Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ich will keineswegs ein Urtheil über den Gesetzentwurf abgeben" --
sagte der König, nachdem er die Vertagung der Discussion gut geheißen --
"ich würde nie zugestimmt haben, in unserer Legislative einem Gesetz einen
Platz einzuräumen, das die traurigen Wirkungen hätte haben können, die man
befürchtet, aber ich nehme wie Sie aus den Eindruck Rücksicht, der sich bei
dieser 'Gelegenheit bei einem großen Theil der Bevölkerung kundgegeben hat.
In den Ländern, die sich selbst mit ihren Angelegenheiten beschäftigen, gibt
es jene raschen ansteckenden Erregungen, die mit einer leichter sich offenbaren¬
den als zu erklärenden Intensität sich fortpflanzen, und mit denen es verstän¬
diger ist, ein Uebereinkommen zu treffen, als viel darüber zu reden. Die
freien Institutionen Belgiens sind 26 Jahre hindurch mit bewundernswerther
Regelmäßigkeit in Wirksamkeit gewesen. Was muß geschehen, damit sie in
Zukunft mit demselben Erfolg, derselben Ordnung zu wirken fortfahren? Ich
stehe nicht an, es zu sagen: eS bedarf der Mäßigung und der Selbstbeherr¬
schung bei den Parteien. Ich glaube, wir müssen uns der Behandlung einer
jeden Frage enthalten, welche den Krieg in den Gemüthern entzünden kann.
Ich bin überzeugt und ich sage es jedermann, baß jede Maßregel, welche ge¬
deutet werden kaun, als solle sie die Suprematie einer Meinung über die
andere feststellen, eine Gefahr ist. Unter den Verhältnissen, in denen wir
uns befinden, hat die Mehrheit der Kammer, deren Wünsche als die der Ma¬
jorität mir Führer sind und sein müssen, eine edle Stellung, eine Stellung,
wie sie einer großen Partei würdig ist, einzunehmen. Ich gebe ihr den Rath,
wie Sie es ihr vorschlagen werden, auf die Fortsetzung der Discussion über
das Wohlthätigkeitögesetz zu verzichten."

Wir haben bereits bemerkt, daß, während der einen Partei die Heim¬
sendung der Kammern als ein weises Nachgeben gegen die öffentliche Mei¬
nung erschien (die wir beiläufig nicht in den Straßenementen, wol aber in
den Hunderten und aber Hunderten von Adressen sehen, welche aus Stadt
und Land einliefen), die andere Partei darin nur ein Zurückweichen der Ne¬
gierung vor vernunft- und willenlosen Gesinde!, ein Aufhören der königlichen
Autorität vor revolutionären Mächten, einen Beweis der durchgängigen Hohl¬
heit des constitutionellen Lebens in Belgien erblickte. Die gesammte euro¬
päische Reaction klatschte Beifall dazu. Es war aber eben nur eine Partei-
anstcht, und zwar eine ziemlich bornirte. Es gibt in diesen Vorkommnissen
(die Straßentumulle selbstverständlich ausgenommen) durchaus nichts, was
nicht vollkommen constitutionell und normal, was nicht den parlamentarischen
Regeln und Gebräuchen gemäß wäre. Die Rechte der parlamentarischen Ma¬
jorität, der Majorität, welche in gesetzgemäßer Weise den Willen des Landes
vertrat, blieben trotz der Mißstimmung, die ihre Haltung erweckt, vollkommen
aufrecht erhalten. Sobald die Kammer wieder zusammenkam, war sie im un-


Grcnzbvten IV!

„Ich will keineswegs ein Urtheil über den Gesetzentwurf abgeben" —
sagte der König, nachdem er die Vertagung der Discussion gut geheißen —
„ich würde nie zugestimmt haben, in unserer Legislative einem Gesetz einen
Platz einzuräumen, das die traurigen Wirkungen hätte haben können, die man
befürchtet, aber ich nehme wie Sie aus den Eindruck Rücksicht, der sich bei
dieser 'Gelegenheit bei einem großen Theil der Bevölkerung kundgegeben hat.
In den Ländern, die sich selbst mit ihren Angelegenheiten beschäftigen, gibt
es jene raschen ansteckenden Erregungen, die mit einer leichter sich offenbaren¬
den als zu erklärenden Intensität sich fortpflanzen, und mit denen es verstän¬
diger ist, ein Uebereinkommen zu treffen, als viel darüber zu reden. Die
freien Institutionen Belgiens sind 26 Jahre hindurch mit bewundernswerther
Regelmäßigkeit in Wirksamkeit gewesen. Was muß geschehen, damit sie in
Zukunft mit demselben Erfolg, derselben Ordnung zu wirken fortfahren? Ich
stehe nicht an, es zu sagen: eS bedarf der Mäßigung und der Selbstbeherr¬
schung bei den Parteien. Ich glaube, wir müssen uns der Behandlung einer
jeden Frage enthalten, welche den Krieg in den Gemüthern entzünden kann.
Ich bin überzeugt und ich sage es jedermann, baß jede Maßregel, welche ge¬
deutet werden kaun, als solle sie die Suprematie einer Meinung über die
andere feststellen, eine Gefahr ist. Unter den Verhältnissen, in denen wir
uns befinden, hat die Mehrheit der Kammer, deren Wünsche als die der Ma¬
jorität mir Führer sind und sein müssen, eine edle Stellung, eine Stellung,
wie sie einer großen Partei würdig ist, einzunehmen. Ich gebe ihr den Rath,
wie Sie es ihr vorschlagen werden, auf die Fortsetzung der Discussion über
das Wohlthätigkeitögesetz zu verzichten."

