenigstens die
Ernennung der Richter nicht der Willkür eines Ministers, sondern der Wahl
überläßt. Nichts aber wirkte so verhängnißvoll, um die provisorische Regierung
unpopulär zu machen. als ihre verkehrten Finanzmaßregeln. Um dem un¬
geheuren Ausfall der Einnahmen einigermaßen zu begegnen, legten sie eine
Zuschlagsteuer von 45 Centimes aus, dies brachte so große Erbitterung hervor,
daß man den Fehler zu verbessern suchen mußte, man that es aber in der
falschesten Weise, man verminderte die Steuer nicht allgemein, sondern gab
den Ortsbehörden die Macht, dieselbe herabzusetzen oder ganz nachzulassen,


zeugte sich von der Unausführbarkeit seiner Theorien in der Praxis; als ein^
Arbeiterdeputation zu ihm kam mit der Forderung des Rechtes auf Arbeit,
sagte er zu einem der Arbeiter: „Schreiben Sie doch nieder, wie das zu
machen ist, — Aber — ich kann nicht schreiben. — Gut, so werde ich Ihr
Secretär sein, dictiren Sie. — Jedem ist Arbeit gesichert. 2. Die Arbeit
wird bezahlt. — Wohl, und wie wollen Sie das machen? — Ja, das weiß
ich nicht." Allgemeines Gelächter seiner Genossen, worauf die Deputation in
bester Laune abzog. Das französische Volk ist ein großes Kind, es schreit
nach allem und begnügt sich schließlich mit seiner äsmi-wsss und etwas Spiel¬
zeug. Zwischen allem Blutvergießen und Geschrei laufen die Bonmots um¬
her. Bei dem ersten großen Fest, wodurch die Proclamirung der Republik
gefeiert werden sollte, ritten zwei Frauenzimmer von zweifelhaftem Ruf
wahrscheinlich in Reminiscenz an 1791, in fleischfarbenem Tricot als Göttinnen
der Vernunft einher, man trieb sie fort und einer sagte ihnen: I0 xr«mivi-
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gesetzes protestirte einer vom Berge gegen die Ausschließung der Frauen, man
dürfe sie nicht als minderjährig behandeln. Eine Stimme rief: „Sie werden
es vielmehr übel nehmen, wenn man sie als großjährig behandelt." —
Aehnliche Züge ließen sich noch viele beibringen.

Man muß indeß gestehen, daß, wenn das Volk im Rausche war, die
Regierung wenig mehr Besinnung hatte, und die meiste Zeit der verhältni߬
mäßig Vernünftigen, wie Lamartine und Bastide. wurde dadurch in Anspruch
genommen, die gröbsten Irrthümer ihrer Kollegen zu erklären und zu ent¬
schuldigen; in einer Proclamation ward gesagt, die Negierung nehme die Clubs
unter ihren Schutz und freue sich zu sehen, wie in verschiednen Punkten der
Stadt die Bürger sich versammeln, um sich über die tiefsten Fragen der
Politik zu besprechen, ein anderes Decret hob die Permanenz der Richter auf,
als unverträglich mit republikanischen Institutionen, und ließ dem Justizminister
Macht, jeden Richter nach Willkür abzusetzen. Derselbe verhängnißvolle Irr¬
thum hat sich in letzter Zeit in den Vereinigten Staaten geltend gemacht und
die Unabhängigkeit der Gerichte vernichtet, nur daß man dort wenigstens die
Ernennung der Richter nicht der Willkür eines Ministers, sondern der Wahl
überläßt. Nichts aber wirkte so verhängnißvoll, um die provisorische Regierung
unpopulär zu machen. als ihre verkehrten Finanzmaßregeln. Um dem un¬
geheuren Ausfall der Einnahmen einigermaßen zu begegnen, legten sie eine
Zuschlagsteuer von 45 Centimes aus, dies brachte so große Erbitterung hervor,
daß man den Fehler zu verbessern suchen mußte, man that es aber in der
falschesten Weise, man verminderte die Steuer nicht allgemein, sondern gab
den Ortsbehörden die Macht, dieselbe herabzusetzen oder ganz nachzulassen,


