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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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nach Se. Petersburg vorläufig aufzugeben, und das Weitere auf dem Gut
seines Freundes abzuwarten. "Ich kenne daS dämonische Netz nicht, das mich,
seit ich den Norden betrat, unsichtbar aber sehr fühlbar umstrickt." Bald dar¬
auf wurde er aus Rußland ausgewiesen, und wartete bis zum September
1823 in Memel weitere Entschließungen der russischen Regierung ab, immer
noch in der Hoffnung, daß die Sache sich aufklären werde. Dann aber wurde
er von der Polizei auch aus Memel entfernt, und begab sich nach Berlin,
wo er sich gegen acht Monate aufhielt, und namentlich mit Hegel und Varn-
hagen verkehrte. Die russische Angelegenheit erledigte sich dadurch, daß mit
der Einlassung des Fürsten Galyzin, 27. Mai 1824, Baader seine Corresvon-
dentenstelle und die damit verbundenen Emolumente verlor. Die Verlegen¬
heiten, in die er dadurch geriet!), ertrug er nach Varnhagens Bericht mit leid¬
licher Gelassenheit. Mittlerweile suchte er in Beziehung aus sein neues Chri¬
stenthum mit Preußen anzuknüpfen. Er reichte dem König am 23. März 182l-
eim Memorial ein, worin er auf daS Mißverhältniß aufmerksam machte,
welches zwischen den Lehrvorträgen der Universitäten und den alten, aber nie
veraltenden Neligionsdogmen bestehe. "Was die Beachtung dieses Mi߬
verhältnisses von Seite des Staats dermalen besonders nöthig macht, ist die
innere Affinität oder vielmehr Identität des die Kirche zu revolutioniren dro¬
henden Geistes mit jenem, welcher noch vor Kurzem die christlichen Staaten
bedrohte. ES ist nämlich dahin gekommen, daß evangelisch bestellte Gottes¬
gelehrte, sich von der Autorität aller Evangelien und aller Offenbarung über¬
sinnlicher oder ewiger Dinge lossagend, den empfangenen und ihnen zur Be¬
wahrung anvertrauten kirchlichen Lehrbegriff nicht als solchen, sondern für
etwas Unfertiges, Problematisches erklärten, ja diese ewige Unfertigkeit und
Lehrbegriffslosigkeit der Kirche als das Wesen der protestantischen Kirche auf¬
stellten, ganz in demselben Sinn, in welchem ihre Geistesverwandten auch den
Staat für etwas Unfertiges und erst zu Machendes früher erklärten; als ob
der echte Protestantismus ursprünglich etwas Anderes bezweckt hätte, als
Restauration deö allen evangelisch-katholischen Christenthums. . . Die prote¬
stantische Kirche ist folglich nach der Erklärung ihrer Lehrer selbst in revolutio¬
nären Zustand gekommen, und diese Kirchenlehrer erklären ihn selbst für per¬
manent. Würde nun aber diese Dissolution der Kirche noch länger gefördert
. . . so müßte eine, wenn schon vorübergehende Totalfinsternis; der himmlischen
Sonne des Christenthums eintreten, und es würde dasselbe sich ereignen, was
bei physischen Sonnenfinsternissen einzutreten pflegt, d. h. die Gestirne der
Nacht (das Heidenthum) würden wieder hervorschimmern, und sich in Wissen¬
schaft, Kunst, Religion und Staat wieder allein geltend zu machen streben."
Als Abhilfe schlägt er seine Philosophie vor. Altenstein, dem die Denkschrift
gegen Schleiermacher und Hegel gerichtet schien, legte sie einfach zu den Acten.


nach Se. Petersburg vorläufig aufzugeben, und das Weitere auf dem Gut
seines Freundes abzuwarten. „Ich kenne daS dämonische Netz nicht, das mich,
seit ich den Norden betrat, unsichtbar aber sehr fühlbar umstrickt." Bald dar¬
auf wurde er aus Rußland ausgewiesen, und wartete bis zum September
1823 in Memel weitere Entschließungen der russischen Regierung ab, immer
noch in der Hoffnung, daß die Sache sich aufklären werde. Dann aber wurde
er von der Polizei auch aus Memel entfernt, und begab sich nach Berlin,
wo er sich gegen acht Monate aufhielt, und namentlich mit Hegel und Varn-
hagen verkehrte. Die russische Angelegenheit erledigte sich dadurch, daß mit
der Einlassung des Fürsten Galyzin, 27. Mai 1824, Baader seine Corresvon-
dentenstelle und die damit verbundenen Emolumente verlor. Die Verlegen¬
heiten, in die er dadurch geriet!), ertrug er nach Varnhagens Bericht mit leid¬
licher Gelassenheit. Mittlerweile suchte er in Beziehung aus sein neues Chri¬
stenthum mit Preußen anzuknüpfen. Er reichte dem König am 23. März 182l-
eim Memorial ein, worin er auf daS Mißverhältniß aufmerksam machte,
welches zwischen den Lehrvorträgen der Universitäten und den alten, aber nie
veraltenden Neligionsdogmen bestehe. „Was die Beachtung dieses Mi߬
verhältnisses von Seite des Staats dermalen besonders nöthig macht, ist die
innere Affinität oder vielmehr Identität des die Kirche zu revolutioniren dro¬
henden Geistes mit jenem, welcher noch vor Kurzem die christlichen Staaten
bedrohte. ES ist nämlich dahin gekommen, daß evangelisch bestellte Gottes¬
gelehrte, sich von der Autorität aller Evangelien und aller Offenbarung über¬
sinnlicher oder ewiger Dinge lossagend, den empfangenen und ihnen zur Be¬
wahrung anvertrauten kirchlichen Lehrbegriff nicht als solchen, sondern für
etwas Unfertiges, Problematisches erklärten, ja diese ewige Unfertigkeit und
Lehrbegriffslosigkeit der Kirche als das Wesen der protestantischen Kirche auf¬
stellten, ganz in demselben Sinn, in welchem ihre Geistesverwandten auch den
Staat für etwas Unfertiges und erst zu Machendes früher erklärten; als ob
der echte Protestantismus ursprünglich etwas Anderes bezweckt hätte, als
Restauration deö allen evangelisch-katholischen Christenthums. . . Die prote¬
stantische Kirche ist folglich nach der Erklärung ihrer Lehrer selbst in revolutio¬
nären Zustand gekommen, und diese Kirchenlehrer erklären ihn selbst für per¬
manent. Würde nun aber diese Dissolution der Kirche noch länger gefördert
. . . so müßte eine, wenn schon vorübergehende Totalfinsternis; der himmlischen
Sonne des Christenthums eintreten, und es würde dasselbe sich ereignen, was
bei physischen Sonnenfinsternissen einzutreten pflegt, d. h. die Gestirne der
Nacht (das Heidenthum) würden wieder hervorschimmern, und sich in Wissen¬
schaft, Kunst, Religion und Staat wieder allein geltend zu machen streben."