Wir haben bereits bemerkt, daß, während der einen Partei die Heim¬
sendung der Kammern als ein weises Nachgeben gegen die öffentliche Mei¬
nung erschien (die wir beiläufig nicht in den Straßenementen, wol aber in
den Hunderten und aber Hunderten von Adressen sehen, welche aus Stadt
und Land einliefen), die andere Partei darin nur ein Zurückweichen der Ne¬
gierung vor vernunft- und willenlosen Gesinde!, ein Aufhören der königlichen
Autorität vor revolutionären Mächten, einen Beweis der durchgängigen Hohl¬
heit des constitutionellen Lebens in Belgien erblickte. Die gesammte euro¬
päische Reaction klatschte Beifall dazu. Es war aber eben nur eine Partei-
anstcht, und zwar eine ziemlich bornirte. Es gibt in diesen Vorkommnissen
(die Straßentumulle selbstverständlich ausgenommen) durchaus nichts, was
nicht vollkommen constitutionell und normal, was nicht den parlamentarischen
Regeln und Gebräuchen gemäß wäre. Die Rechte der parlamentarischen Ma¬
jorität, der Majorität, welche in gesetzgemäßer Weise den Willen des Landes
vertrat, blieben trotz der Mißstimmung, die ihre Haltung erweckt, vollkommen
aufrecht erhalten. Sobald die Kammer wieder zusammenkam, war sie im un-


