Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die auch Frankreichs Herzblut aussaugt, es ist die Pompadour. die all¬
mächtige Maitresse Ludwigs XV.

Nach diesen Voraussetzungen will die weitere Kühnheit der Erfindung
nicht mehr viel sagen. Die Pompadour war früher die Gemahlin d'es Cynikers,
sie hat ihn wirklich geliebt, aber ihn aus Ehrgeiz verlassen und einen Andern
geheirathet. Sie hat also das Verbrechen der Bigamie begangen, welches
damals doch noch mehr sagen wollte, als Maitresse eines Königs zu
sein. Obgleich äußerst gewissenlos in ihrem sonstigen Thun, denkt sie
doch nicht daran, diesen Mann, der sie ins Zuchthaus bringen könnte,
unschädlich zu machen; im Gegentheil verräth sie ihm durch das An¬
erbieten einer erheblichen Geldsumme ihre fortdauernde Anwesenheit in Paris.
Glücklicherweise hat diese Unbesonnenheit keine Folgen; obgleich er sich fort¬
während auf den Straßen umhertreibt, fügt es der Zufall doch so, daß sie
sich niemals begegnen, bis zu Anfang des Stücks, wo sie über seinen zufälligen
Anblick in einen tödtlichen Schreck verfällt.

Daß sie erschrickt, ist sehr natürlich, aber dem Dichter genügt das ein¬
fache Motiv noch nicht. Sie leidet an eurer Hypertrophie des Herzens
und die Aerzte haben ihr die Diagnose gestellt, daß ein neuer Schreck
sie todten müsse. An diese medicinische Voraussetzung wird das Publi¬
kum, so oft die Pompadour auftritt, durch bedenkliche Krankheits¬
symptome erinnert -- der Dichter des Clavigo würde mit einigem Schreck er¬
fahren, was er mit seinem Beispiel angerichtet! Die zahlreichen Feinde der
Pompadour beschließen, auf das ärztliche Gutachten gestützt, sich ihrer durch
einen recht handgreiflichen Schreck zu entledigen, am liebsten . durch die
Wiederauffindung des Mannes, der sie zuerst erschreckt hat. von dem sie aber
noch nicht wissen, in welchem Verhältniß er zu ihr steht. Um die Sache
recht raffinirt zu machen, folgen sie dem Beispiel Hamlets und stellen ihr in
einer Komödie ihre eigene Vergangenheit dar^ Der Schauspieler ist Nameau
selbst. Die Scene ist nun wirklich höchst drastisch, sie stirbt in Flüchen, er
stirbt in Wahnsinn, der Moment der großen Ueberraschung ist gehörig vor¬
bereitet, kurz man kann sich keinen stärkern Effect denken.

Nun würde man sich diese melodramatischen Wirkungen gefallen lassen,
die ja auf der Bühne nichts Neues sind, wenn nicht in sittlicher Beziehung
ein höchst ungesunder Zug hervorträte. Es handelt sich um nichts Anderes,
als um eine Wiederholung des Experiments, welches Franz Moor mit seinem
Vater anstellt. Zu seig, ihn gradezu umzubringen, mordet er ihn durch den -
Schreck. Und hier ist es noch um so schlimmer, da die Anstifter dieser That
auf einer medicinischen Disposition süßen. Wenn die saubere Gesellschaft, die
Brachvogel unter den Pseudonymen Diderot. Grimm. Choiseul n, s. w.
vorführt, und von denen immer einer gemeiner ist als der andere, zu solchen


die auch Frankreichs Herzblut aussaugt, es ist die Pompadour. die all¬
mächtige Maitresse Ludwigs XV.

Nach diesen Voraussetzungen will die weitere Kühnheit der Erfindung
nicht mehr viel sagen. Die Pompadour war früher die Gemahlin d'es Cynikers,
sie hat ihn wirklich geliebt, aber ihn aus Ehrgeiz verlassen und einen Andern
geheirathet. Sie hat also das Verbrechen der Bigamie begangen, welches
damals doch noch mehr sagen wollte, als Maitresse eines Königs zu
sein. Obgleich äußerst gewissenlos in ihrem sonstigen Thun, denkt sie
doch nicht daran, diesen Mann, der sie ins Zuchthaus bringen könnte,
unschädlich zu machen; im Gegentheil verräth sie ihm durch das An¬
erbieten einer erheblichen Geldsumme ihre fortdauernde Anwesenheit in Paris.
Glücklicherweise hat diese Unbesonnenheit keine Folgen; obgleich er sich fort¬
während auf den Straßen umhertreibt, fügt es der Zufall doch so, daß sie
sich niemals begegnen, bis zu Anfang des Stücks, wo sie über seinen zufälligen
Anblick in einen tödtlichen Schreck verfällt.

