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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Hänger der ghibellinischen Idee mögen nicht vergessen, daß die mächtigsten
Fürsten, welche dieselbe vertraten, daß Karl V. und Ferdinand II., sich gegen
den Geist der Nation empörten, daß die religiöse Bewegung, welche sie be¬
kämpften, zugleich eine nationale war, und daß dieser Irrthum nicht sowol
aus persönlicher Bigotterie, als aus der fortdauernden Illusion hervorging,
das römische Reich deutscher Nation sei eine Fortsetzung vom Reich der allen
Cäsaren. Es ist höchst lehrreich, bei einem gewissenhaften Schriftsteller sich
darüber zu unterrichten, wie selbst unter den günstigsten Umständen, die einen
kräftigen Willen gewissermaßen zum Irrthum verführten, diese Idee endlich
zum Verderben ausschlagen mußte.

Diesen Gedanken stellt Giesebrecht freilich nicht in den Mittelpunkt seines
Werks, und wir sind nicht gemeint, ihm daraus einen Vorwurf zu machen.
Der Geschichtschreiber hat nicht die Aufgabe, bei der Zeit, welche er schildert,
die spätern Erfahrungen zu Rathe zu ziehen, er hat sie im Licht ihres eignen
Lebens zu betrachten. Giesebrecht verfährt durchaus objectiv, er sucht bei
seinen Helden den innern Kern ihrer Absichten zu erforschen, mißt den Werth
derselben nach den unmittelbar vorliegenden Zeitumständen, und begnügt sich
dann, die Borzüge oder die Schwächen bei der Durchführung desselben im
Einzelnen ans Licht zu stellen.

Bei der Bearbeitung fernes Materials hat er zweierlei im Auge: Voll¬
ständigkeit des geschichtlichen Inhalts, und eine genaue kritische Basis. Die
Reinlichkeit der Form hat ihn bestimmt, die Untersuchung von der Erzählung
zu scheiden. Er berührt das Verhältniß dessen, was er berichtet, zu den
Quellen nur im Anhang, so daß der eigentliche Bericht nie unterbrochen
wird. "Dieser* Anhang verdient wol das unbedingteste Lob; er gewährt dem¬
jenigen, der bei dem Studium der Geschichte aus die Quellen zurückzugehen
wünscht, die beste Anleitung, er erschöpft, wenn auch nur in kurzen Resul¬
taten, die frühern monographischen Forschungen, und gibt von ihnen ein
correctes, bequem übersichtliches Bild.

So hoch wir nun den wissenschaftlichen Werth des Buchs stellen, so
haben wir schon bei unsern frühern Anzci-gen darauf hingewiesen, daß wir
in künstlerischer Hinsicht nicht ganz damit einverstanden sind. Es erfordert
das eine nähere Begründung.

Zunächst müssen wir uns deswegen rechtfertigen, daß wir überhaupt einen
künstlerischen Maßstab anlegen. Es gibt sehr bedeutende Werke der historischen
Literatur, die ausschließlich den Gelehrten im Auge haben. An diese wird,
wenn sie den wissenschaftlichen Anforderungen genügen, kein weiterer Anspruch
zu erheben sein. Es versteht sich ferner von selbst, daß wir von der frühern
akademischen Idee, welche die stilistische Vollendung gewissermaßen als etwas
Fertiges dem bestimmten Inhalt entgegenbrachte, und im Interesse eines


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Hänger der ghibellinischen Idee mögen nicht vergessen, daß die mächtigsten
Fürsten, welche dieselbe vertraten, daß Karl V. und Ferdinand II., sich gegen
den Geist der Nation empörten, daß die religiöse Bewegung, welche sie be¬
kämpften, zugleich eine nationale war, und daß dieser Irrthum nicht sowol
aus persönlicher Bigotterie, als aus der fortdauernden Illusion hervorging,
das römische Reich deutscher Nation sei eine Fortsetzung vom Reich der allen
Cäsaren. Es ist höchst lehrreich, bei einem gewissenhaften Schriftsteller sich
darüber zu unterrichten, wie selbst unter den günstigsten Umständen, die einen
kräftigen Willen gewissermaßen zum Irrthum verführten, diese Idee endlich
zum Verderben ausschlagen mußte.

Diesen Gedanken stellt Giesebrecht freilich nicht in den Mittelpunkt seines
Werks, und wir sind nicht gemeint, ihm daraus einen Vorwurf zu machen.
Der Geschichtschreiber hat nicht die Aufgabe, bei der Zeit, welche er schildert,
die spätern Erfahrungen zu Rathe zu ziehen, er hat sie im Licht ihres eignen
Lebens zu betrachten. Giesebrecht verfährt durchaus objectiv, er sucht bei
seinen Helden den innern Kern ihrer Absichten zu erforschen, mißt den Werth
derselben nach den unmittelbar vorliegenden Zeitumständen, und begnügt sich
dann, die Borzüge oder die Schwächen bei der Durchführung desselben im
Einzelnen ans Licht zu stellen.

