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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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an das Schicksal des Staats, in dem er Deutschlands Zukunft sah, bis jeder
weitere Kampf unnütz wurde und dieser Staat ihn selbst seiner Pflicht enthob.
War es ihm aber versagt, eine große Rolle zu spielen, so spielte er wenigstens
eine edle, und die Haltung, die er dem französischen Eroberer gegenüber zeigte,
wirkt wohlthuender auf unser Gefühl als die Haltung seines Freundes, des
großen Dichters.

Es ist für die Entwickelung unseres Nationalgefühls von Wichtigkeit,
bei aller Verehrung vor der großen Periode unserer Literatur von -1770--1807,
auf die Verirrungen hinzuweisen, in die auch ihre Führer verfallen
waren. Neben der Dichtkunst blühte hauptsächlich die Philosophie und von
den Leitern derselben wird keiner so gern mit Goethe verglichen als Hegel.
Hegel hat sich aber in jener bedenklichen Lage des Vaterlandes viel schlimmer
benommen als Goethe, und es ist zweckmäßig, das unumwunden auszusprechen.

In der nächsten Woche erscheint von Haym ein neues Werk: Hegel
und seine Zeit, Vorlesungen über Entstehung und Entwickelung,
Wesen und Werth der begelschen Philosophie (Berlin Gärtner);
der Vnfasser verstattet uns, aus demselben die belreffenl'en Stellen mitzutheilen.
Er analysirt die Phänomenologie uno fährt dann folgendermaßen fort:

"So war das Beginnen der deutschen Philosophie, so beschaffen war die
Welt, in welche die phantasirende Abstraction im Anlehnen an unsre classische
Poesie zu einer Zeit sich einspann, wo ein fremder Eroberer die Macht deS
größten deutschen Staates gebrochen hatte, wo er eben im Begriff stand, die
zweite deutsche Macht in t>en Staub zu werfen und wo sich die niederträchtige
und habgierige Feigheit der westlichen deutschen Fürsten ihm als Protector
in die Arme geworfen hatte. In demselben Augenblicke -- ich appellire jetzt
nicht blos an Ihren Verstand, sondern an Ihren gesunden Sinn und Ihr
Gefühl -- in demselben Augenblicke, wo die höchste Wissenschaft den ganzen
Nest der Weltgeschichte für ein heiteres Spiel des "sich in Geistesgestalt
wissenden Geistes" erklärte, in demselben Augenblicke zerstampften französische
Hufe den freien Boden unsres Vaterlandes, und gefolgt von dem Contingente
deutscher Länder, stand Napoleon vor den Thoren Jenas. Mit pathetischer
Bewunderung ist gesagt worden, daß Hegel die "Phänomenologie des Geistes"
unter dem Kanonendonner der Schlacht von Jena vollendet habe. Und eS
ist wahr, eben in diesen verhängnißvollen Octobcrtagen sandte er die letzten
Bogen seiner Arbeit an seinen Verleger nach Bamberg. Was ist dem
Schauspieler Hecuba? Was lag daran, daß die Monarchie Friedrichs deS
Großen niedergestreckt wurde, und daß die "gemüthlose Tyrannei des Aus¬
landes" sich in unseren deutschen Gauen befestigte, wenn es nur der Welt
nicht verhalten blieb, daß die "Substanz zugleich Subject" sei, und daß, aus


an das Schicksal des Staats, in dem er Deutschlands Zukunft sah, bis jeder
weitere Kampf unnütz wurde und dieser Staat ihn selbst seiner Pflicht enthob.
War es ihm aber versagt, eine große Rolle zu spielen, so spielte er wenigstens
eine edle, und die Haltung, die er dem französischen Eroberer gegenüber zeigte,
wirkt wohlthuender auf unser Gefühl als die Haltung seines Freundes, des
großen Dichters.

Es ist für die Entwickelung unseres Nationalgefühls von Wichtigkeit,
bei aller Verehrung vor der großen Periode unserer Literatur von -1770—1807,
auf die Verirrungen hinzuweisen, in die auch ihre Führer verfallen
waren. Neben der Dichtkunst blühte hauptsächlich die Philosophie und von
den Leitern derselben wird keiner so gern mit Goethe verglichen als Hegel.
Hegel hat sich aber in jener bedenklichen Lage des Vaterlandes viel schlimmer
benommen als Goethe, und es ist zweckmäßig, das unumwunden auszusprechen.

In der nächsten Woche erscheint von Haym ein neues Werk: Hegel
und seine Zeit, Vorlesungen über Entstehung und Entwickelung,
Wesen und Werth der begelschen Philosophie (Berlin Gärtner);
der Vnfasser verstattet uns, aus demselben die belreffenl'en Stellen mitzutheilen.
Er analysirt die Phänomenologie uno fährt dann folgendermaßen fort:

„So war das Beginnen der deutschen Philosophie, so beschaffen war die
Welt, in welche die phantasirende Abstraction im Anlehnen an unsre classische
Poesie zu einer Zeit sich einspann, wo ein fremder Eroberer die Macht deS
größten deutschen Staates gebrochen hatte, wo er eben im Begriff stand, die
zweite deutsche Macht in t>en Staub zu werfen und wo sich die niederträchtige
und habgierige Feigheit der westlichen deutschen Fürsten ihm als Protector
in die Arme geworfen hatte. In demselben Augenblicke — ich appellire jetzt
nicht blos an Ihren Verstand, sondern an Ihren gesunden Sinn und Ihr
Gefühl — in demselben Augenblicke, wo die höchste Wissenschaft den ganzen
Nest der Weltgeschichte für ein heiteres Spiel des „sich in Geistesgestalt
wissenden Geistes" erklärte, in demselben Augenblicke zerstampften französische
Hufe den freien Boden unsres Vaterlandes, und gefolgt von dem Contingente
deutscher Länder, stand Napoleon vor den Thoren Jenas. Mit pathetischer
Bewunderung ist gesagt worden, daß Hegel die „Phänomenologie des Geistes"
unter dem Kanonendonner der Schlacht von Jena vollendet habe. Und eS
ist wahr, eben in diesen verhängnißvollen Octobcrtagen sandte er die letzten
Bogen seiner Arbeit an seinen Verleger nach Bamberg. Was ist dem
Schauspieler Hecuba? Was lag daran, daß die Monarchie Friedrichs deS
Großen niedergestreckt wurde, und daß die „gemüthlose Tyrannei des Aus¬
landes" sich in unseren deutschen Gauen befestigte, wenn es nur der Welt
nicht verhalten blieb, daß die „Substanz zugleich Subject" sei, und daß, aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/96>, abgerufen am 23.07.2024.