Daß sie erschrickt, ist sehr natürlich, aber dem Dichter genügt das ein¬
fache Motiv noch nicht. Sie leidet an eurer Hypertrophie des Herzens
und die Aerzte haben ihr die Diagnose gestellt, daß ein neuer Schreck
sie todten müsse. An diese medicinische Voraussetzung wird das Publi¬
kum, so oft die Pompadour auftritt, durch bedenkliche Krankheits¬
symptome erinnert — der Dichter des Clavigo würde mit einigem Schreck er¬
fahren, was er mit seinem Beispiel angerichtet! Die zahlreichen Feinde der
Pompadour beschließen, auf das ärztliche Gutachten gestützt, sich ihrer durch
einen recht handgreiflichen Schreck zu entledigen, am liebsten . durch die
Wiederauffindung des Mannes, der sie zuerst erschreckt hat. von dem sie aber
noch nicht wissen, in welchem Verhältniß er zu ihr steht. Um die Sache
recht raffinirt zu machen, folgen sie dem Beispiel Hamlets und stellen ihr in
einer Komödie ihre eigene Vergangenheit dar^ Der Schauspieler ist Nameau
selbst. Die Scene ist nun wirklich höchst drastisch, sie stirbt in Flüchen, er
stirbt in Wahnsinn, der Moment der großen Ueberraschung ist gehörig vor¬
bereitet, kurz man kann sich keinen stärkern Effect denken.

