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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Bedenken auszubeuten, um für die wissenschaftliche Freiheit gegen die "Pfaffen"
zu donnern. Mittlerweile wurden durch den großen Freiheitskampf alle Ver¬
hältnisse in Deutschland umgestaltet. Baader, der mit dem östreichischen Gesand¬
ten Appounyi Verkehr gehabt, wurde bei seiner Regierung verdächtigt, demselben
eine Liste der französisch Gesinnten übergeben zu haben, wie eS scheint ohne
Grund; daß er übrigens auf eine große politische Wirksamkeit ausgehe, leug¬
nete er nicht. Im Sommer 181i richtete er drei gleichlautende Schreiben an
die Monarchen der heiligen Alliance, die Kaiser von Oestreich und Rußland
und den König von Preußen, worin er die Ideen aussprach, welche er 1813
in der Schrift über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürf¬
niß einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik der
Oeffentlichkeit übergab. Da Oestreich und Preußen kalt blieben, widmete er
diese Schrift dem russischen Cultusminister Fürst Galyzin, mir dem er bald
darauf in nähere Verbindung trat. Er übernahm sür ihn, wie er sich selbst
ausdrückt, das Amt eines literarischen Konsuls d. h. die Berichterstattung über
deutsche Culturzustände, wofür er ein ansehnliches Gehalt bezog, kurz dieselbe
Stelle, die sür Kotzebue einen so tragischen Ausgang hatte. Er konnte diesem
Amt um so eifriger obliegen, da 1820 die bairische Regierung ihn und seinen
Bruder, obgleich mit Beibehaltung ihres Gehaltes, aus ihrer amtlichen Stellung
entließ. Die Gründe davon werden uns nicht angegeben. Von seinen russi¬
schen Beziehungen versprach er sich sehr viel für die Wiedererweckung des
Christenthums und diese Hoffnungen steigerten sich noch, als ihn im März
1822 der liefländische Baron Urkull, der Freund und Schüler Hegels,
mit Empfehlungsbriefen von Rahel versehn, in Schwabing besuchte,
und sich als den geeigneten Träger darstellte, die geläuterte deutsche
Philosophie in Rußland einzuführen. Rahel und Varnhagen hatte er
im Juli 1821 in Teplitz kennen gelernt, und durch seine große Belesenheit
in den Mystikern und Kirchenvätern, wie durch seine geistreichen Einfälle
großen Eindruck auf sie gemacht. Als er mit ihnen und Urkull im Herbst
1822 wieder in Teplitz z-usammeukam, reifte in ihm die Idee, durch eine Reise
nach Rußland mit Urkull die Kirche der Zukunft, die von den Gelehrten und
der Philosophie ausgehend, womöglich alle christlichen Confessionen im geläu¬
terten Sinn vereinigen sollte, vorzubereiten. In diesem Sinn richtete er ein
Entlassungsgesuch an die Münchener Akademie und begab sich gleich darauf auf
die Reise. Zwar gehörte sein Gönner, Fürst Galyzin, der pietistischen Richtung
an, die Baader als der erscheinenden Kirche und dem wissenschaftlichen Fort¬
schritt gleichmäßig feind bekämpfte/) aber seine religiöse Gesinnung schien ihm



") "Auch mit den so sich nennenden Frommen werde ich 'es in diesem Heft l?erwont"
eognitioms, ü^) verdorben habe", weil ich mich gegen den flachen sentimentalen Pietismus
unsrer Zeit erkläre, von dem es den Anschein hat, als habe sich die Religiosität der Borney-

Bedenken auszubeuten, um für die wissenschaftliche Freiheit gegen die „Pfaffen"
zu donnern. Mittlerweile wurden durch den großen Freiheitskampf alle Ver¬
hältnisse in Deutschland umgestaltet. Baader, der mit dem östreichischen Gesand¬
ten Appounyi Verkehr gehabt, wurde bei seiner Regierung verdächtigt, demselben
eine Liste der französisch Gesinnten übergeben zu haben, wie eS scheint ohne
Grund; daß er übrigens auf eine große politische Wirksamkeit ausgehe, leug¬
nete er nicht. Im Sommer 181i richtete er drei gleichlautende Schreiben an
die Monarchen der heiligen Alliance, die Kaiser von Oestreich und Rußland
und den König von Preußen, worin er die Ideen aussprach, welche er 1813
in der Schrift über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürf¬
niß einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik der
Oeffentlichkeit übergab. Da Oestreich und Preußen kalt blieben, widmete er
diese Schrift dem russischen Cultusminister Fürst Galyzin, mir dem er bald
darauf in nähere Verbindung trat. Er übernahm sür ihn, wie er sich selbst
ausdrückt, das Amt eines literarischen Konsuls d. h. die Berichterstattung über
deutsche Culturzustände, wofür er ein ansehnliches Gehalt bezog, kurz dieselbe
Stelle, die sür Kotzebue einen so tragischen Ausgang hatte. Er konnte diesem
Amt um so eifriger obliegen, da 1820 die bairische Regierung ihn und seinen
Bruder, obgleich mit Beibehaltung ihres Gehaltes, aus ihrer amtlichen Stellung
entließ. Die Gründe davon werden uns nicht angegeben. Von seinen russi¬
schen Beziehungen versprach er sich sehr viel für die Wiedererweckung des
Christenthums und diese Hoffnungen steigerten sich noch, als ihn im März
1822 der liefländische Baron Urkull, der Freund und Schüler Hegels,
mit Empfehlungsbriefen von Rahel versehn, in Schwabing besuchte,
und sich als den geeigneten Träger darstellte, die geläuterte deutsche
Philosophie in Rußland einzuführen. Rahel und Varnhagen hatte er
im Juli 1821 in Teplitz kennen gelernt, und durch seine große Belesenheit
in den Mystikern und Kirchenvätern, wie durch seine geistreichen Einfälle
großen Eindruck auf sie gemacht. Als er mit ihnen und Urkull im Herbst
1822 wieder in Teplitz z-usammeukam, reifte in ihm die Idee, durch eine Reise
nach Rußland mit Urkull die Kirche der Zukunft, die von den Gelehrten und
der Philosophie ausgehend, womöglich alle christlichen Confessionen im geläu¬
terten Sinn vereinigen sollte, vorzubereiten. In diesem Sinn richtete er ein
Entlassungsgesuch an die Münchener Akademie und begab sich gleich darauf auf
die Reise. Zwar gehörte sein Gönner, Fürst Galyzin, der pietistischen Richtung
an, die Baader als der erscheinenden Kirche und dem wissenschaftlichen Fort¬
schritt gleichmäßig feind bekämpfte/) aber seine religiöse Gesinnung schien ihm



