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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Ferner in demselben Sinn S. 337. "Weil die Menschen nur ein Einziges
wollen und preisen, weil sie um sich zu sättigen, sich in das Einseitige
stürzen, machen sie sich unglücklich. Wenn wir nur in uns selbst in Ordnung
wären, dann würden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben.
Aber wenn ein Uebermaß von Wünschen und Begehrungen in uns ist, so
hören wir nur diese immer an, und vermögen nicht die Unschuld der Dinge
außer uns zu fassen. Leider heißen wir sie wichtig, wenn sie Gegenstände
unserer Leidenschaften sind, und unwichtig, wenn sie zu diesen in keinen Be-
Ziehungen stehen, während es doch oft umgekehrt sein kann."

Aehnliche Ideen leiten den Humoristen, aber er verfolgt damit einen ko¬
mischen Zweck. Daß die Dinge, in sich selbst betrachtet, einen andern Maßstab
haben, als vom subjectiven Standpunkt des Menschen, erregt ein Gefühl der
Ueberraschung, welches mit lustigem Behagen verbunden ist, sobald der eine
Standpunkt nicht durch den andern widerlegt werden soll. Stifter vergißt bei
seiner Deduction ganz und gar. daß Gott nicht das Publicum des Dichters
bildet. Wenn auch vor dem Auge Gottes alles gleich sein sollte, -- der Umstand,
daß man vom Logenschließer für Hut und Ueberrock eine Marke empfängt,
gleich wichtig mit dem Inhalt des König Lear -- so kann das doch dem Dich¬
ter nichts helfen, da er für Menschen schreibt, die nur durch ihre Subjectivität
die Dinge anschauen, weil sie kein anderes Medium der Anschauung haben.
Im Organismus des Universums mag jedes Atom gleich wichtig sein, der
Organismus des Kunstwerks hat einen beschränkten Rahmen, und in ihm ist
nur dasjenige wichtig, was zur Sache gehört. In dem Bemühn, andächtige
Aufmerksamkeit für das Jnsichsein der Dinge zu erregen, versetzt sich Stifter
fortwährend in eine andächtige feierliche Stimmung, die allen Scherz, allen
Humor ausschließt, und da man ein neues Princip in der Regel übertreibt,
so behandelt er nicht blos das Unbedeutende und Gleichgiltige mit derselben
Wichtigkeit wie das Große, sondern er stellt es zuweilen mit einer noch größern
Andacht dar. Rum kann mitunter das Detailliren künstlerisch von großer
Wichtigkeit sein, aber nur wenn es einem bestimmten psychologischen Zweck
dient, wenn es einer Stimmung den entsprechenden Ausdruck gibt; ohne die¬
sen Hintergrund macht es den entschiedenen Eindruck der Zweckwidrigkeit, in
der Kunst wie in der Wissenschaft, und dieser Eindruck wird durch Stifters
Darstellung nur zu häufig auf uns hervorgebracht.

Bei dem vorwiegenden Interesse für die Naturwissenschaft, bei der aus¬
gesprochenen Neigung, auch das Psychologische und Historische aus physische
besetze zurückzuführen, würden wir trotz der häufigen Anwendung des Namens
Gottes, die an sich nichts bewiese, Stifter einen Pantheisten nennen, wenn
nicht ein strenges und edles sittliches Gefühl den Grundzug seines Charakters
bildete. Das ist es, was ihn z. B. von L. Schefer unterscheidet. Wenn


Ferner in demselben Sinn S. 337. „Weil die Menschen nur ein Einziges
wollen und preisen, weil sie um sich zu sättigen, sich in das Einseitige
stürzen, machen sie sich unglücklich. Wenn wir nur in uns selbst in Ordnung
wären, dann würden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben.
Aber wenn ein Uebermaß von Wünschen und Begehrungen in uns ist, so
hören wir nur diese immer an, und vermögen nicht die Unschuld der Dinge
außer uns zu fassen. Leider heißen wir sie wichtig, wenn sie Gegenstände
unserer Leidenschaften sind, und unwichtig, wenn sie zu diesen in keinen Be-
Ziehungen stehen, während es doch oft umgekehrt sein kann."

