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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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muthen, daß Lord Normanby parteiisch gegen ihn sei, weil er. bekanntlich
Z847 einen Ausfall in der Kammer gegen den Gesandten machte, indeß tel)-
renn ward die volle Genugthuung einer Apologie, und es sind Thatsachen,
welche er gegen Guizot sprechen läßt. Wir würden auch seine Aeußerung
nicht für parteiisch halten, daß es nicht die englische Allianz lvuwuw wäre wol
richtiger) gewesen, welche den Münster unpopulär machte, sondern daß viel¬
mehr seine Unpopularität einen Schatten aus jene Allianz warf. Der Mar¬
quis bemerkt ferner, daß nach Angabe von Leuten, welche Guizot genau
kennen, derselbe verhältnißmäßig unwissend in den Einzelheiten der Verwal¬
tung und über die Tragweite einer handelspolitischen oder finanziellen Frage
sei, von deren klarer Beurtheilung im Friedenszeiten doch der Werth eines
Staatsmannes wesentlich abhänge; Mr glauben dies vollkommen, und ge¬
stehen, daß die Beurtheilung vollswirthschaftlicker Fragen in seiner Biographie
Peels uns keine besondere Ehrfurcht eingeflößt hat. Wie anders steht in
dieser Beziehung sein Nebenbuhler Thiers da! Welche Kenntnisse und welche
Darstellung! Aber weit merkwürdiger ist es, vom Verfasser zwei Beispiele
hervorgehoben zu sehen, wo der Mann, welcher Englands Geschichte und
Verfassung am besten in Frankreich kennen soll, grobe Irrthümer über eng¬
lische Verhältnisse vorbringt. Gegen die Bemerkung eines Redners sagte Gui¬
zot! "Der geehrte Herr mißdeutet mich, weil er die Thatsachen nicht kennt;
wäre er besser darüber unterrichtet, so wüßte er, daß niemals eine Entscheidung
in England über eine wichtige Frage getroffen wird, als wenn sie, nachdem
sie zuvor von den Ministern discutirt ist. vor die Königin gebracht und von
ihr in Gegenwart des Gehcimcnrathes genehmigt ist." --Guizot wußte nicht,
daß die Versammlung des Geheimenrathcs mit alleiniger Ausnahme von
Dingen, welche die Berufung oder Vertagung des Parlaments betreffen, blos
Fragen der Routine und Form behandelte! -- Das zweite Mal fagte er.
wahrscheinlich um sich die Möglichkeit einer Reform zu erhalten: "Alle großen
Reformen, fast alle, die in England durchgeführt sind, wurden es durch die¬
selben Männer, welche sie bis zu dem Augenblicke bekämpft, wo es ihnen
Pflicht schien, sie auszuführen." Lord Normanby traf ihn Abends in einem
Salon und griff ihn halbscherzend wegen dieser Behauptung an, da mit Aus¬
nahme von Sir Robert Peel alle Minister abgetreten, wenn sich eine Ma߬
regel, welche sie bekämpft, nothwendig erwies. Ueber Peel aber habe die
Geschichte noch nicht gerichtet, das erste Mal habe er seine Partei erbittert,
das zweite Mal sie zerstört. Dieser Schluß kam Guizot, der sich vielleicht
mit der Idee beschäftigte, den französischen Peel zu spielen, sehr unangenehm,
wie er denn überhaupt, sagt Normanby, immer sehr unwillig, oder gar nicht
den anhört, der beweisen will, daß er sich geirrt. -- Solche Irrthümer konnte
der Mann vorbringen, welcher eine englische Verfassungsgeschichte geschrieben


muthen, daß Lord Normanby parteiisch gegen ihn sei, weil er. bekanntlich
Z847 einen Ausfall in der Kammer gegen den Gesandten machte, indeß tel)-
renn ward die volle Genugthuung einer Apologie, und es sind Thatsachen,
welche er gegen Guizot sprechen läßt. Wir würden auch seine Aeußerung
nicht für parteiisch halten, daß es nicht die englische Allianz lvuwuw wäre wol
richtiger) gewesen, welche den Münster unpopulär machte, sondern daß viel¬
mehr seine Unpopularität einen Schatten aus jene Allianz warf. Der Mar¬
quis bemerkt ferner, daß nach Angabe von Leuten, welche Guizot genau
kennen, derselbe verhältnißmäßig unwissend in den Einzelheiten der Verwal¬
tung und über die Tragweite einer handelspolitischen oder finanziellen Frage
sei, von deren klarer Beurtheilung im Friedenszeiten doch der Werth eines
Staatsmannes wesentlich abhänge; Mr glauben dies vollkommen, und ge¬
stehen, daß die Beurtheilung vollswirthschaftlicker Fragen in seiner Biographie
Peels uns keine besondere Ehrfurcht eingeflößt hat. Wie anders steht in
dieser Beziehung sein Nebenbuhler Thiers da! Welche Kenntnisse und welche
Darstellung! Aber weit merkwürdiger ist es, vom Verfasser zwei Beispiele
hervorgehoben zu sehen, wo der Mann, welcher Englands Geschichte und
Verfassung am besten in Frankreich kennen soll, grobe Irrthümer über eng¬
lische Verhältnisse vorbringt. Gegen die Bemerkung eines Redners sagte Gui¬
zot! „Der geehrte Herr mißdeutet mich, weil er die Thatsachen nicht kennt;
wäre er besser darüber unterrichtet, so wüßte er, daß niemals eine Entscheidung
in England über eine wichtige Frage getroffen wird, als wenn sie, nachdem
sie zuvor von den Ministern discutirt ist. vor die Königin gebracht und von
ihr in Gegenwart des Gehcimcnrathes genehmigt ist." —Guizot wußte nicht,
daß die Versammlung des Geheimenrathcs mit alleiniger Ausnahme von
Dingen, welche die Berufung oder Vertagung des Parlaments betreffen, blos
Fragen der Routine und Form behandelte! — Das zweite Mal fagte er.
wahrscheinlich um sich die Möglichkeit einer Reform zu erhalten: „Alle großen
Reformen, fast alle, die in England durchgeführt sind, wurden es durch die¬
selben Männer, welche sie bis zu dem Augenblicke bekämpft, wo es ihnen
Pflicht schien, sie auszuführen." Lord Normanby traf ihn Abends in einem
Salon und griff ihn halbscherzend wegen dieser Behauptung an, da mit Aus¬
nahme von Sir Robert Peel alle Minister abgetreten, wenn sich eine Ma߬
regel, welche sie bekämpft, nothwendig erwies. Ueber Peel aber habe die
Geschichte noch nicht gerichtet, das erste Mal habe er seine Partei erbittert,
das zweite Mal sie zerstört. Dieser Schluß kam Guizot, der sich vielleicht
mit der Idee beschäftigte, den französischen Peel zu spielen, sehr unangenehm,
wie er denn überhaupt, sagt Normanby, immer sehr unwillig, oder gar nicht
den anhört, der beweisen will, daß er sich geirrt. — Solche Irrthümer konnte
der Mann vorbringen, welcher eine englische Verfassungsgeschichte geschrieben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/183>, abgerufen am 27.07.2024.