Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wo es ihnen angemessen schien, machte dadurch die Erleichterung zu einn
Gunst und erbitterte noch mehr durch die Willkür, mit der diese gewährt oder
verweigert wurde. Man schaffte d,e Salzsteucr und in Paris den Octroi auf
Fleisch ab, und setzte an die Stelle eine Wagmsteucr, die fast nichts ein¬
brachte, weil man die Wagen versteckte oder wegschickte.

So geschah es, das; schon im Juli, wie Lord Normanby bemerkt, die
große Masse des Volkes in den Provinzen heftig gegen die Republik erbittert
war, die Bourgeoisie in Paris, deren Gewerbe darniederlag, nicht minder.
"Gebt uns einen König," sagte man, "nur nicht den vorigen, der all dies Un¬
heil über uns gebracht hat." Was die Bauern betrifft, so hatten sie niemals
die leiseste'Sympathie für die Julimonarchie, sie wußten nicht was sie be¬
deuten sollte, da sie sich weder an die nationale Nuhmliebe, noch an die
Reste ihrer Traditionen, noch an die neuen verführerischen Lehren der Republi¬
kaner wendet. "Die Bauern." sagt der Mnrqnis schon Mitte August, "sind ihrem
Gefühl nach bonapartistisch, wenn nicht die Priester, wie es an manchen
Orten der Fall ist, sie ganz in ihrer Hand haben, bei dem allgemeinen Stimm¬
recht aber ist die Entscheidung in den Händen der Bauern." Wie sehr
haben die Ereignisse diese Worte gerechtfertigt!

Aus aller Verwirrung erhob sich endlich ein Name, der für kurze Zeit das
Symbol der Autorität und gesellschaftlichen Ordnung ward, Cavaignac. Es
ist sehr interessant, nach den Aufzeichnungen des Verfassers zu verfolgen, wie
er allmälig seine Popularität verlor und seine Erwählung verscherzte; die
Klippe, an der er scheiterte, war sein aufrichtiger Republikanismus, den er schon
1830 offen bekannt. Ueberall als Chef der executiven Commission betheuerte^
er seine Anhänglichkeit an die Republik, deshalb waren die stillen und offnen
Gegner der Republik --und das war 1848 im December die große Majorität
des Volkes -- ihm feindlich und glaubten, er werde nie entschieden mit den
Socialisten brechen, um eine starke Regierung, das nach zeitweiliger Anarchie
immer wiederkehrende Ideal der Franzosen, aufzurichten. Die Arbeiter aber
verziehen ihm die Juuischlacht nicht.

Wer aber war außer Cavaignac da, um die Fahne der Ordnung festzu¬
halten? Man sah ausgezeichnete Männer, welche vortreffliche Minister des zu
erwählenden Präsidenten sein konnten, Barrot, Thiers, Molo, Tocqueville
u. a. in., aber niemand dachte daran, sie als Kandidaten zu nennen. Molo
war gewiß der bedeutendste unter ihnen, wie er vielleicht auch unter allen
Ministern von Louis Philipp der ausgezeichnetste war; trotzdem, daß er sich
sehr im Hintergrunde hielt, übte er - einen Einfluß in seinem Departement
und in der Versammlung, welcher alle überraschte, die ihn nicht näher
kannten. Aber er selbst machte Lord Normanby daraus aufmerksam, daß
nur ein Mann von militärischem Namen als Kandidat zur Präsidentschaft


GmizboiM l. 1358. 28

wo es ihnen angemessen schien, machte dadurch die Erleichterung zu einn
Gunst und erbitterte noch mehr durch die Willkür, mit der diese gewährt oder
verweigert wurde. Man schaffte d,e Salzsteucr und in Paris den Octroi auf
Fleisch ab, und setzte an die Stelle eine Wagmsteucr, die fast nichts ein¬
brachte, weil man die Wagen versteckte oder wegschickte.

So geschah es, das; schon im Juli, wie Lord Normanby bemerkt, die
große Masse des Volkes in den Provinzen heftig gegen die Republik erbittert
war, die Bourgeoisie in Paris, deren Gewerbe darniederlag, nicht minder.
„Gebt uns einen König," sagte man, „nur nicht den vorigen, der all dies Un¬
heil über uns gebracht hat." Was die Bauern betrifft, so hatten sie niemals
die leiseste'Sympathie für die Julimonarchie, sie wußten nicht was sie be¬
deuten sollte, da sie sich weder an die nationale Nuhmliebe, noch an die
Reste ihrer Traditionen, noch an die neuen verführerischen Lehren der Republi¬
kaner wendet. „Die Bauern." sagt der Mnrqnis schon Mitte August, „sind ihrem
Gefühl nach bonapartistisch, wenn nicht die Priester, wie es an manchen
Orten der Fall ist, sie ganz in ihrer Hand haben, bei dem allgemeinen Stimm¬
recht aber ist die Entscheidung in den Händen der Bauern." Wie sehr
haben die Ereignisse diese Worte gerechtfertigt!