Aehnliche Ideen leiten den Humoristen, aber er verfolgt damit einen ko¬
mischen Zweck. Daß die Dinge, in sich selbst betrachtet, einen andern Maßstab
haben, als vom subjectiven Standpunkt des Menschen, erregt ein Gefühl der
Ueberraschung, welches mit lustigem Behagen verbunden ist, sobald der eine
Standpunkt nicht durch den andern widerlegt werden soll. Stifter vergißt bei
seiner Deduction ganz und gar. daß Gott nicht das Publicum des Dichters
bildet. Wenn auch vor dem Auge Gottes alles gleich sein sollte, — der Umstand,
daß man vom Logenschließer für Hut und Ueberrock eine Marke empfängt,
gleich wichtig mit dem Inhalt des König Lear — so kann das doch dem Dich¬
ter nichts helfen, da er für Menschen schreibt, die nur durch ihre Subjectivität
die Dinge anschauen, weil sie kein anderes Medium der Anschauung haben.
Im Organismus des Universums mag jedes Atom gleich wichtig sein, der
Organismus des Kunstwerks hat einen beschränkten Rahmen, und in ihm ist
nur dasjenige wichtig, was zur Sache gehört. In dem Bemühn, andächtige
Aufmerksamkeit für das Jnsichsein der Dinge zu erregen, versetzt sich Stifter
fortwährend in eine andächtige feierliche Stimmung, die allen Scherz, allen
Humor ausschließt, und da man ein neues Princip in der Regel übertreibt,
so behandelt er nicht blos das Unbedeutende und Gleichgiltige mit derselben
Wichtigkeit wie das Große, sondern er stellt es zuweilen mit einer noch größern
Andacht dar. Rum kann mitunter das Detailliren künstlerisch von großer
Wichtigkeit sein, aber nur wenn es einem bestimmten psychologischen Zweck
dient, wenn es einer Stimmung den entsprechenden Ausdruck gibt; ohne die¬
sen Hintergrund macht es den entschiedenen Eindruck der Zweckwidrigkeit, in
der Kunst wie in der Wissenschaft, und dieser Eindruck wird durch Stifters
Darstellung nur zu häufig auf uns hervorgebracht.

Bei dem vorwiegenden Interesse für die Naturwissenschaft, bei der aus¬
gesprochenen Neigung, auch das Psychologische und Historische aus physische
besetze zurückzuführen, würden wir trotz der häufigen Anwendung des Namens
Gottes, die an sich nichts bewiese, Stifter einen Pantheisten nennen, wenn
nicht ein strenges und edles sittliches Gefühl den Grundzug seines Charakters
bildete. Das ist es, was ihn z. B. von L. Schefer unterscheidet. Wenn


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[0175] Ferner in demselben Sinn S. 337. „Weil die Menschen nur ein Einziges wollen und preisen, weil sie um sich zu sättigen, sich in das Einseitige stürzen, machen sie sich unglücklich. Wenn wir nur in uns selbst in Ordnung wären, dann würden wir viel mehr Freude an den Dingen dieser Erde haben. Aber wenn ein Uebermaß von Wünschen und Begehrungen in uns ist, so hören wir nur diese immer an, und vermögen nicht die Unschuld der Dinge außer uns zu fassen. Leider heißen wir sie wichtig, wenn sie Gegenstände unserer Leidenschaften sind, und unwichtig, wenn sie zu diesen in keinen Be- Ziehungen stehen, während es doch oft umgekehrt sein kann." Aehnliche Ideen leiten den Humoristen, aber er verfolgt damit einen ko¬ mischen Zweck. Daß die Dinge, in sich selbst betrachtet, einen andern Maßstab haben, als vom subjectiven Standpunkt des Menschen, erregt ein Gefühl der Ueberraschung, welches mit lustigem Behagen verbunden ist, sobald der eine Standpunkt nicht durch den andern widerlegt werden soll. Stifter vergißt bei seiner Deduction ganz und gar. daß Gott nicht das Publicum des Dichters bildet. Wenn auch vor dem Auge Gottes alles gleich sein sollte, — der Umstand, daß man vom Logenschließer für Hut und Ueberrock eine Marke empfängt, gleich wichtig mit dem Inhalt des König Lear — so kann das doch dem Dich¬ ter nichts helfen, da er für Menschen schreibt, die nur durch ihre Subjectivität die Dinge anschauen, weil sie kein anderes Medium der Anschauung haben. Im Organismus des Universums mag jedes Atom gleich wichtig sein, der Organismus des Kunstwerks hat einen beschränkten Rahmen, und in ihm ist nur dasjenige wichtig, was zur Sache gehört. In dem Bemühn, andächtige Aufmerksamkeit für das Jnsichsein der Dinge zu erregen, versetzt sich Stifter fortwährend in eine andächtige feierliche Stimmung, die allen Scherz, allen Humor ausschließt, und da man ein neues Princip in der Regel übertreibt, so behandelt er nicht blos das Unbedeutende und Gleichgiltige mit derselben Wichtigkeit wie das Große, sondern er stellt es zuweilen mit einer noch größern Andacht dar. Rum kann mitunter das Detailliren künstlerisch von großer Wichtigkeit sein, aber nur wenn es einem bestimmten psychologischen Zweck dient, wenn es einer Stimmung den entsprechenden Ausdruck gibt; ohne die¬ sen Hintergrund macht es den entschiedenen Eindruck der Zweckwidrigkeit, in der Kunst wie in der Wissenschaft, und dieser Eindruck wird durch Stifters Darstellung nur zu häufig auf uns hervorgebracht. Bei dem vorwiegenden Interesse für die Naturwissenschaft, bei der aus¬ gesprochenen Neigung, auch das Psychologische und Historische aus physische besetze zurückzuführen, würden wir trotz der häufigen Anwendung des Namens Gottes, die an sich nichts bewiese, Stifter einen Pantheisten nennen, wenn nicht ein strenges und edles sittliches Gefühl den Grundzug seines Charakters bildete. Das ist es, was ihn z. B. von L. Schefer unterscheidet. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/175>, abgerufen am 27.07.2024.