Grcnzbvten IV!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0505" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281689"/>
            <p xml:id="ID_1359"> &#x201E;Ich will keineswegs ein Urtheil über den Gesetzentwurf abgeben" &#x2014;<lb/>
sagte der König, nachdem er die Vertagung der Discussion gut geheißen &#x2014;<lb/>
&#x201E;ich würde nie zugestimmt haben, in unserer Legislative einem Gesetz einen<lb/>
Platz einzuräumen, das die traurigen Wirkungen hätte haben können, die man<lb/>
befürchtet, aber ich nehme wie Sie aus den Eindruck Rücksicht, der sich bei<lb/>
dieser 'Gelegenheit bei einem großen Theil der Bevölkerung kundgegeben hat.<lb/>
In den Ländern, die sich selbst mit ihren Angelegenheiten beschäftigen, gibt<lb/>
es jene raschen ansteckenden Erregungen, die mit einer leichter sich offenbaren¬<lb/>
den als zu erklärenden Intensität sich fortpflanzen, und mit denen es verstän¬<lb/>
diger ist, ein Uebereinkommen zu treffen, als viel darüber zu reden. Die<lb/>
freien Institutionen Belgiens sind 26 Jahre hindurch mit bewundernswerther<lb/>
Regelmäßigkeit in Wirksamkeit gewesen. Was muß geschehen, damit sie in<lb/>
Zukunft mit demselben Erfolg, derselben Ordnung zu wirken fortfahren? Ich<lb/>
stehe nicht an, es zu sagen: eS bedarf der Mäßigung und der Selbstbeherr¬<lb/>
schung bei den Parteien. Ich glaube, wir müssen uns der Behandlung einer<lb/>
jeden Frage enthalten, welche den Krieg in den Gemüthern entzünden kann.<lb/>
Ich bin überzeugt und ich sage es jedermann, baß jede Maßregel, welche ge¬<lb/>
deutet werden kaun, als solle sie die Suprematie einer Meinung über die<lb/>
andere feststellen, eine Gefahr ist. Unter den Verhältnissen, in denen wir<lb/>
uns befinden, hat die Mehrheit der Kammer, deren Wünsche als die der Ma¬<lb/>
jorität mir Führer sind und sein müssen, eine edle Stellung, eine Stellung,<lb/>
wie sie einer großen Partei würdig ist, einzunehmen. Ich gebe ihr den Rath,<lb/>
wie Sie es ihr vorschlagen werden, auf die Fortsetzung der Discussion über<lb/>
das Wohlthätigkeitögesetz zu verzichten."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1360" next="#ID_1361"> Wir haben bereits bemerkt, daß, während der einen Partei die Heim¬<lb/>
sendung der Kammern als ein weises Nachgeben gegen die öffentliche Mei¬<lb/>
nung erschien (die wir beiläufig nicht in den Straßenementen, wol aber in<lb/>
den Hunderten und aber Hunderten von Adressen sehen, welche aus Stadt<lb/>
und Land einliefen), die andere Partei darin nur ein Zurückweichen der Ne¬<lb/>
gierung vor vernunft- und willenlosen Gesinde!, ein Aufhören der königlichen<lb/>
Autorität vor revolutionären Mächten, einen Beweis der durchgängigen Hohl¬<lb/>
heit des constitutionellen Lebens in Belgien erblickte. Die gesammte euro¬<lb/>
päische Reaction klatschte Beifall dazu. Es war aber eben nur eine Partei-<lb/>
anstcht, und zwar eine ziemlich bornirte. Es gibt in diesen Vorkommnissen<lb/>
(die Straßentumulle selbstverständlich ausgenommen) durchaus nichts, was<lb/>
nicht vollkommen constitutionell und normal, was nicht den parlamentarischen<lb/>
Regeln und Gebräuchen gemäß wäre. Die Rechte der parlamentarischen Ma¬<lb/>
jorität, der Majorität, welche in gesetzgemäßer Weise den Willen des Landes<lb/>
vertrat, blieben trotz der Mißstimmung, die ihre Haltung erweckt, vollkommen<lb/>
aufrecht erhalten. Sobald die Kammer wieder zusammenkam, war sie im un-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grcnzbvten IV!</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0505] „Ich will keineswegs ein Urtheil über den Gesetzentwurf abgeben" — sagte der König, nachdem er die Vertagung der Discussion gut geheißen — „ich würde nie zugestimmt haben, in unserer Legislative einem Gesetz einen Platz einzuräumen, das die traurigen Wirkungen hätte haben können, die man befürchtet, aber ich nehme wie Sie aus den Eindruck Rücksicht, der sich bei dieser 'Gelegenheit bei einem großen Theil der Bevölkerung kundgegeben hat. In den Ländern, die sich selbst mit ihren Angelegenheiten beschäftigen, gibt es jene raschen ansteckenden Erregungen, die mit einer leichter sich offenbaren¬ den als zu erklärenden Intensität sich fortpflanzen, und mit denen es verstän¬ diger ist, ein Uebereinkommen zu treffen, als viel darüber zu reden. Die freien Institutionen Belgiens sind 26 Jahre hindurch mit bewundernswerther Regelmäßigkeit in Wirksamkeit gewesen. Was muß geschehen, damit sie in Zukunft mit demselben Erfolg, derselben Ordnung zu wirken fortfahren? Ich stehe nicht an, es zu sagen: eS bedarf der Mäßigung und der Selbstbeherr¬ schung bei den Parteien. Ich glaube, wir müssen uns der Behandlung einer jeden Frage enthalten, welche den Krieg in den Gemüthern entzünden kann. Ich bin überzeugt und ich sage es jedermann, baß jede Maßregel, welche ge¬ deutet werden kaun, als solle sie die Suprematie einer Meinung über die andere feststellen, eine Gefahr ist. Unter den Verhältnissen, in denen wir uns befinden, hat die Mehrheit der Kammer, deren Wünsche als die der Ma¬ jorität mir Führer sind und sein müssen, eine edle Stellung, eine Stellung, wie sie einer großen Partei würdig ist, einzunehmen. Ich gebe ihr den Rath, wie Sie es ihr vorschlagen werden, auf die Fortsetzung der Discussion über das Wohlthätigkeitögesetz zu verzichten." Wir haben bereits bemerkt, daß, während der einen Partei die Heim¬ sendung der Kammern als ein weises Nachgeben gegen die öffentliche Mei¬ nung erschien (die wir beiläufig nicht in den Straßenementen, wol aber in den Hunderten und aber Hunderten von Adressen sehen, welche aus Stadt und Land einliefen), die andere Partei darin nur ein Zurückweichen der Ne¬ gierung vor vernunft- und willenlosen Gesinde!, ein Aufhören der königlichen Autorität vor revolutionären Mächten, einen Beweis der durchgängigen Hohl¬ heit des constitutionellen Lebens in Belgien erblickte. Die gesammte euro¬ päische Reaction klatschte Beifall dazu. Es war aber eben nur eine Partei- anstcht, und zwar eine ziemlich bornirte. Es gibt in diesen Vorkommnissen (die Straßentumulle selbstverständlich ausgenommen) durchaus nichts, was nicht vollkommen constitutionell und normal, was nicht den parlamentarischen Regeln und Gebräuchen gemäß wäre. Die Rechte der parlamentarischen Ma¬ jorität, der Majorität, welche in gesetzgemäßer Weise den Willen des Landes vertrat, blieben trotz der Mißstimmung, die ihre Haltung erweckt, vollkommen aufrecht erhalten. Sobald die Kammer wieder zusammenkam, war sie im un- Grcnzbvten IV!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/505
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/505>, abgerufen am 23.07.2024.