Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.Unglück, daß die Stärke des Kaisertums ausschließlich in den Persönlichkeiten Unglück, daß die Stärke des Kaisertums ausschließlich in den Persönlichkeiten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105487"/> <p xml:id="ID_512" prev="#ID_511" next="#ID_513"> Unglück, daß die Stärke des Kaisertums ausschließlich in den Persönlichkeiten<lb/> ruhte, daß die Regentschaft des minderjährigen Kaisers keine Institutionen<lb/> vorfand, auf die sie sich hätte stützen können. Es wäre vielleicht zweckmäßig<lb/> gewesen, noch schärfer darauf hinzuweisen, daß das Unternehmen an und für<lb/> sich ein unmögliches war. Eine innere Verwandtschaft der dem Kaiser unter¬<lb/> gebenen Völker fand wenigstens ir^dem Grade nicht statt, daß sie sich gleich¬<lb/> mäßig an demselben betheiligen, gleichmäßig darin befriedigen konnten, und<lb/> um die herrschende Nation zu bilden, ungefähr in der Weise der Normannen<lb/> in England, waren die Deutschen nicht stark genug. Für die Entwicklung<lb/> der allgemeinen Geschichte Europas ist das Band zwischen Italien und<lb/> Deutschland unstreitig segensreich gewesen, schon aus dem bisher viel zu<lb/> wenig hervorgehobenen Grund, daß die Kirche die Wiederauferstehung aus<lb/> ihrem tiefen unwürdigen Fall hauptsächlich der Einwirkung der deutschen<lb/> Kaiser verdankt. Daß die Kirche von der Mitte des 11. bis zur Mitte des<lb/> 13. Jahrhunderts die hauptsächliche Trägerin der Cultur war, darüber wird<lb/> heute niemand mehr in Zweifel sein. Aber für Deutschland war jenes Band<lb/> ein unheilvolles, denn es gewöhnte die Herrscher, in dem Rausch des äußern<lb/> Glanzes die natürliche Grenze ihrer Macht zu verkennen und so den festen<lb/> Mittelpunkt zu verlieren, dessen jeder neu aufblühende Staat bedarf. Es ver¬<lb/> anlaßte ferner jenen unheilvollen Conflict zwischen dem Papstthum und Kaiser-<lb/> Ihum, der den Landesfürsten Gelegenheit gab. im Trüben ihre Macht sicher<lb/> zu stellen, und sich der Reichseinheit mehr und mehr zu entziehen. Die deutsche<lb/> Geschichte von 1056—1268 bietet das traurige Schauspiel einer ehrenwerthen,<lb/> aber illusorischen Anstrengung. Um sich in Italien zu vergrößern, und gegen<lb/> den Papst eine Stütze zu. finden/ machten die Kaiser sich von ihren Vasallen<lb/> abhängig, sie lebten mit ihren Gedanken mehr jenseit als diesseit der Alpen,<lb/> und während sich in dem benachbarten Frankreich die königliche Gewalt un¬<lb/> merklich, aber consequent mehr und mehr befestigte, hörte sie in Deutsch¬<lb/> land auf, ein integrirender Theil der Neichsinstitutionen zu sein. Als Rudolph<lb/> von Habsburg jene nüchtern verständige, auf die Natur des deutschen Ncichs-<lb/> verbcmdes begründete Politik begann, den Nest des kaiserlichen Ansehns zur<lb/> Vergrößerung des Familienbesitzes zu benutzen, um auf diesem Umwege all-<lb/> mälig wieder zur Staatseinheit vorzudringen, war es zu spät geworden.<lb/> Denn das römische Reich wär jetzt nicht blos gesetzlich, sondern auch praktisch<lb/> ein Wahlreich, und dem Beispiel der Habsburger folgten wetteifernd die Lu¬<lb/> xemburger, die Wittelsbacher und andere Dynastien. Während also das<lb/> französische Herrscherhaus eine einheitliche Idee verfolgen konnte, die in der<lb/> Hauptsache bis auf Ludwig XIV. ihren ununterbrochenen Fortgang hat, so<lb/> daß daraus eine wirkliche Nation hervorging, mißbrauchte man in Deutsch¬<lb/> land das Reich, um anderweitige Zwecke zu erreichen. Die modernen An-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Unglück, daß die Stärke des Kaisertums ausschließlich in den Persönlichkeiten