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[0224] zeugte sich von der Unausführbarkeit seiner Theorien in der Praxis; als ein^ Arbeiterdeputation zu ihm kam mit der Forderung des Rechtes auf Arbeit, sagte er zu einem der Arbeiter: „Schreiben Sie doch nieder, wie das zu machen ist, — Aber — ich kann nicht schreiben. — Gut, so werde ich Ihr Secretär sein, dictiren Sie. — Jedem ist Arbeit gesichert. 2. Die Arbeit wird bezahlt. — Wohl, und wie wollen Sie das machen? — Ja, das weiß ich nicht." Allgemeines Gelächter seiner Genossen, worauf die Deputation in bester Laune abzog. Das französische Volk ist ein großes Kind, es schreit nach allem und begnügt sich schließlich mit seiner äsmi-wsss und etwas Spiel¬ zeug. Zwischen allem Blutvergießen und Geschrei laufen die Bonmots um¬ her. Bei dem ersten großen Fest, wodurch die Proclamirung der Republik gefeiert werden sollte, ritten zwei Frauenzimmer von zweifelhaftem Ruf wahrscheinlich in Reminiscenz an 1791, in fleischfarbenem Tricot als Göttinnen der Vernunft einher, man trieb sie fort und einer sagte ihnen: I0 xr«mivi- elevoir <zue 1a rörmdliciuv iinxose s,ux temines e'e.8t> llMre Mit!« se, von« «t,<;8, toutes les Äeux, ämdlvmlmt. ig-iele,?. — Bei der Berathung des Club¬ gesetzes protestirte einer vom Berge gegen die Ausschließung der Frauen, man dürfe sie nicht als minderjährig behandeln. Eine Stimme rief: „Sie werden es vielmehr übel nehmen, wenn man sie als großjährig behandelt." — Aehnliche Züge ließen sich noch viele beibringen. Man muß indeß gestehen, daß, wenn das Volk im Rausche war, die Regierung wenig mehr Besinnung hatte, und die meiste Zeit der verhältni߬ mäßig Vernünftigen, wie Lamartine und Bastide. wurde dadurch in Anspruch genommen, die gröbsten Irrthümer ihrer Kollegen zu erklären und zu ent¬ schuldigen; in einer Proclamation ward gesagt, die Negierung nehme die Clubs unter ihren Schutz und freue sich zu sehen, wie in verschiednen Punkten der Stadt die Bürger sich versammeln, um sich über die tiefsten Fragen der Politik zu besprechen, ein anderes Decret hob die Permanenz der Richter auf, als unverträglich mit republikanischen Institutionen, und ließ dem Justizminister Macht, jeden Richter nach Willkür abzusetzen. Derselbe verhängnißvolle Irr¬ thum hat sich in letzter Zeit in den Vereinigten Staaten geltend gemacht und die Unabhängigkeit der Gerichte vernichtet, nur daß man dort wenigstens die Ernennung der Richter nicht der Willkür eines Ministers, sondern der Wahl überläßt. Nichts aber wirkte so verhängnißvoll, um die provisorische Regierung unpopulär zu machen. als ihre verkehrten Finanzmaßregeln. Um dem un¬ geheuren Ausfall der Einnahmen einigermaßen zu begegnen, legten sie eine Zuschlagsteuer von 45 Centimes aus, dies brachte so große Erbitterung hervor, daß man den Fehler zu verbessern suchen mußte, man that es aber in der falschesten Weise, man verminderte die Steuer nicht allgemein, sondern gab den Ortsbehörden die Macht, dieselbe herabzusetzen oder ganz nachzulassen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/224>, abgerufen am 27.07.2024.