Aus aller Verwirrung erhob sich endlich ein Name, der für kurze Zeit das
Symbol der Autorität und gesellschaftlichen Ordnung ward, Cavaignac. Es
ist sehr interessant, nach den Aufzeichnungen des Verfassers zu verfolgen, wie
er allmälig seine Popularität verlor und seine Erwählung verscherzte; die
Klippe, an der er scheiterte, war sein aufrichtiger Republikanismus, den er schon
1830 offen bekannt. Ueberall als Chef der executiven Commission betheuerte^
er seine Anhänglichkeit an die Republik, deshalb waren die stillen und offnen
Gegner der Republik —und das war 1848 im December die große Majorität
des Volkes — ihm feindlich und glaubten, er werde nie entschieden mit den
Socialisten brechen, um eine starke Regierung, das nach zeitweiliger Anarchie
immer wiederkehrende Ideal der Franzosen, aufzurichten. Die Arbeiter aber
verziehen ihm die Juuischlacht nicht.

Wer aber war außer Cavaignac da, um die Fahne der Ordnung festzu¬
halten? Man sah ausgezeichnete Männer, welche vortreffliche Minister des zu
erwählenden Präsidenten sein konnten, Barrot, Thiers, Molo, Tocqueville
u. a. in., aber niemand dachte daran, sie als Kandidaten zu nennen. Molo
war gewiß der bedeutendste unter ihnen, wie er vielleicht auch unter allen
Ministern von Louis Philipp der ausgezeichnetste war; trotzdem, daß er sich
sehr im Hintergrunde hielt, übte er - einen Einfluß in seinem Departement
und in der Versammlung, welcher alle überraschte, die ihn nicht näher
kannten. Aber er selbst machte Lord Normanby daraus aufmerksam, daß
nur ein Mann von militärischem Namen als Kandidat zur Präsidentschaft


