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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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ling ist nach ihm erst bis zum Dreieck ohne Basis angelangt; bis zum Dreieck
mit dem Punkt in der Mitte ist also noch ein unendlicher Weg.

Von diesen Speculationen gehen wir auf das Menschliche über. Aus
München, 2i. Febr. 1799, schreibt Baader an Jacobi: "Ihren Brief erhielt
ich (im Januar 1799) am Sterbebett meiner geliebtesten Freundin, der jungen
Witwe Gräfin N. Dies vortreffliche Weib, welches, ich möchte fast sagen,
mit dem Geist Ihrer Henriette den reinen Natursinn Ihrer Allwine verband,
war Ihre und unsers Claudius wärmste Freundin, denn Ihre und seine
Schriften gingen ihr über alles. Ihr ganzes Leben war, von ihrer unglück¬
lichen Heirath angefangen, ein namenloses, ununterbrochenes, physisches und
moralisches Leiden u. f. w. (es folgen nun die entsetzlichsten Anklagen gegen ihren
Mann). Ich lernte sie vor zwei Jahren gleich bei meiner Ankunft als Witwe
kennen, und wenig Wochen nach unserer Bekanntschaft und Liebe fiel sie wieder
in eine grausame schmerzliche Nervenkrankheit, an deren Folgen sie vor Kurzem
an meiner Seite starb. So ward denn der Tod mein Brautführer, nachdem
ich ihn zwei Jahr ununterbrochen an der geliebten Gestalt gleich jenem fabel¬
haften Todtenwurm arbeiten hören und sehen mußte. Ich habe unaussprech¬
lich gelitten all diese Zeit über, und nun, da mir die ganze Natur um mich
mit einem großen Leichentuch überdeckt scheint, duftet mir aus jeder Erden-
freude Leichenduft entgegen, und ich kann kein lebendes Menschengesicht an¬
sehen, ohne gleichsam das in ihm mehr oder minder bereits entwickelte und
reife Leichenantlitz zu erblicken. . . Uebrigens danke ich Gott, daß mir durch
ihn hier das schöne Loos ward, einer unschuldigen, reinen Märtyrerseele und
Kreuzträgerin durch meine Liebe ihr Leiden zu erleichtern, und wenn es Ehen
gibt, die im Himmel geschlossen, aber auf Erden vollzogen werden, so gibt es
schönere Bündnisse der Menschen, welche auf der Erde geschlossen, im Himmel
aber vollzogen werden, und von dieser letztern Art war und ist gewiß mein
Bündniß, von dem ich Ihnen hier schreibe."

Das steht S. 18i --185; schlagen wir nun zurück, so finden wir S. 35
folgende Geschichte, die in demselben Jahr deS Briefes spielt.

Seine Amtsverhältnisse (als Berg- und Salinenrath) führten ihn nach
Prag. Während er eines Tages in einem Buchladen nach wissenschaftlichen
Neuigkeiten sich umsah, erblickte er eine ausgezeichnet schöne'junge Dame von
schlanker Gestalt und anmuthigem Wesen in Gesellschaft vorübergehn. Der
Eindruck dieser Erscheinung war so groß, daß Baader rasch sich Eingang in
das Vaterhaus der jungen Dame verschaffte und ihr Herz gewann; sie wurde
seine Braut und 1800 führte er sie zum Altar.

In seiner amtlichen Stellung rückte er Schritt für Schritt vorwärts,
1801 wurde er Oberbergrath und frequentircndes Mitglied der Münchener Akademie,
Januar 1808 ordentliches Mitglied derselben und gleich darauf (Mai 1808)


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ling ist nach ihm erst bis zum Dreieck ohne Basis angelangt; bis zum Dreieck
mit dem Punkt in der Mitte ist also noch ein unendlicher Weg.

Von diesen Speculationen gehen wir auf das Menschliche über. Aus
München, 2i. Febr. 1799, schreibt Baader an Jacobi: „Ihren Brief erhielt
ich (im Januar 1799) am Sterbebett meiner geliebtesten Freundin, der jungen
Witwe Gräfin N. Dies vortreffliche Weib, welches, ich möchte fast sagen,
mit dem Geist Ihrer Henriette den reinen Natursinn Ihrer Allwine verband,
war Ihre und unsers Claudius wärmste Freundin, denn Ihre und seine
Schriften gingen ihr über alles. Ihr ganzes Leben war, von ihrer unglück¬
lichen Heirath angefangen, ein namenloses, ununterbrochenes, physisches und
moralisches Leiden u. f. w. (es folgen nun die entsetzlichsten Anklagen gegen ihren
Mann). Ich lernte sie vor zwei Jahren gleich bei meiner Ankunft als Witwe
kennen, und wenig Wochen nach unserer Bekanntschaft und Liebe fiel sie wieder
in eine grausame schmerzliche Nervenkrankheit, an deren Folgen sie vor Kurzem
an meiner Seite starb. So ward denn der Tod mein Brautführer, nachdem
ich ihn zwei Jahr ununterbrochen an der geliebten Gestalt gleich jenem fabel¬
haften Todtenwurm arbeiten hören und sehen mußte. Ich habe unaussprech¬
lich gelitten all diese Zeit über, und nun, da mir die ganze Natur um mich
mit einem großen Leichentuch überdeckt scheint, duftet mir aus jeder Erden-
freude Leichenduft entgegen, und ich kann kein lebendes Menschengesicht an¬
sehen, ohne gleichsam das in ihm mehr oder minder bereits entwickelte und
reife Leichenantlitz zu erblicken. . . Uebrigens danke ich Gott, daß mir durch
ihn hier das schöne Loos ward, einer unschuldigen, reinen Märtyrerseele und
Kreuzträgerin durch meine Liebe ihr Leiden zu erleichtern, und wenn es Ehen
gibt, die im Himmel geschlossen, aber auf Erden vollzogen werden, so gibt es
schönere Bündnisse der Menschen, welche auf der Erde geschlossen, im Himmel
aber vollzogen werden, und von dieser letztern Art war und ist gewiß mein
Bündniß, von dem ich Ihnen hier schreibe."

Das steht S. 18i —185; schlagen wir nun zurück, so finden wir S. 35
folgende Geschichte, die in demselben Jahr deS Briefes spielt.

Seine Amtsverhältnisse (als Berg- und Salinenrath) führten ihn nach
Prag. Während er eines Tages in einem Buchladen nach wissenschaftlichen
Neuigkeiten sich umsah, erblickte er eine ausgezeichnet schöne'junge Dame von
schlanker Gestalt und anmuthigem Wesen in Gesellschaft vorübergehn. Der
Eindruck dieser Erscheinung war so groß, daß Baader rasch sich Eingang in
das Vaterhaus der jungen Dame verschaffte und ihr Herz gewann; sie wurde
seine Braut und 1800 führte er sie zum Altar.

In seiner amtlichen Stellung rückte er Schritt für Schritt vorwärts,
1801 wurde er Oberbergrath und frequentircndes Mitglied der Münchener Akademie,
Januar 1808 ordentliches Mitglied derselben und gleich darauf (Mai 1808)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/467>, abgerufen am 23.07.2024.