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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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(18M, S. 91.) die Sache behandelt. ,,Das Problem, welches im 16. Jahrh
bereits für die Kirche hätte gelöst werden sollen, war jenes der Firirung einer
neuen Stufe ihrer intellectuellen Fortbildung, vermöge welcher sie, unbeschadet
ihrer Universalität, das reger gewordene, treibende oder sogenannte freie Ele¬
ment organisch tiefer binden, und somit zu ihrem kräftigeren Fortwuchö als
Triebkraft sich sichern sollte. Denn die Kirche kann und soll dieselbe bleiben
und doch frei sich fortbilden, so wie jedes organische Individuum fortwächst,
und nur wenn das treibende Element von dem erhaltenden sich selbstisch erhe¬
bend trennt, wirkt selbes zerstörend auf letzteres, welches sodann gleichfalls
nicht mehr erhaltend, sondern aufhaltend wirkt, dem Verwesungotrieb den der
Versteinerung entgegensetzend. Wenn aber dies Problem für die Kirche im
16. Jahrhundert nicht gelöst ward und bis jetzt ungelöst blieb, so darf man
darum doch an seiner Lösbarkeit nicht verzweifeln, ja man muß sich von der
in unsern Zeiten dringender gewordenen Nothwendigkeit der Lösung überzeu¬
gen . . Der Jacobiner hat seinen Zweck erreicht, wenn er glauben gemacht
hat, daß die bestehende legitime Souveränetät die legitime Freiheit des Volks
nicht begründe, sondern sie hemme, so wie der Feind der Kirche seiiun Zweck
erreicht hat, wen" er glauben macht, daß diese Kirche ein der Entwicklung der
Intelligenz feindliches, nicht selbe begründendes Institut sei. Wogegen nichts
gewisser ist, als daß Religion, Wissenschaft und Kunst ursprünglich Hand in
Hand gingen, und daß nur unsere moderne falsche Aufklärung sie trennte und
in ihrer Trennung verderbte."*)

Bei seiner Rückkehr aus Nußland fand Baader seine Angelegenheiten in
der heillosesten Verwirrung, und sie wurden erst wieder regulirt, als er 1826
bei der Verlegung der Universität von Landshut nach München eine Stelle
an derselben erhielt. München wurde nun ver Mittelpunkt der Naturphilo¬
sophie, oder um uns deutsch auszudrücken, deS unter anscheinend wissenschaftlicher
Form docirten Aberglaubens. Schelling, der übrigens erst im folgenden
Jahr ans seinem erlanger Stillleben in München ankam, und der schon vor
einigen Jahren mit Baader vollständig gebrochen hatte, Görres, Oken,
Schubert und die übrigen Jünger der Mystik, fanden hier einen geeigneten
Schauplatz für ihre Wirksamkeit, und aus Frankreich und andern Ländern
strömten die Apostel des neuen pantheistischen Christenthums herbei, um aus
dieser reichen Quelle verschollener Wunderlehren zu schöpfen. Baader eröffnete



litem mit den protestantischen Waffen ihre Sache vertheidigen. Er meint die Waffen der In¬
telligenz, welche somit das Monopol der Protestanten bleiben soll. Wenn nun schon leider
ein großer Theil des katholischen Klerus einfältig genug ist, zu meinen, daß die Wissenschaft
selber protestantisch sei, und wenn es schon dahin gekommen ist, daß die Akademie und die
Universität 6s taeto zu protestantischen Instituten geworden sind, so darf ich doch hoffen, daß
S. Maj. und Ew. Excellenz n. s. w." --
") Das Weitere vergl. S. 76---101.

(18M, S. 91.) die Sache behandelt. ,,Das Problem, welches im 16. Jahrh
bereits für die Kirche hätte gelöst werden sollen, war jenes der Firirung einer
neuen Stufe ihrer intellectuellen Fortbildung, vermöge welcher sie, unbeschadet
ihrer Universalität, das reger gewordene, treibende oder sogenannte freie Ele¬
ment organisch tiefer binden, und somit zu ihrem kräftigeren Fortwuchö als
Triebkraft sich sichern sollte. Denn die Kirche kann und soll dieselbe bleiben
und doch frei sich fortbilden, so wie jedes organische Individuum fortwächst,
und nur wenn das treibende Element von dem erhaltenden sich selbstisch erhe¬
bend trennt, wirkt selbes zerstörend auf letzteres, welches sodann gleichfalls
nicht mehr erhaltend, sondern aufhaltend wirkt, dem Verwesungotrieb den der
Versteinerung entgegensetzend. Wenn aber dies Problem für die Kirche im
16. Jahrhundert nicht gelöst ward und bis jetzt ungelöst blieb, so darf man
darum doch an seiner Lösbarkeit nicht verzweifeln, ja man muß sich von der
in unsern Zeiten dringender gewordenen Nothwendigkeit der Lösung überzeu¬
gen . . Der Jacobiner hat seinen Zweck erreicht, wenn er glauben gemacht
hat, daß die bestehende legitime Souveränetät die legitime Freiheit des Volks
nicht begründe, sondern sie hemme, so wie der Feind der Kirche seiiun Zweck
erreicht hat, wen» er glauben macht, daß diese Kirche ein der Entwicklung der
Intelligenz feindliches, nicht selbe begründendes Institut sei. Wogegen nichts
gewisser ist, als daß Religion, Wissenschaft und Kunst ursprünglich Hand in
Hand gingen, und daß nur unsere moderne falsche Aufklärung sie trennte und
in ihrer Trennung verderbte."*)

Bei seiner Rückkehr aus Nußland fand Baader seine Angelegenheiten in
der heillosesten Verwirrung, und sie wurden erst wieder regulirt, als er 1826
bei der Verlegung der Universität von Landshut nach München eine Stelle
an derselben erhielt. München wurde nun ver Mittelpunkt der Naturphilo¬
sophie, oder um uns deutsch auszudrücken, deS unter anscheinend wissenschaftlicher
Form docirten Aberglaubens. Schelling, der übrigens erst im folgenden
Jahr ans seinem erlanger Stillleben in München ankam, und der schon vor
einigen Jahren mit Baader vollständig gebrochen hatte, Görres, Oken,
Schubert und die übrigen Jünger der Mystik, fanden hier einen geeigneten
Schauplatz für ihre Wirksamkeit, und aus Frankreich und andern Ländern
strömten die Apostel des neuen pantheistischen Christenthums herbei, um aus
dieser reichen Quelle verschollener Wunderlehren zu schöpfen. Baader eröffnete



litem mit den protestantischen Waffen ihre Sache vertheidigen. Er meint die Waffen der In¬
telligenz, welche somit das Monopol der Protestanten bleiben soll. Wenn nun schon leider
ein großer Theil des katholischen Klerus einfältig genug ist, zu meinen, daß die Wissenschaft
selber protestantisch sei, und wenn es schon dahin gekommen ist, daß die Akademie und die
Universität 6s taeto zu protestantischen Instituten geworden sind, so darf ich doch hoffen, daß
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") Das Weitere vergl. S. 76—-101.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/476>, abgerufen am 23.07.2024.