Nun würde man sich diese melodramatischen Wirkungen gefallen lassen,
die ja auf der Bühne nichts Neues sind, wenn nicht in sittlicher Beziehung
ein höchst ungesunder Zug hervorträte. Es handelt sich um nichts Anderes,
als um eine Wiederholung des Experiments, welches Franz Moor mit seinem
Vater anstellt. Zu seig, ihn gradezu umzubringen, mordet er ihn durch den -
Schreck. Und hier ist es noch um so schlimmer, da die Anstifter dieser That
auf einer medicinischen Disposition süßen. Wenn die saubere Gesellschaft, die
Brachvogel unter den Pseudonymen Diderot. Grimm. Choiseul n, s. w.
vorführt, und von denen immer einer gemeiner ist als der andere, zu solchen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105436"/>
          <p xml:id="ID_355" prev="#ID_354"> die auch Frankreichs Herzblut aussaugt, es ist die Pompadour. die all¬<lb/>
mächtige Maitresse Ludwigs XV.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_356"> Nach diesen Voraussetzungen will die weitere Kühnheit der Erfindung<lb/>
nicht mehr viel sagen. Die Pompadour war früher die Gemahlin d'es Cynikers,<lb/>
sie hat ihn wirklich geliebt, aber ihn aus Ehrgeiz verlassen und einen Andern<lb/>
geheirathet. Sie hat also das Verbrechen der Bigamie begangen, welches<lb/>
damals doch noch mehr sagen wollte, als Maitresse eines Königs zu<lb/>
sein. Obgleich äußerst gewissenlos in ihrem sonstigen Thun, denkt sie<lb/>
doch nicht daran, diesen Mann, der sie ins Zuchthaus bringen könnte,<lb/>
unschädlich zu machen; im Gegentheil verräth sie ihm durch das An¬<lb/>
erbieten einer erheblichen Geldsumme ihre fortdauernde Anwesenheit in Paris.<lb/>
Glücklicherweise hat diese Unbesonnenheit keine Folgen; obgleich er sich fort¬<lb/>
während auf den Straßen umhertreibt, fügt es der Zufall doch so, daß sie<lb/>
sich niemals begegnen, bis zu Anfang des Stücks, wo sie über seinen zufälligen<lb/>
Anblick in einen tödtlichen Schreck verfällt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_357"> Daß sie erschrickt, ist sehr natürlich, aber dem Dichter genügt das ein¬<lb/>
fache Motiv noch nicht. Sie leidet an eurer Hypertrophie des Herzens<lb/>
und die Aerzte haben ihr die Diagnose gestellt, daß ein neuer Schreck<lb/>
sie todten müsse. An diese medicinische Voraussetzung wird das Publi¬<lb/>
kum, so oft die Pompadour auftritt, durch bedenkliche Krankheits¬<lb/>
symptome erinnert &#x2014; der Dichter des Clavigo würde mit einigem Schreck er¬<lb/>
fahren, was er mit seinem Beispiel angerichtet! Die zahlreichen Feinde der<lb/>
Pompadour beschließen, auf das ärztliche Gutachten gestützt, sich ihrer durch<lb/>
einen recht handgreiflichen Schreck zu entledigen, am liebsten . durch die<lb/>
Wiederauffindung des Mannes, der sie zuerst erschreckt hat. von dem sie aber<lb/>
noch nicht wissen, in welchem Verhältniß er zu ihr steht. Um die Sache<lb/>
recht raffinirt zu machen, folgen sie dem Beispiel Hamlets und stellen ihr in<lb/>
einer Komödie ihre eigene Vergangenheit dar^ Der Schauspieler ist Nameau<lb/>
selbst. Die Scene ist nun wirklich höchst drastisch, sie stirbt in Flüchen, er<lb/>
stirbt in Wahnsinn, der Moment der großen Ueberraschung ist gehörig vor¬<lb/>
bereitet, kurz man kann sich keinen stärkern Effect denken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_358" next="#ID_359"> Nun würde man sich diese melodramatischen Wirkungen gefallen lassen,<lb/>
die ja auf der Bühne nichts Neues sind, wenn nicht in sittlicher Beziehung<lb/>
ein höchst ungesunder Zug hervorträte. Es handelt sich um nichts Anderes,<lb/>
als um eine Wiederholung des Experiments, welches Franz Moor mit seinem<lb/>
Vater anstellt. Zu seig, ihn gradezu umzubringen, mordet er ihn durch den -<lb/>
Schreck. Und hier ist es noch um so schlimmer, da die Anstifter dieser That<lb/>
auf einer medicinischen Disposition süßen. Wenn die saubere Gesellschaft, die<lb/>
Brachvogel unter den Pseudonymen Diderot. Grimm. Choiseul n, s. w.<lb/>
vorführt, und von denen immer einer gemeiner ist als der andere, zu solchen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] die auch Frankreichs Herzblut aussaugt, es ist die Pompadour. die all¬ mächtige Maitresse Ludwigs XV. Nach diesen Voraussetzungen will die weitere Kühnheit der Erfindung nicht mehr viel sagen. Die Pompadour war früher die Gemahlin d'es Cynikers, sie hat ihn wirklich geliebt, aber ihn aus Ehrgeiz verlassen und einen Andern geheirathet. Sie hat also das Verbrechen der Bigamie begangen, welches damals doch noch mehr sagen wollte, als Maitresse eines Königs zu sein. Obgleich äußerst gewissenlos in ihrem sonstigen Thun, denkt sie doch nicht daran, diesen Mann, der sie ins Zuchthaus bringen könnte, unschädlich zu machen; im Gegentheil verräth sie ihm durch das An¬ erbieten einer erheblichen Geldsumme ihre fortdauernde Anwesenheit in Paris. Glücklicherweise hat diese Unbesonnenheit keine Folgen; obgleich er sich fort¬ während auf den Straßen umhertreibt, fügt es der Zufall doch so, daß sie sich niemals begegnen, bis zu Anfang des Stücks, wo sie über seinen zufälligen Anblick in einen tödtlichen Schreck verfällt. Daß sie erschrickt, ist sehr natürlich, aber dem Dichter genügt das ein¬ fache Motiv noch nicht. Sie leidet an eurer Hypertrophie des Herzens und die Aerzte haben ihr die Diagnose gestellt, daß ein neuer Schreck sie todten müsse. An diese medicinische Voraussetzung wird das Publi¬ kum, so oft die Pompadour auftritt, durch bedenkliche Krankheits¬ symptome erinnert — der Dichter des Clavigo würde mit einigem Schreck er¬ fahren, was er mit seinem Beispiel angerichtet! Die zahlreichen Feinde der Pompadour beschließen, auf das ärztliche Gutachten gestützt, sich ihrer durch einen recht handgreiflichen Schreck zu entledigen, am liebsten . durch die Wiederauffindung des Mannes, der sie zuerst erschreckt hat. von dem sie aber noch nicht wissen, in welchem Verhältniß er zu ihr steht. Um die Sache recht raffinirt zu machen, folgen sie dem Beispiel Hamlets und stellen ihr in einer Komödie ihre eigene Vergangenheit dar^ Der Schauspieler ist Nameau selbst. Die Scene ist nun wirklich höchst drastisch, sie stirbt in Flüchen, er stirbt in Wahnsinn, der Moment der großen Ueberraschung ist gehörig vor¬ bereitet, kurz man kann sich keinen stärkern Effect denken. Nun würde man sich diese melodramatischen Wirkungen gefallen lassen, die ja auf der Bühne nichts Neues sind, wenn nicht in sittlicher Beziehung ein höchst ungesunder Zug hervorträte. Es handelt sich um nichts Anderes, als um eine Wiederholung des Experiments, welches Franz Moor mit seinem Vater anstellt. Zu seig, ihn gradezu umzubringen, mordet er ihn durch den - Schreck. Und hier ist es noch um so schlimmer, da die Anstifter dieser That auf einer medicinischen Disposition süßen. Wenn die saubere Gesellschaft, die Brachvogel unter den Pseudonymen Diderot. Grimm. Choiseul n, s. w. vorführt, und von denen immer einer gemeiner ist als der andere, zu solchen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/159>, abgerufen am 27.07.2024.