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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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seine Vortrage, die durch ihre phantastischen Sprünge einige sogenannte geist¬
reiche junge Leute gewannen, durch eine Rede über die Freiheit der Intelligenz.
Es ist für d'as Christenthum, wie es damals in die Mode kam, bezeichnend,
daß dem Schüler Jacob Böhmes so manche Wohldenkende ihre religiöse Er¬
weckung verdanken wollten. Die interessantesten Vorlesungen mögen die über Jacob
Böhme gewesen sein, über die Gnadenwahl 1829 und über das UMsrlum
magnum 1832. Er hatte nach der Erzählung seines Biographen stets ein Studien¬
büchlein bei sich, in welches er unterwegs, wo es sich schicklich thun ließ, mit
Bleistift die zuströmenden Gedanken eintrug. Sein stets lebendiger Geist machte
ihm Mittheilung an andere zum unbesiegbaren Bedürfniß, und besonders gern
sah er sich von Jünglingen umgeben, gegen die er unerschöpflich in der Mit¬
theilung war. Der Drang nach Mittheilung war so groß in ihm, daß er
gelegentlich seine Gedanken auch Leuten, von denen er wissen konnte, daß sie
ihn nicht verstehen würden, mit größter Lebhaftigkeit und der ganzen Energie
seines Wesens vortrug. Er nahm an jeder neuen Erscheinung lebhaften An¬
theil, polemistrte sowol gegen Schelling als gegen Hegel und wurde am hef¬
tigsten durch die Straußfeder Werke aufgeregt: hauptsächlich wie es scheint,
wegen der zahlreichen Auflagen seiner Schriften, während sich für Jacob Böhme
kein Käufer fand. Die kölner Wirren reizten ihn noch einmal zu einem ener¬
gischen Auftreten; er schrieb unter andern 1838 über die Trennbarkeit oder
Untrennbarkeit des Papstthums vom Katholicismus, 1839 über die Thunlich-
keit oder Nichtthunlichkeit einer Emancipation deS Katholicismus von der rö¬
mischen Dictatur in Bezug auf Religionswissenschaft, 1841 über den morgen¬
ländischen und abendländischen Katholicismus. Nach seiner Art wandte er sich
auch hier an die Monarchen, er schickte an den König von Preußen und den
Kaiser von Rußland Memoriale, in denen er dieselben aufforderte, allen Ver¬
suchen ihrer katholischen Unterthanen, sich von Rom zu trennen, hilfreiche Hand
zu leisten. Der Herausgeber wundert sich, daß diese Versuche, die innerhalb
der katholischen Kirche große Entrüstung erregten, von den Protestanten gar
nicht beachtet wurden; wir finden das vielmehr ganz in der Ordnung, denn
unsere Lehre beruht auf sittlichen Ideen, und wie feindlich wir der römischen
Hierarchie gegenüberstehn, eine ethische Doctrin, die sich auf eine verdrehte
Physik und auf eine wilde Magie gründet, und die sich hauptsächlich über
die Jncarnation des Teufels Gedanken macht, muß uns noch viel verhaßter
sein. Uebrigens widersprach Baader mit diesen Ansichten keineswegs seiner
Vergangenheit: daß der Katholicismus vom Papstthum unabhängig sei, hatte
er schon 1816 gelegentlich behauptet.

Baader starb 18L0; er hatte sich kurz vorher zum zweiten Mal verheiratet.
Der Priester, der ihm die letzten Sacramente ertheilte, hielt es für seine Pflicht,
ihn zum Widerruf zu veranlassen, er ist aber so verständig, auf diesen Umstand


seine Vortrage, die durch ihre phantastischen Sprünge einige sogenannte geist¬
reiche junge Leute gewannen, durch eine Rede über die Freiheit der Intelligenz.
Es ist für d'as Christenthum, wie es damals in die Mode kam, bezeichnend,
daß dem Schüler Jacob Böhmes so manche Wohldenkende ihre religiöse Er¬
weckung verdanken wollten. Die interessantesten Vorlesungen mögen die über Jacob
Böhme gewesen sein, über die Gnadenwahl 1829 und über das UMsrlum
magnum 1832. Er hatte nach der Erzählung seines Biographen stets ein Studien¬
büchlein bei sich, in welches er unterwegs, wo es sich schicklich thun ließ, mit
Bleistift die zuströmenden Gedanken eintrug. Sein stets lebendiger Geist machte
ihm Mittheilung an andere zum unbesiegbaren Bedürfniß, und besonders gern
sah er sich von Jünglingen umgeben, gegen die er unerschöpflich in der Mit¬
theilung war. Der Drang nach Mittheilung war so groß in ihm, daß er
gelegentlich seine Gedanken auch Leuten, von denen er wissen konnte, daß sie
ihn nicht verstehen würden, mit größter Lebhaftigkeit und der ganzen Energie
seines Wesens vortrug. Er nahm an jeder neuen Erscheinung lebhaften An¬
theil, polemistrte sowol gegen Schelling als gegen Hegel und wurde am hef¬
tigsten durch die Straußfeder Werke aufgeregt: hauptsächlich wie es scheint,
wegen der zahlreichen Auflagen seiner Schriften, während sich für Jacob Böhme
kein Käufer fand. Die kölner Wirren reizten ihn noch einmal zu einem ener¬
gischen Auftreten; er schrieb unter andern 1838 über die Trennbarkeit oder
Untrennbarkeit des Papstthums vom Katholicismus, 1839 über die Thunlich-
keit oder Nichtthunlichkeit einer Emancipation deS Katholicismus von der rö¬
mischen Dictatur in Bezug auf Religionswissenschaft, 1841 über den morgen¬
ländischen und abendländischen Katholicismus. Nach seiner Art wandte er sich
auch hier an die Monarchen, er schickte an den König von Preußen und den
Kaiser von Rußland Memoriale, in denen er dieselben aufforderte, allen Ver¬
suchen ihrer katholischen Unterthanen, sich von Rom zu trennen, hilfreiche Hand
zu leisten. Der Herausgeber wundert sich, daß diese Versuche, die innerhalb
der katholischen Kirche große Entrüstung erregten, von den Protestanten gar
nicht beachtet wurden; wir finden das vielmehr ganz in der Ordnung, denn
unsere Lehre beruht auf sittlichen Ideen, und wie feindlich wir der römischen
Hierarchie gegenüberstehn, eine ethische Doctrin, die sich auf eine verdrehte
Physik und auf eine wilde Magie gründet, und die sich hauptsächlich über
die Jncarnation des Teufels Gedanken macht, muß uns noch viel verhaßter
sein. Uebrigens widersprach Baader mit diesen Ansichten keineswegs seiner
Vergangenheit: daß der Katholicismus vom Papstthum unabhängig sei, hatte
er schon 1816 gelegentlich behauptet.