") „Auch mit den so sich nennenden Frommen werde ich 'es in diesem Heft l?erwont»
eognitioms, ü^) verdorben habe», weil ich mich gegen den flachen sentimentalen Pietismus
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[0472] Bedenken auszubeuten, um für die wissenschaftliche Freiheit gegen die „Pfaffen" zu donnern. Mittlerweile wurden durch den großen Freiheitskampf alle Ver¬ hältnisse in Deutschland umgestaltet. Baader, der mit dem östreichischen Gesand¬ ten Appounyi Verkehr gehabt, wurde bei seiner Regierung verdächtigt, demselben eine Liste der französisch Gesinnten übergeben zu haben, wie eS scheint ohne Grund; daß er übrigens auf eine große politische Wirksamkeit ausgehe, leug¬ nete er nicht. Im Sommer 181i richtete er drei gleichlautende Schreiben an die Monarchen der heiligen Alliance, die Kaiser von Oestreich und Rußland und den König von Preußen, worin er die Ideen aussprach, welche er 1813 in der Schrift über das durch die französische Revolution herbeigeführte Bedürf¬ niß einer neuen und innigeren Verbindung der Religion mit der Politik der Oeffentlichkeit übergab. Da Oestreich und Preußen kalt blieben, widmete er diese Schrift dem russischen Cultusminister Fürst Galyzin, mir dem er bald darauf in nähere Verbindung trat. Er übernahm sür ihn, wie er sich selbst ausdrückt, das Amt eines literarischen Konsuls d. h. die Berichterstattung über deutsche Culturzustände, wofür er ein ansehnliches Gehalt bezog, kurz dieselbe Stelle, die sür Kotzebue einen so tragischen Ausgang hatte. Er konnte diesem Amt um so eifriger obliegen, da 1820 die bairische Regierung ihn und seinen Bruder, obgleich mit Beibehaltung ihres Gehaltes, aus ihrer amtlichen Stellung entließ. Die Gründe davon werden uns nicht angegeben. Von seinen russi¬ schen Beziehungen versprach er sich sehr viel für die Wiedererweckung des Christenthums und diese Hoffnungen steigerten sich noch, als ihn im März 1822 der liefländische Baron Urkull, der Freund und Schüler Hegels, mit Empfehlungsbriefen von Rahel versehn, in Schwabing besuchte, und sich als den geeigneten Träger darstellte, die geläuterte deutsche Philosophie in Rußland einzuführen. Rahel und Varnhagen hatte er im Juli 1821 in Teplitz kennen gelernt, und durch seine große Belesenheit in den Mystikern und Kirchenvätern, wie durch seine geistreichen Einfälle großen Eindruck auf sie gemacht. Als er mit ihnen und Urkull im Herbst 1822 wieder in Teplitz z-usammeukam, reifte in ihm die Idee, durch eine Reise nach Rußland mit Urkull die Kirche der Zukunft, die von den Gelehrten und der Philosophie ausgehend, womöglich alle christlichen Confessionen im geläu¬ terten Sinn vereinigen sollte, vorzubereiten. In diesem Sinn richtete er ein Entlassungsgesuch an die Münchener Akademie und begab sich gleich darauf auf die Reise. Zwar gehörte sein Gönner, Fürst Galyzin, der pietistischen Richtung an, die Baader als der erscheinenden Kirche und dem wissenschaftlichen Fort¬ schritt gleichmäßig feind bekämpfte/) aber seine religiöse Gesinnung schien ihm ") „Auch mit den so sich nennenden Frommen werde ich 'es in diesem Heft l?erwont» eognitioms, ü^) verdorben habe», weil ich mich gegen den flachen sentimentalen Pietismus unsrer Zeit erkläre, von dem es den Anschein hat, als habe sich die Religiosität der Borney-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/472>, abgerufen am 23.07.2024.