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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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warmes Herz für das Volk, ein scharfes Auge für seine unmittelbaren Bedürf¬
nisse und griff hilfreich ein, wo es Noth that. Allein sein Gesichtskreis, sein
Gefühl beschränkte sich auf das Privatleben. Weder die reichsständischen
Zustände in Frankfurt, noch das geniale Treiben am Weimarer Hof hatte
ihn mit einem historischen Blick ausgestattet, er betrachtete die Geschichte nur
als ein Schatzkästlein für interessante Conflicte des Herzens, und den Staat nur
als ein äußeres, an und für sich gleichgiltigeS Mittel für die Beförderung
des Glücks des Einzelnen. So dachte und fühlte die Mehrzahl seiner Lands¬
leute, und wenn der Blick des Fürsten tiefer reichte, so flano er damit in
seinem Kreise vereinsamt. Auch Goethe verstand ihn nicht, als er in preußische
Kriegsdienste trat, er sah darin, er gesteht es ziemlich offen, nichts Anderes
als das unselige Interesse der deutschen Fürsten für das Soldatenspiel.
Vielleicht hat der Herzog sich im ersten Augenblick in der That selbst nicht ganz
klar gemacht, was° eigentlich dabei seine Absicht war, aber namentlich durch
seinen Verkehr mit dem Fürsten von Anhalt-Dessau, in dem er einen ver¬
wandten Geist freudig begrüßte, stellte sich in seinem Bewußtsein, was
Deutschland Noth that, mit überzeugender Deutlichkeit heraus. Es ist noch
nicht lange her, daß man über seine Beziehungen zum Fürstenbunde umfassende
Nachrichten erhalten hat; seitdem aber wissen wir, daß dieser edle Mann, an dessen
Namen sich die Blüte unserer Literatur knüpft, auch in politischer Beziehung seinem
Zeitalter vorangeeilt war, daß er die Principien, zu denen sich erst zwei Menschen-
alter später die Gebildeten des Volks durchgearbeitet hatten, durch eigenes Nach¬
denken schon damals gefunden hatte. Auch in dieser Beziehung war seine Lage
nicht von der Art, seine rechtmäßigen Ansprüche zu befriedigen. Im Mittelalter,
wo die Kraft deS deutschen Reichs sich noch nicht ganz in die Gewalt der großen
Fürsten aufgelöst hatte, wurde eS zuweilen den kleinen Fürsten möglich, was
eine bessere Einsicht und ein redlicher Wille ihnen eingab, unmittelbar durch¬
zusetzen. Diese glückliche Rolle ist ihnen in neuerer Zeit versagt. Um den
deutschen Fürstenbund in einer Weise zu beleben, aus der eine Verjüngung
der Nation hätte hervorgehen können, mußte er sich an die preußischen
Staatsmänner wenden, und hier begegnete ihm, was auch die Patrioten von
1849 erfahren mußten: man billigte im Allgemeinen die gute Meinung, man
hatte aber weder die Hochherzigkeit, das Sondertineresse des eigenen Staats
dem Besten des Gesammtvaterlandes aufzuopfern, noch die Willenskraft, die
entgegenkommenden Wünsche und Hoffnungen Deutschlands in den Dienst der
speciellen, historisch entwickelten und berechtigten Zwecke Preußens zu ziehen: --
Beides käme ungefähr auf dasselbe heraus. So war Karl August, dem wir
mittelbar die schönsten Früchte unseres Lebens verdanken, nach beiden Seiten
hin das unmittelbare Eingreifen, daS doch den Mann allein befriedigt, ver¬
sagt; er that was er konnte, er knüpfte als ehrlicher Soldat sein Schicksal


warmes Herz für das Volk, ein scharfes Auge für seine unmittelbaren Bedürf¬
nisse und griff hilfreich ein, wo es Noth that. Allein sein Gesichtskreis, sein
Gefühl beschränkte sich auf das Privatleben. Weder die reichsständischen
Zustände in Frankfurt, noch das geniale Treiben am Weimarer Hof hatte
ihn mit einem historischen Blick ausgestattet, er betrachtete die Geschichte nur
als ein Schatzkästlein für interessante Conflicte des Herzens, und den Staat nur
als ein äußeres, an und für sich gleichgiltigeS Mittel für die Beförderung
des Glücks des Einzelnen. So dachte und fühlte die Mehrzahl seiner Lands¬
leute, und wenn der Blick des Fürsten tiefer reichte, so flano er damit in
seinem Kreise vereinsamt. Auch Goethe verstand ihn nicht, als er in preußische
Kriegsdienste trat, er sah darin, er gesteht es ziemlich offen, nichts Anderes
als das unselige Interesse der deutschen Fürsten für das Soldatenspiel.
Vielleicht hat der Herzog sich im ersten Augenblick in der That selbst nicht ganz
klar gemacht, was° eigentlich dabei seine Absicht war, aber namentlich durch
seinen Verkehr mit dem Fürsten von Anhalt-Dessau, in dem er einen ver¬
wandten Geist freudig begrüßte, stellte sich in seinem Bewußtsein, was
Deutschland Noth that, mit überzeugender Deutlichkeit heraus. Es ist noch
nicht lange her, daß man über seine Beziehungen zum Fürstenbunde umfassende
Nachrichten erhalten hat; seitdem aber wissen wir, daß dieser edle Mann, an dessen
Namen sich die Blüte unserer Literatur knüpft, auch in politischer Beziehung seinem
Zeitalter vorangeeilt war, daß er die Principien, zu denen sich erst zwei Menschen-
alter später die Gebildeten des Volks durchgearbeitet hatten, durch eigenes Nach¬
denken schon damals gefunden hatte. Auch in dieser Beziehung war seine Lage
nicht von der Art, seine rechtmäßigen Ansprüche zu befriedigen. Im Mittelalter,
wo die Kraft deS deutschen Reichs sich noch nicht ganz in die Gewalt der großen
Fürsten aufgelöst hatte, wurde eS zuweilen den kleinen Fürsten möglich, was
eine bessere Einsicht und ein redlicher Wille ihnen eingab, unmittelbar durch¬
zusetzen. Diese glückliche Rolle ist ihnen in neuerer Zeit versagt. Um den
deutschen Fürstenbund in einer Weise zu beleben, aus der eine Verjüngung
der Nation hätte hervorgehen können, mußte er sich an die preußischen
Staatsmänner wenden, und hier begegnete ihm, was auch die Patrioten von
1849 erfahren mußten: man billigte im Allgemeinen die gute Meinung, man
hatte aber weder die Hochherzigkeit, das Sondertineresse des eigenen Staats
dem Besten des Gesammtvaterlandes aufzuopfern, noch die Willenskraft, die
entgegenkommenden Wünsche und Hoffnungen Deutschlands in den Dienst der
speciellen, historisch entwickelten und berechtigten Zwecke Preußens zu ziehen: —
Beides käme ungefähr auf dasselbe heraus. So war Karl August, dem wir
mittelbar die schönsten Früchte unseres Lebens verdanken, nach beiden Seiten
hin das unmittelbare Eingreifen, daS doch den Mann allein befriedigt, ver¬
sagt; er that was er konnte, er knüpfte als ehrlicher Soldat sein Schicksal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/95>, abgerufen am 23.07.2024.