Baader starb 18L0; er hatte sich kurz vorher zum zweiten Mal verheiratet.
Der Priester, der ihm die letzten Sacramente ertheilte, hielt es für seine Pflicht,
ihn zum Widerruf zu veranlassen, er ist aber so verständig, auf diesen Umstand


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[0477] seine Vortrage, die durch ihre phantastischen Sprünge einige sogenannte geist¬ reiche junge Leute gewannen, durch eine Rede über die Freiheit der Intelligenz. Es ist für d'as Christenthum, wie es damals in die Mode kam, bezeichnend, daß dem Schüler Jacob Böhmes so manche Wohldenkende ihre religiöse Er¬ weckung verdanken wollten. Die interessantesten Vorlesungen mögen die über Jacob Böhme gewesen sein, über die Gnadenwahl 1829 und über das UMsrlum magnum 1832. Er hatte nach der Erzählung seines Biographen stets ein Studien¬ büchlein bei sich, in welches er unterwegs, wo es sich schicklich thun ließ, mit Bleistift die zuströmenden Gedanken eintrug. Sein stets lebendiger Geist machte ihm Mittheilung an andere zum unbesiegbaren Bedürfniß, und besonders gern sah er sich von Jünglingen umgeben, gegen die er unerschöpflich in der Mit¬ theilung war. Der Drang nach Mittheilung war so groß in ihm, daß er gelegentlich seine Gedanken auch Leuten, von denen er wissen konnte, daß sie ihn nicht verstehen würden, mit größter Lebhaftigkeit und der ganzen Energie seines Wesens vortrug. Er nahm an jeder neuen Erscheinung lebhaften An¬ theil, polemistrte sowol gegen Schelling als gegen Hegel und wurde am hef¬ tigsten durch die Straußfeder Werke aufgeregt: hauptsächlich wie es scheint, wegen der zahlreichen Auflagen seiner Schriften, während sich für Jacob Böhme kein Käufer fand. Die kölner Wirren reizten ihn noch einmal zu einem ener¬ gischen Auftreten; er schrieb unter andern 1838 über die Trennbarkeit oder Untrennbarkeit des Papstthums vom Katholicismus, 1839 über die Thunlich- keit oder Nichtthunlichkeit einer Emancipation deS Katholicismus von der rö¬ mischen Dictatur in Bezug auf Religionswissenschaft, 1841 über den morgen¬ ländischen und abendländischen Katholicismus. Nach seiner Art wandte er sich auch hier an die Monarchen, er schickte an den König von Preußen und den Kaiser von Rußland Memoriale, in denen er dieselben aufforderte, allen Ver¬ suchen ihrer katholischen Unterthanen, sich von Rom zu trennen, hilfreiche Hand zu leisten. Der Herausgeber wundert sich, daß diese Versuche, die innerhalb der katholischen Kirche große Entrüstung erregten, von den Protestanten gar nicht beachtet wurden; wir finden das vielmehr ganz in der Ordnung, denn unsere Lehre beruht auf sittlichen Ideen, und wie feindlich wir der römischen Hierarchie gegenüberstehn, eine ethische Doctrin, die sich auf eine verdrehte Physik und auf eine wilde Magie gründet, und die sich hauptsächlich über die Jncarnation des Teufels Gedanken macht, muß uns noch viel verhaßter sein. Uebrigens widersprach Baader mit diesen Ansichten keineswegs seiner Vergangenheit: daß der Katholicismus vom Papstthum unabhängig sei, hatte er schon 1816 gelegentlich behauptet. Baader starb 18L0; er hatte sich kurz vorher zum zweiten Mal verheiratet. Der Priester, der ihm die letzten Sacramente ertheilte, hielt es für seine Pflicht, ihn zum Widerruf zu veranlassen, er ist aber so verständig, auf diesen Umstand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/477>, abgerufen am 23.07.2024.