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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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rechtigung nur derjenige vollständig ermessen kann, der mitten darin lebt. Es
kann vorkommen, daß ein Professor, der in seinem Auditorium wie in einer
Familie lebt, sich zu manchen Ercursen nicht blos berechtigt, sondern berufen
glaubt, die man außerhalb dieses intimen Kreises mißversteh" würde, und deren
öffentliche Besprechung daher eine Indiscretion wäre. Allein dieses Recht der
Privatbeziehuug gibt der Lehrer auf, sobald er seine Vorlesungen drucken läßt,
auch wenn er wie Professor Erdmann erklärt, er habe bei der Veröffentlichung
seiner Vorlesungen hauptsächlich an seine Zuhörer gedacht.

Hier drängt sich nun zunächst eine ganze Vorlesung auf, in welcher Erdmann
sein eignes Leben, seine Studien und Erfolge beschreibt. Er motivirt es da¬
durch, daß die encyklopädische Bildung, die er durchgemacht, ihm das Recht gibt,
nichr als andere Universitätslehrer, die einen einseitigen Bildungsgang durchge¬
macht, grade über diesen Gegenstand seine Idee" auszusprechen. Aber man kann bei
der schönen Wärme, mit der er seinen Lebenslauf betrachtet, doch den Wunsch nicht
unterdrücken, dasselbe aus einem andern Munde zu hören. Noch schlimmer ist, daß
er bei dieser Gelegenheit auf andere Männer eingeht, auf seine jetzigen und
ehemaligen Kollegen, denen er vor den Studirenden nicht in Bezug auf ihre
wissenschaftlichen Ideen, sondern in Bezug auf ihren menschlichen Charakter
die ärgsten Injurien sagt. Wir sind mit den Disciplinargesetzen der Univer¬
sitäten nicht vertraut genug, um beurtheilen zu können, wie weit daS in äußer¬
licher Beziehung statthaft ist, schicklich ists auf alle Fälle nicht. Gewiß gibt
es Streitfragen, in denen der Schriftsteller das Recht hat, auch die Person
seines Gegners ins Auge zu fassen; die Versammlung der Studenten ist aber
gewiß nicht das Forum, vor welchem man seine College" deS Wortbrnchö,
der Feigheit, selbst der Feilheit zeihen darf; noch dazu in so burlesken Aus¬
drücken wie eS Erdmann z. B. S. 32 und S. -Jul thut. Er scheint freilich
das Verhältniß zu den Studirenden anders aufzufassen, er macht ans den
HöflichkeitSrcdensarten "meine hochzuverehrenden Herrn!" "meine Herrn Comi-
litonen" u. s. w. eine Begriffsbestimmung, als ob hier von einem Verhältniß
zwischen Gleichen die Rede wäre; aber eine solche Auffassung ist sowol der
Wissenschaft als des akademischen Berufs unwürdig. Der Professor ist der Leh¬
rer, der Student der Schüler, und jeder tüchtige Student wird die Versicherung,
daß dem nicht so sei, mit verächtlichem Achselzucken aufnehmen; jeder tüchtige
Student wird die leider nnr zu häufige Neigung der Professoren, sich zu ihm
herabzulassen, seine Kneipsprache zu reden, ihn mit guten ober schlechten Witzen
zu unterhalten, als eine Beleidigung empfinden. Man wende auch nicht ein,
daß der Gegenstand das so mit sich bringt. Fichte, Schleiermacher, Schelling
und andere haben über denselben Gegenstand Vorlesungen gehalten, ohne sich
herabzulassen, sie haben grade dadurch, daß sie dem Problem die höchste und
reinste Idealität gaben, jene ernste und nachhaltige Begeisterung hervorgerufen/


rechtigung nur derjenige vollständig ermessen kann, der mitten darin lebt. Es
kann vorkommen, daß ein Professor, der in seinem Auditorium wie in einer
Familie lebt, sich zu manchen Ercursen nicht blos berechtigt, sondern berufen
glaubt, die man außerhalb dieses intimen Kreises mißversteh« würde, und deren
öffentliche Besprechung daher eine Indiscretion wäre. Allein dieses Recht der
Privatbeziehuug gibt der Lehrer auf, sobald er seine Vorlesungen drucken läßt,
auch wenn er wie Professor Erdmann erklärt, er habe bei der Veröffentlichung
seiner Vorlesungen hauptsächlich an seine Zuhörer gedacht.

Hier drängt sich nun zunächst eine ganze Vorlesung auf, in welcher Erdmann
sein eignes Leben, seine Studien und Erfolge beschreibt. Er motivirt es da¬
durch, daß die encyklopädische Bildung, die er durchgemacht, ihm das Recht gibt,
nichr als andere Universitätslehrer, die einen einseitigen Bildungsgang durchge¬
macht, grade über diesen Gegenstand seine Idee» auszusprechen. Aber man kann bei
der schönen Wärme, mit der er seinen Lebenslauf betrachtet, doch den Wunsch nicht
unterdrücken, dasselbe aus einem andern Munde zu hören. Noch schlimmer ist, daß
er bei dieser Gelegenheit auf andere Männer eingeht, auf seine jetzigen und
ehemaligen Kollegen, denen er vor den Studirenden nicht in Bezug auf ihre
wissenschaftlichen Ideen, sondern in Bezug auf ihren menschlichen Charakter
die ärgsten Injurien sagt. Wir sind mit den Disciplinargesetzen der Univer¬
sitäten nicht vertraut genug, um beurtheilen zu können, wie weit daS in äußer¬
licher Beziehung statthaft ist, schicklich ists auf alle Fälle nicht. Gewiß gibt
es Streitfragen, in denen der Schriftsteller das Recht hat, auch die Person
seines Gegners ins Auge zu fassen; die Versammlung der Studenten ist aber
gewiß nicht das Forum, vor welchem man seine College» deS Wortbrnchö,
der Feigheit, selbst der Feilheit zeihen darf; noch dazu in so burlesken Aus¬
drücken wie eS Erdmann z. B. S. 32 und S. -Jul thut. Er scheint freilich
das Verhältniß zu den Studirenden anders aufzufassen, er macht ans den
HöflichkeitSrcdensarten „meine hochzuverehrenden Herrn!" „meine Herrn Comi-
litonen" u. s. w. eine Begriffsbestimmung, als ob hier von einem Verhältniß
zwischen Gleichen die Rede wäre; aber eine solche Auffassung ist sowol der
Wissenschaft als des akademischen Berufs unwürdig. Der Professor ist der Leh¬
rer, der Student der Schüler, und jeder tüchtige Student wird die Versicherung,
daß dem nicht so sei, mit verächtlichem Achselzucken aufnehmen; jeder tüchtige
Student wird die leider nnr zu häufige Neigung der Professoren, sich zu ihm
herabzulassen, seine Kneipsprache zu reden, ihn mit guten ober schlechten Witzen
zu unterhalten, als eine Beleidigung empfinden. Man wende auch nicht ein,
daß der Gegenstand das so mit sich bringt. Fichte, Schleiermacher, Schelling
und andere haben über denselben Gegenstand Vorlesungen gehalten, ohne sich
herabzulassen, sie haben grade dadurch, daß sie dem Problem die höchste und
reinste Idealität gaben, jene ernste und nachhaltige Begeisterung hervorgerufen/


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/512>, abgerufen am 23.07.2024.