GmizboiM l. 1358. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0225" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105502"/>
            <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548"> wo es ihnen angemessen schien, machte dadurch die Erleichterung zu einn<lb/>
Gunst und erbitterte noch mehr durch die Willkür, mit der diese gewährt oder<lb/>
verweigert wurde. Man schaffte d,e Salzsteucr und in Paris den Octroi auf<lb/>
Fleisch ab, und setzte an die Stelle eine Wagmsteucr, die fast nichts ein¬<lb/>
brachte, weil man die Wagen versteckte oder wegschickte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_550"> So geschah es, das; schon im Juli, wie Lord Normanby bemerkt, die<lb/>
große Masse des Volkes in den Provinzen heftig gegen die Republik erbittert<lb/>
war, die Bourgeoisie in Paris, deren Gewerbe darniederlag, nicht minder.<lb/>
&#x201E;Gebt uns einen König," sagte man, &#x201E;nur nicht den vorigen, der all dies Un¬<lb/>
heil über uns gebracht hat." Was die Bauern betrifft, so hatten sie niemals<lb/>
die leiseste'Sympathie für die Julimonarchie, sie wußten nicht was sie be¬<lb/>
deuten sollte, da sie sich weder an die nationale Nuhmliebe, noch an die<lb/>
Reste ihrer Traditionen, noch an die neuen verführerischen Lehren der Republi¬<lb/>
kaner wendet. &#x201E;Die Bauern." sagt der Mnrqnis schon Mitte August, &#x201E;sind ihrem<lb/>
Gefühl nach bonapartistisch, wenn nicht die Priester, wie es an manchen<lb/>
Orten der Fall ist, sie ganz in ihrer Hand haben, bei dem allgemeinen Stimm¬<lb/>
recht aber ist die Entscheidung in den Händen der Bauern." Wie sehr<lb/>
haben die Ereignisse diese Worte gerechtfertigt!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_551"> Aus aller Verwirrung erhob sich endlich ein Name, der für kurze Zeit das<lb/>
Symbol der Autorität und gesellschaftlichen Ordnung ward, Cavaignac. Es<lb/>
ist sehr interessant, nach den Aufzeichnungen des Verfassers zu verfolgen, wie<lb/>
er allmälig seine Popularität verlor und seine Erwählung verscherzte; die<lb/>
Klippe, an der er scheiterte, war sein aufrichtiger Republikanismus, den er schon<lb/>
1830 offen bekannt. Ueberall als Chef der executiven Commission betheuerte^<lb/>
er seine Anhänglichkeit an die Republik, deshalb waren die stillen und offnen<lb/>
Gegner der Republik &#x2014;und das war 1848 im December die große Majorität<lb/>
des Volkes &#x2014; ihm feindlich und glaubten, er werde nie entschieden mit den<lb/>
Socialisten brechen, um eine starke Regierung, das nach zeitweiliger Anarchie<lb/>
immer wiederkehrende Ideal der Franzosen, aufzurichten. Die Arbeiter aber<lb/>
verziehen ihm die Juuischlacht nicht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_552" next="#ID_553"> Wer aber war außer Cavaignac da, um die Fahne der Ordnung festzu¬<lb/>
halten? Man sah ausgezeichnete Männer, welche vortreffliche Minister des zu<lb/>
erwählenden Präsidenten sein konnten, Barrot, Thiers, Molo, Tocqueville<lb/>
u. a. in., aber niemand dachte daran, sie als Kandidaten zu nennen. Molo<lb/>
war gewiß der bedeutendste unter ihnen, wie er vielleicht auch unter allen<lb/>
Ministern von Louis Philipp der ausgezeichnetste war; trotzdem, daß er sich<lb/>
sehr im Hintergrunde hielt, übte er - einen Einfluß in seinem Departement<lb/>
und in der Versammlung, welcher alle überraschte, die ihn nicht näher<lb/>
kannten. Aber er selbst machte Lord Normanby daraus aufmerksam, daß<lb/>
nur ein Mann von militärischem Namen als Kandidat zur Präsidentschaft</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> GmizboiM l. 1358. 28</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0225] wo es ihnen angemessen schien, machte dadurch die Erleichterung zu einn Gunst und erbitterte noch mehr durch die Willkür, mit der diese gewährt oder verweigert wurde. Man schaffte d,e Salzsteucr und in Paris den Octroi auf Fleisch ab, und setzte an die Stelle eine Wagmsteucr, die fast nichts ein¬ brachte, weil man die Wagen versteckte oder wegschickte. So geschah es, das; schon im Juli, wie Lord Normanby bemerkt, die große Masse des Volkes in den Provinzen heftig gegen die Republik erbittert war, die Bourgeoisie in Paris, deren Gewerbe darniederlag, nicht minder. „Gebt uns einen König," sagte man, „nur nicht den vorigen, der all dies Un¬ heil über uns gebracht hat." Was die Bauern betrifft, so hatten sie niemals die leiseste'Sympathie für die Julimonarchie, sie wußten nicht was sie be¬ deuten sollte, da sie sich weder an die nationale Nuhmliebe, noch an die Reste ihrer Traditionen, noch an die neuen verführerischen Lehren der Republi¬ kaner wendet. „Die Bauern." sagt der Mnrqnis schon Mitte August, „sind ihrem Gefühl nach bonapartistisch, wenn nicht die Priester, wie es an manchen Orten der Fall ist, sie ganz in ihrer Hand haben, bei dem allgemeinen Stimm¬ recht aber ist die Entscheidung in den Händen der Bauern." Wie sehr haben die Ereignisse diese Worte gerechtfertigt! Aus aller Verwirrung erhob sich endlich ein Name, der für kurze Zeit das Symbol der Autorität und gesellschaftlichen Ordnung ward, Cavaignac. Es ist sehr interessant, nach den Aufzeichnungen des Verfassers zu verfolgen, wie er allmälig seine Popularität verlor und seine Erwählung verscherzte; die Klippe, an der er scheiterte, war sein aufrichtiger Republikanismus, den er schon 1830 offen bekannt. Ueberall als Chef der executiven Commission betheuerte^ er seine Anhänglichkeit an die Republik, deshalb waren die stillen und offnen Gegner der Republik —und das war 1848 im December die große Majorität des Volkes — ihm feindlich und glaubten, er werde nie entschieden mit den Socialisten brechen, um eine starke Regierung, das nach zeitweiliger Anarchie immer wiederkehrende Ideal der Franzosen, aufzurichten. Die Arbeiter aber verziehen ihm die Juuischlacht nicht. Wer aber war außer Cavaignac da, um die Fahne der Ordnung festzu¬ halten? Man sah ausgezeichnete Männer, welche vortreffliche Minister des zu erwählenden Präsidenten sein konnten, Barrot, Thiers, Molo, Tocqueville u. a. in., aber niemand dachte daran, sie als Kandidaten zu nennen. Molo war gewiß der bedeutendste unter ihnen, wie er vielleicht auch unter allen Ministern von Louis Philipp der ausgezeichnetste war; trotzdem, daß er sich sehr im Hintergrunde hielt, übte er - einen Einfluß in seinem Departement und in der Versammlung, welcher alle überraschte, die ihn nicht näher kannten. Aber er selbst machte Lord Normanby daraus aufmerksam, daß nur ein Mann von militärischem Namen als Kandidat zur Präsidentschaft GmizboiM l. 1358. 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/225
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/225>, abgerufen am 22.12.2024.