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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Ritter des Verdienstordens, womit der persönliche und erbliche Adel verbunden
war. Durch seine Erfindung, das Glaubersalz zur Glasfabrik anzuwenden
(man athmet auf, wenn man diesem prosaischen Geschäft mitten in seiner über¬
schwenglichen Mystik begegnet), vergrößerte er seine Einnahmen nicht unbeveu-
tend und baute noch kühnere Hoffnungen darauf. 1812 kaufte er das Gut
Schwabing bei München, wo er von da an bis 1832 mit seiner Familie
wohnte. -- Die Schriften dieser Periode sind zahlreich, nur daß er seine spe¬
kulativen Ideen in kleine Aufsätze verzettelte, was freilich mit der Structur
seines Geistes wesentlich zusammenhing. Er schrieb über alle möglichen Dinge,
z. B. gegen hie Aufhebung der Zünfte; charakteristisch für sein Denken sind
die Abhandlungen "über die Analogie des Erkenntniß- und Zeugungtriebs
(1808);" "über den Sinn und Zweck der Verkörperung, Leib- und Fleisch-
werdung des Lebens" und "über den Begriff der dynamischen Bewegung im
Gegensatz der mechanischen." -- Sein Umgang breitete sich in dieser Zeit sehr
bedeutend aus., 180i kam L. Tieck mit seiner Schwester nach München.
Das nächste Thema, erzählt Köpke 1, S. 312, was beiden am Herzen lag¬
war Jacob Böhme.*) In einem dreistündigen Monolog ergoß sich Baader;
die Unterhaltung hörte auf. Alles Verwandte aus andern Mystikern, was er
> sonst über sie gelesen halte, war ihm gegenwärtig. Er zeigte eine umfassende
Gelehrsamkeit in dieser Literatur und Fülle der Gedanken, mystischen Tiefsinn.
Doch war es selbst für Tiecks damalige Ansichten des Geheimnisses, der orakel¬
mäßigen Dunkelheit zu viel; er vermochte ihm in die verschlungenen Gänge
seiner Speculation nicht zu folgen. -- sah elling wurde persönlich mit ihm
seit 1806 bekannt, wo er von Würzburg nach München übersiedelte; sie stan-
Veu sich in vielen Punkten sehr nahe, doch glaubte Schelling in Baader zu
viel I. Böhme und Se. Martin anzutreffen, während Baader in Schelling
zu viel Spinoza und Fichte fand. Wenn Schelling an wissenschaftlicher Bil¬
dung weit überlegen war, so bedürfte er doch anregender Einfälle, und in
dieser Beziehung ist Baader von großem Einfluß auf seine Fortbildung gewe¬
sen. In den Streitigkeiten Schellings mit Jacob! trat Baader, wie !es sich
von selbst versteht, entschieden auf Seite des ersteren, wenn er auch die zu
schroffe Form mißbilligte, wie denn seine eigne Schrift: "über die Behauptung,



Dieser alte Mystiker blieb durchweg der Leitstern seines Denkens. "Es ist eine wahre
Schande, schreibt er -1838. basi von Böhme noch keine neue Auflage bewerkstelligt worden ist,
während es mit den neuen Ausgaben von Goethe und Schiller und andern Dichtern und
Romanschreibern kein Ende nehmen will. Wen" Sie einmal mit Bohne gut vertraut sind,
so werden Sie finden, das, er der ganzen Weltzeit vorgelaufen, daß er alles Wissen dieser
Welt, freilich in der Enge, enthält; daher man mit ihm immer "u <-"urs mit der Zeit bleibt;
es kommt einem dann nichts Neues vor, das man nicht gleich zu würdigen verstände." --
Böhme geht über das Dreieck mit dem Punkt hinaus; er hat noch einen Kreis um seine
Spitzen.

Ritter des Verdienstordens, womit der persönliche und erbliche Adel verbunden
war. Durch seine Erfindung, das Glaubersalz zur Glasfabrik anzuwenden
(man athmet auf, wenn man diesem prosaischen Geschäft mitten in seiner über¬
schwenglichen Mystik begegnet), vergrößerte er seine Einnahmen nicht unbeveu-
tend und baute noch kühnere Hoffnungen darauf. 1812 kaufte er das Gut
Schwabing bei München, wo er von da an bis 1832 mit seiner Familie
wohnte. — Die Schriften dieser Periode sind zahlreich, nur daß er seine spe¬
kulativen Ideen in kleine Aufsätze verzettelte, was freilich mit der Structur
seines Geistes wesentlich zusammenhing. Er schrieb über alle möglichen Dinge,
z. B. gegen hie Aufhebung der Zünfte; charakteristisch für sein Denken sind
die Abhandlungen „über die Analogie des Erkenntniß- und Zeugungtriebs
(1808);" „über den Sinn und Zweck der Verkörperung, Leib- und Fleisch-
werdung des Lebens" und „über den Begriff der dynamischen Bewegung im
Gegensatz der mechanischen." — Sein Umgang breitete sich in dieser Zeit sehr
bedeutend aus., 180i kam L. Tieck mit seiner Schwester nach München.
Das nächste Thema, erzählt Köpke 1, S. 312, was beiden am Herzen lag¬
war Jacob Böhme.*) In einem dreistündigen Monolog ergoß sich Baader;
die Unterhaltung hörte auf. Alles Verwandte aus andern Mystikern, was er
> sonst über sie gelesen halte, war ihm gegenwärtig. Er zeigte eine umfassende
Gelehrsamkeit in dieser Literatur und Fülle der Gedanken, mystischen Tiefsinn.
Doch war es selbst für Tiecks damalige Ansichten des Geheimnisses, der orakel¬
mäßigen Dunkelheit zu viel; er vermochte ihm in die verschlungenen Gänge
seiner Speculation nicht zu folgen. — sah elling wurde persönlich mit ihm
seit 1806 bekannt, wo er von Würzburg nach München übersiedelte; sie stan-
Veu sich in vielen Punkten sehr nahe, doch glaubte Schelling in Baader zu
viel I. Böhme und Se. Martin anzutreffen, während Baader in Schelling
zu viel Spinoza und Fichte fand. Wenn Schelling an wissenschaftlicher Bil¬
dung weit überlegen war, so bedürfte er doch anregender Einfälle, und in
dieser Beziehung ist Baader von großem Einfluß auf seine Fortbildung gewe¬
sen. In den Streitigkeiten Schellings mit Jacob! trat Baader, wie !es sich
von selbst versteht, entschieden auf Seite des ersteren, wenn er auch die zu
schroffe Form mißbilligte, wie denn seine eigne Schrift: „über die Behauptung,



Dieser alte Mystiker blieb durchweg der Leitstern seines Denkens. „Es ist eine wahre
Schande, schreibt er -1838. basi von Böhme noch keine neue Auflage bewerkstelligt worden ist,
während es mit den neuen Ausgaben von Goethe und Schiller und andern Dichtern und
Romanschreibern kein Ende nehmen will. Wen» Sie einmal mit Bohne gut vertraut sind,
so werden Sie finden, das, er der ganzen Weltzeit vorgelaufen, daß er alles Wissen dieser
Welt, freilich in der Enge, enthält; daher man mit ihm immer »u <-«urs mit der Zeit bleibt;
es kommt einem dann nichts Neues vor, das man nicht gleich zu würdigen verstände." —
Böhme geht über das Dreieck mit dem Punkt hinaus; er hat noch einen Kreis um seine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/468>, abgerufen am 23.07.2024.