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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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mit wasserdichtem Wachstaffet eingefaßt und die ganze Maske bietet einen gar
grimmigen Anblick dar.

Die einzige Veränderung in diesem Anzüge, die ich kenne, sind tuchene
anstatt Pelzbeinkleider, wenn daS Thermometer über 13 Grad unter Null steigt,
und ein Paar dicke wollene Ueberstrümpse, die fast bis an die Hüften gehe",
wenn es unter 30 Grad sinkt. Eine lange Schärpe um die Hüften ist ein
schöner Schutz während des Gehens und läßt die Kälte nicht zu den Taschen
herein; sie vollendet, wenn sie kriegerisch im Winde flattert, die groteske Har¬
monie meines Auszugs.

Die Winternacht halte allmälig ihre Wirkungen auf die Bewohner der
Fahrzeuge begonnen, obgleich diese selbst es kaum merkten. Die dunstige Finster¬
niß der Nächte schien sie schwärzer zu machen als andere Nordpolfahrer, na¬
mentlich Parry, sie erlebt hatten. Die Gesichter nahmen eine eigenthümliche
wächserne Blässe an. Die Augen wurden hohler und merkwürdig klar; allge-
gemein klagte man über kurzen Athem. Der Appetit veränderte sich auf eine
fast komische Weise: gefrornes Schinkenfett und in Baumöl schwimmendes
Sauerkraut wurden Lieblingsgerichte; doch war sich niemand einer Neigung zu
der groben Nahrung der Polarregion bewußt. Die Meisten wollten kein Bären¬
fleisch anrühren; Capitän de Haven und Dr. Kane waren die Einzigen, welche
es noch aßen; dagegen war Fuchs sehr beliebt. Alles schien einen andern
Geschmack angenommen zu haben und die Neigung zum Essen war im Ganzen
sehr gering.

Aber was schlimmer war -- die Einsamkeit und ununterbrochene Dunkel¬
heit fingen an nachtheilig auf die Stimmung zu wirken. Die Leute wurden
mürrisch, reizbar und geneigt ihren Phantasien nachzuhängen. Des Morgens
erzählten sie sich regelmäßig die Träume der Nacht -- denn sie konnten sich
nicht abgewöhnen, dieses Wort zu gebrauchen. Einige hatten die nackten
Wände deS warrenver Caps besucht unb waren mit Wassermelonen beladen
zurückgekehrt. Andere hatten Sir John Franklin ausgefund.n in einer schönen
von Cilrvnenhainen und QuintaS umsäumten Bucht. Selbst Brooks, der pro¬
saische Bootsmann, theilte Dr. Kane im Vertrauen mit, daß er vom Eise
draußen her dreimal seltsames Stöhnen gehört habe. Er glaubte, eS wäre
ein Bär gewesen, konnte aber nichts entdecken! Mit einem Worte, die Gesund¬
heit der kleinen Reisegesellschaft fing an wankend zu werben. Es mußte streng
und anhaltend auf Waschen, strenge Diät und Bewegung gesehen werben, um
den Scharbock fern zu halten. Schon zeigten sich warnende Spuren desselben.

Endlich kam der Weihnachtstag. An Speise und Trank fehlte es nicht,
aber der größte Segen auf Erden, der gemüthliche Austausch der Gefühle be¬
freundeter ober übereinstimmender Seelen wollte sich nicht einstellen. Den nie¬
derdrückenden Einfluß, den auf jeden Einzelnen die Gedanken an die Hnmath


mit wasserdichtem Wachstaffet eingefaßt und die ganze Maske bietet einen gar
grimmigen Anblick dar.

Die einzige Veränderung in diesem Anzüge, die ich kenne, sind tuchene
anstatt Pelzbeinkleider, wenn daS Thermometer über 13 Grad unter Null steigt,
und ein Paar dicke wollene Ueberstrümpse, die fast bis an die Hüften gehe»,
wenn es unter 30 Grad sinkt. Eine lange Schärpe um die Hüften ist ein
schöner Schutz während des Gehens und läßt die Kälte nicht zu den Taschen
herein; sie vollendet, wenn sie kriegerisch im Winde flattert, die groteske Har¬
monie meines Auszugs.

Die Winternacht halte allmälig ihre Wirkungen auf die Bewohner der
Fahrzeuge begonnen, obgleich diese selbst es kaum merkten. Die dunstige Finster¬
niß der Nächte schien sie schwärzer zu machen als andere Nordpolfahrer, na¬
mentlich Parry, sie erlebt hatten. Die Gesichter nahmen eine eigenthümliche
wächserne Blässe an. Die Augen wurden hohler und merkwürdig klar; allge-
gemein klagte man über kurzen Athem. Der Appetit veränderte sich auf eine
fast komische Weise: gefrornes Schinkenfett und in Baumöl schwimmendes
Sauerkraut wurden Lieblingsgerichte; doch war sich niemand einer Neigung zu
der groben Nahrung der Polarregion bewußt. Die Meisten wollten kein Bären¬
fleisch anrühren; Capitän de Haven und Dr. Kane waren die Einzigen, welche
es noch aßen; dagegen war Fuchs sehr beliebt. Alles schien einen andern
Geschmack angenommen zu haben und die Neigung zum Essen war im Ganzen
sehr gering.

Aber was schlimmer war — die Einsamkeit und ununterbrochene Dunkel¬
heit fingen an nachtheilig auf die Stimmung zu wirken. Die Leute wurden
mürrisch, reizbar und geneigt ihren Phantasien nachzuhängen. Des Morgens
erzählten sie sich regelmäßig die Träume der Nacht — denn sie konnten sich
nicht abgewöhnen, dieses Wort zu gebrauchen. Einige hatten die nackten
Wände deS warrenver Caps besucht unb waren mit Wassermelonen beladen
zurückgekehrt. Andere hatten Sir John Franklin ausgefund.n in einer schönen
von Cilrvnenhainen und QuintaS umsäumten Bucht. Selbst Brooks, der pro¬
saische Bootsmann, theilte Dr. Kane im Vertrauen mit, daß er vom Eise
draußen her dreimal seltsames Stöhnen gehört habe. Er glaubte, eS wäre
ein Bär gewesen, konnte aber nichts entdecken! Mit einem Worte, die Gesund¬
heit der kleinen Reisegesellschaft fing an wankend zu werben. Es mußte streng
und anhaltend auf Waschen, strenge Diät und Bewegung gesehen werben, um
den Scharbock fern zu halten. Schon zeigten sich warnende Spuren desselben.

Endlich kam der Weihnachtstag. An Speise und Trank fehlte es nicht,
aber der größte Segen auf Erden, der gemüthliche Austausch der Gefühle be¬
freundeter ober übereinstimmender Seelen wollte sich nicht einstellen. Den nie¬
derdrückenden Einfluß, den auf jeden Einzelnen die Gedanken an die Hnmath


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/82>, abgerufen am 23.07.2024.