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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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die Republik besteht, so habe ich meine Partie gegen das Schicksal gewon¬
nen, wenn sie scheitert, sei es durch Anarchie und Aufleben des Despotismus,
so gehen mit ihr mein Name, meine Verantwortlichkeit, mein Andenken unter
und werden aus ewig von meinen Zeitgenossen verstoßen sein. Bitten wir
die Vorsehung, daß sie das/Volk erleuchte; wenn es sich täuscht und zurück-
bebt vor der Größe des Gebäudes, das wir ihm in der Republik eröffnet
haben, und vor der Schwierigkeit der Institutionen derselben, wenn es seine
Sicherheit, Würde und Freiheit abdanken will in die Hände von kaiserlichen
oder legitimistischen Reminiscenzen und sich und uns so verleugnet, so ist es
nicht unsere Schuld. Was auch kommen möge, es wird groß in der Ge¬
schichte bleiben, die Republik versucht zu haben, wie wir sie entworfen und
verkündet vier Monate hindurch, die Republik der Begeisterung. der Mäßigung,
der Brüderlichkeit, des Friedens, des Schutzes der Gesellschaft, des Eigen¬
thums, der Religion, der Familie, die Republik Washingtons. Es mag ein
Traum sein, aber es wird ein schöner Traum sür Frankreich und die Mensch¬
heit sein!" -- Kann es ein vernichtenderes Selbstgericht geben, als diese Rede
des schwachen, eiteln Idealisten, der seine Hände an das heiße Blei der re¬
volutionären Politik legt?

Wenn Lamartine manches Schlimme in den Tagen seines Einflusses
verhindert, so ist es ohne Zweifel Lcdru-Rollin, welcher das meiste Unheil
gestiftet, er erklärte offen, was er wolle sei toi^cur, moins guillotill",
und bearbeitete dem entsprechend das Laud. "Glauben Sie," sagte er zu eine".
Freunde, "daß ich nicht weiß, daß Frankreich nicht republikanisch ist? es muß
deshalb dazu gemacht werden;" so sandte er Agenten mit unbeschränkter Voll¬
macht aus, die Wahlen zu organisiren d. h. zu fälschen, damit in die Volks¬
versammlung kein einziges Mitglied von zweifelhafter Moral und republi¬
kanischer Gesinnung komme, und bezahlte diese Leute aus der Staatskasse;
er erklärte, er habe schou als Kind einen Hcmnibaleid gegen die Gesellschaft
geschworen, als er aber auseinandersetzen wollte, was er denn Positives
wollte, stockte er und stimmte schließlich gegen den Antrag Proudhons auf
liciuidMon "ovialv, der einen Theil des Eigenthums consisciren wollte, um die
Steuern aufzuheben, obwol die Konsequenz seiner Ansicht Aufhebung alles
Eigenthums gewesen wäre.

Das Volk aber, d. h. der Pöbel, nimmt solche Losungen auf, ohne an
die Ausführbarkeit zu denken und schrie, als es in den Sitzungssaal der Ver¬
sammlung drang, "wir wollen die Reichen plündern, damit sie uns nicht mehr
aussaugen." Auf einer Fahne las man während des Juniaufstandes "v-üu-
yuvurs 1v MgKv, viuueus 1'illvLnäiv".-- "Das nennen sie Gleichheit," hörte
Lord Normanby einen Arbeiter zum andern sagen,, "diese Volksvertreter geben
sich selbst täglich 25 Franken und uns 20 Sous." -- Selbst Louis Blaue über-


die Republik besteht, so habe ich meine Partie gegen das Schicksal gewon¬
nen, wenn sie scheitert, sei es durch Anarchie und Aufleben des Despotismus,
so gehen mit ihr mein Name, meine Verantwortlichkeit, mein Andenken unter
und werden aus ewig von meinen Zeitgenossen verstoßen sein. Bitten wir
die Vorsehung, daß sie das/Volk erleuchte; wenn es sich täuscht und zurück-
bebt vor der Größe des Gebäudes, das wir ihm in der Republik eröffnet
haben, und vor der Schwierigkeit der Institutionen derselben, wenn es seine
Sicherheit, Würde und Freiheit abdanken will in die Hände von kaiserlichen
oder legitimistischen Reminiscenzen und sich und uns so verleugnet, so ist es
nicht unsere Schuld. Was auch kommen möge, es wird groß in der Ge¬
schichte bleiben, die Republik versucht zu haben, wie wir sie entworfen und
verkündet vier Monate hindurch, die Republik der Begeisterung. der Mäßigung,
der Brüderlichkeit, des Friedens, des Schutzes der Gesellschaft, des Eigen¬
thums, der Religion, der Familie, die Republik Washingtons. Es mag ein
Traum sein, aber es wird ein schöner Traum sür Frankreich und die Mensch¬
heit sein!" — Kann es ein vernichtenderes Selbstgericht geben, als diese Rede
des schwachen, eiteln Idealisten, der seine Hände an das heiße Blei der re¬
volutionären Politik legt?

Wenn Lamartine manches Schlimme in den Tagen seines Einflusses
verhindert, so ist es ohne Zweifel Lcdru-Rollin, welcher das meiste Unheil
gestiftet, er erklärte offen, was er wolle sei toi^cur, moins guillotill«,
und bearbeitete dem entsprechend das Laud. „Glauben Sie," sagte er zu eine».
Freunde, „daß ich nicht weiß, daß Frankreich nicht republikanisch ist? es muß
deshalb dazu gemacht werden;" so sandte er Agenten mit unbeschränkter Voll¬
macht aus, die Wahlen zu organisiren d. h. zu fälschen, damit in die Volks¬
versammlung kein einziges Mitglied von zweifelhafter Moral und republi¬
kanischer Gesinnung komme, und bezahlte diese Leute aus der Staatskasse;
er erklärte, er habe schou als Kind einen Hcmnibaleid gegen die Gesellschaft
geschworen, als er aber auseinandersetzen wollte, was er denn Positives
wollte, stockte er und stimmte schließlich gegen den Antrag Proudhons auf
liciuidMon «ovialv, der einen Theil des Eigenthums consisciren wollte, um die
Steuern aufzuheben, obwol die Konsequenz seiner Ansicht Aufhebung alles
Eigenthums gewesen wäre.

Das Volk aber, d. h. der Pöbel, nimmt solche Losungen auf, ohne an
die Ausführbarkeit zu denken und schrie, als es in den Sitzungssaal der Ver¬
sammlung drang, „wir wollen die Reichen plündern, damit sie uns nicht mehr
aussaugen." Auf einer Fahne las man während des Juniaufstandes „v-üu-
yuvurs 1v MgKv, viuueus 1'illvLnäiv".— „Das nennen sie Gleichheit," hörte
Lord Normanby einen Arbeiter zum andern sagen,, „diese Volksvertreter geben
sich selbst täglich 25 Franken und uns 20 Sous." — Selbst Louis Blaue über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/223>, abgerufen am 27.07.2024.