ruhte, daß die Regentschaft des minderjährigen Kaisers keine Institutionen
vorfand, auf die sie sich hätte stützen können. Es wäre vielleicht zweckmäßig
gewesen, noch schärfer darauf hinzuweisen, daß das Unternehmen an und für
sich ein unmögliches war. Eine innere Verwandtschaft der dem Kaiser unter¬
gebenen Völker fand wenigstens ir^dem Grade nicht statt, daß sie sich gleich¬
mäßig an demselben betheiligen, gleichmäßig darin befriedigen konnten, und
um die herrschende Nation zu bilden, ungefähr in der Weise der Normannen
in England, waren die Deutschen nicht stark genug. Für die Entwicklung
der allgemeinen Geschichte Europas ist das Band zwischen Italien und
Deutschland unstreitig segensreich gewesen, schon aus dem bisher viel zu
wenig hervorgehobenen Grund, daß die Kirche die Wiederauferstehung aus
ihrem tiefen unwürdigen Fall hauptsächlich der Einwirkung der deutschen
Kaiser verdankt. Daß die Kirche von der Mitte des 11. bis zur Mitte des
13. Jahrhunderts die hauptsächliche Trägerin der Cultur war, darüber wird
heute niemand mehr in Zweifel sein. Aber für Deutschland war jenes Band
ein unheilvolles, denn es gewöhnte die Herrscher, in dem Rausch des äußern
Glanzes die natürliche Grenze ihrer Macht zu verkennen und so den festen
Mittelpunkt zu verlieren, dessen jeder neu aufblühende Staat bedarf. Es ver¬
anlaßte ferner jenen unheilvollen Conflict zwischen dem Papstthum und Kaiser-
Ihum, der den Landesfürsten Gelegenheit gab. im Trüben ihre Macht sicher
zu stellen, und sich der Reichseinheit mehr und mehr zu entziehen. Die deutsche
Geschichte von 1056—1268 bietet das traurige Schauspiel einer ehrenwerthen,
aber illusorischen Anstrengung. Um sich in Italien zu vergrößern, und gegen
den Papst eine Stütze zu. finden/ machten die Kaiser sich von ihren Vasallen
abhängig, sie lebten mit ihren Gedanken mehr jenseit als diesseit der Alpen,
und während sich in dem benachbarten Frankreich die königliche Gewalt un¬
merklich, aber consequent mehr und mehr befestigte, hörte sie in Deutsch¬
land auf, ein integrirender Theil der Neichsinstitutionen zu sein. Als Rudolph
von Habsburg jene nüchtern verständige, auf die Natur des deutschen Ncichs-
verbcmdes begründete Politik begann, den Nest des kaiserlichen Ansehns zur
Vergrößerung des Familienbesitzes zu benutzen, um auf diesem Umwege all-
mälig wieder zur Staatseinheit vorzudringen, war es zu spät geworden.
Denn das römische Reich wär jetzt nicht blos gesetzlich, sondern auch praktisch
ein Wahlreich, und dem Beispiel der Habsburger folgten wetteifernd die Lu¬
xemburger, die Wittelsbacher und andere Dynastien. Während also das
französische Herrscherhaus eine einheitliche Idee verfolgen konnte, die in der
Hauptsache bis auf Ludwig XIV. ihren ununterbrochenen Fortgang hat, so
daß daraus eine wirkliche Nation hervorging, mißbrauchte man in Deutsch¬
land das Reich, um anderweitige Zwecke zu erreichen. Die modernen An-
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