Bei der Bearbeitung fernes Materials hat er zweierlei im Auge: Voll¬
ständigkeit des geschichtlichen Inhalts, und eine genaue kritische Basis. Die
Reinlichkeit der Form hat ihn bestimmt, die Untersuchung von der Erzählung
zu scheiden. Er berührt das Verhältniß dessen, was er berichtet, zu den
Quellen nur im Anhang, so daß der eigentliche Bericht nie unterbrochen
wird. „Dieser* Anhang verdient wol das unbedingteste Lob; er gewährt dem¬
jenigen, der bei dem Studium der Geschichte aus die Quellen zurückzugehen
wünscht, die beste Anleitung, er erschöpft, wenn auch nur in kurzen Resul¬
taten, die frühern monographischen Forschungen, und gibt von ihnen ein
correctes, bequem übersichtliches Bild.

So hoch wir nun den wissenschaftlichen Werth des Buchs stellen, so
haben wir schon bei unsern frühern Anzci-gen darauf hingewiesen, daß wir
in künstlerischer Hinsicht nicht ganz damit einverstanden sind. Es erfordert
das eine nähere Begründung.

Zunächst müssen wir uns deswegen rechtfertigen, daß wir überhaupt einen
künstlerischen Maßstab anlegen. Es gibt sehr bedeutende Werke der historischen
Literatur, die ausschließlich den Gelehrten im Auge haben. An diese wird,
wenn sie den wissenschaftlichen Anforderungen genügen, kein weiterer Anspruch
zu erheben sein. Es versteht sich ferner von selbst, daß wir von der frühern
akademischen Idee, welche die stilistische Vollendung gewissermaßen als etwas
Fertiges dem bestimmten Inhalt entgegenbrachte, und im Interesse eines


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[0211] Hänger der ghibellinischen Idee mögen nicht vergessen, daß die mächtigsten Fürsten, welche dieselbe vertraten, daß Karl V. und Ferdinand II., sich gegen den Geist der Nation empörten, daß die religiöse Bewegung, welche sie be¬ kämpften, zugleich eine nationale war, und daß dieser Irrthum nicht sowol aus persönlicher Bigotterie, als aus der fortdauernden Illusion hervorging, das römische Reich deutscher Nation sei eine Fortsetzung vom Reich der allen Cäsaren. Es ist höchst lehrreich, bei einem gewissenhaften Schriftsteller sich darüber zu unterrichten, wie selbst unter den günstigsten Umständen, die einen kräftigen Willen gewissermaßen zum Irrthum verführten, diese Idee endlich zum Verderben ausschlagen mußte. Diesen Gedanken stellt Giesebrecht freilich nicht in den Mittelpunkt seines Werks, und wir sind nicht gemeint, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Der Geschichtschreiber hat nicht die Aufgabe, bei der Zeit, welche er schildert, die spätern Erfahrungen zu Rathe zu ziehen, er hat sie im Licht ihres eignen Lebens zu betrachten. Giesebrecht verfährt durchaus objectiv, er sucht bei seinen Helden den innern Kern ihrer Absichten zu erforschen, mißt den Werth derselben nach den unmittelbar vorliegenden Zeitumständen, und begnügt sich dann, die Borzüge oder die Schwächen bei der Durchführung desselben im Einzelnen ans Licht zu stellen. Bei der Bearbeitung fernes Materials hat er zweierlei im Auge: Voll¬ ständigkeit des geschichtlichen Inhalts, und eine genaue kritische Basis. Die Reinlichkeit der Form hat ihn bestimmt, die Untersuchung von der Erzählung zu scheiden. Er berührt das Verhältniß dessen, was er berichtet, zu den Quellen nur im Anhang, so daß der eigentliche Bericht nie unterbrochen wird. „Dieser* Anhang verdient wol das unbedingteste Lob; er gewährt dem¬ jenigen, der bei dem Studium der Geschichte aus die Quellen zurückzugehen wünscht, die beste Anleitung, er erschöpft, wenn auch nur in kurzen Resul¬ taten, die frühern monographischen Forschungen, und gibt von ihnen ein correctes, bequem übersichtliches Bild. So hoch wir nun den wissenschaftlichen Werth des Buchs stellen, so haben wir schon bei unsern frühern Anzci-gen darauf hingewiesen, daß wir in künstlerischer Hinsicht nicht ganz damit einverstanden sind. Es erfordert das eine nähere Begründung. Zunächst müssen wir uns deswegen rechtfertigen, daß wir überhaupt einen künstlerischen Maßstab anlegen. Es gibt sehr bedeutende Werke der historischen Literatur, die ausschließlich den Gelehrten im Auge haben. An diese wird, wenn sie den wissenschaftlichen Anforderungen genügen, kein weiterer Anspruch zu erheben sein. Es versteht sich ferner von selbst, daß wir von der frühern akademischen Idee, welche die stilistische Vollendung gewissermaßen als etwas Fertiges dem bestimmten Inhalt entgegenbrachte, und im Interesse eines 26*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/211>, abgerufen am 27.07.2024.