Als Abhilfe schlägt er seine Philosophie vor. Altenstein, dem die Denkschrift
gegen Schleiermacher und Hegel gerichtet schien, legte sie einfach zu den Acten.


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[0474] nach Se. Petersburg vorläufig aufzugeben, und das Weitere auf dem Gut seines Freundes abzuwarten. „Ich kenne daS dämonische Netz nicht, das mich, seit ich den Norden betrat, unsichtbar aber sehr fühlbar umstrickt." Bald dar¬ auf wurde er aus Rußland ausgewiesen, und wartete bis zum September 1823 in Memel weitere Entschließungen der russischen Regierung ab, immer noch in der Hoffnung, daß die Sache sich aufklären werde. Dann aber wurde er von der Polizei auch aus Memel entfernt, und begab sich nach Berlin, wo er sich gegen acht Monate aufhielt, und namentlich mit Hegel und Varn- hagen verkehrte. Die russische Angelegenheit erledigte sich dadurch, daß mit der Einlassung des Fürsten Galyzin, 27. Mai 1824, Baader seine Corresvon- dentenstelle und die damit verbundenen Emolumente verlor. Die Verlegen¬ heiten, in die er dadurch geriet!), ertrug er nach Varnhagens Bericht mit leid¬ licher Gelassenheit. Mittlerweile suchte er in Beziehung aus sein neues Chri¬ stenthum mit Preußen anzuknüpfen. Er reichte dem König am 23. März 182l- eim Memorial ein, worin er auf daS Mißverhältniß aufmerksam machte, welches zwischen den Lehrvorträgen der Universitäten und den alten, aber nie veraltenden Neligionsdogmen bestehe. „Was die Beachtung dieses Mi߬ verhältnisses von Seite des Staats dermalen besonders nöthig macht, ist die innere Affinität oder vielmehr Identität des die Kirche zu revolutioniren dro¬ henden Geistes mit jenem, welcher noch vor Kurzem die christlichen Staaten bedrohte. ES ist nämlich dahin gekommen, daß evangelisch bestellte Gottes¬ gelehrte, sich von der Autorität aller Evangelien und aller Offenbarung über¬ sinnlicher oder ewiger Dinge lossagend, den empfangenen und ihnen zur Be¬ wahrung anvertrauten kirchlichen Lehrbegriff nicht als solchen, sondern für etwas Unfertiges, Problematisches erklärten, ja diese ewige Unfertigkeit und Lehrbegriffslosigkeit der Kirche als das Wesen der protestantischen Kirche auf¬ stellten, ganz in demselben Sinn, in welchem ihre Geistesverwandten auch den Staat für etwas Unfertiges und erst zu Machendes früher erklärten; als ob der echte Protestantismus ursprünglich etwas Anderes bezweckt hätte, als Restauration deö allen evangelisch-katholischen Christenthums. . . Die prote¬ stantische Kirche ist folglich nach der Erklärung ihrer Lehrer selbst in revolutio¬ nären Zustand gekommen, und diese Kirchenlehrer erklären ihn selbst für per¬ manent. Würde nun aber diese Dissolution der Kirche noch länger gefördert . . . so müßte eine, wenn schon vorübergehende Totalfinsternis; der himmlischen Sonne des Christenthums eintreten, und es würde dasselbe sich ereignen, was bei physischen Sonnenfinsternissen einzutreten pflegt, d. h. die Gestirne der Nacht (das Heidenthum) würden wieder hervorschimmern, und sich in Wissen¬ schaft, Kunst, Religion und Staat wieder allein geltend zu machen streben." Als Abhilfe schlägt er seine Philosophie vor. Altenstein, dem die Denkschrift gegen Schleiermacher und Hegel gerichtet schien, legte sie einfach zu den Acten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/474>, abgerufen am 23.07.2024.