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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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vortheilhafte Handelsverträge mit Frankreich und dem Zollverein abgeschlossen.
18S0 wurde die vier Jahre zuvor nicht völlig erledigte Unterrichlsfrage zum
definitiven Abschluß im Sinne der Lehrfreiheit gebracht, so wie die Angelegen¬
heit der Getreidezölle angeregt, wobei Rogier das Princip des Freihandels
vertrat. DaS Ministerium erlitt in diesem Jahre mehrfachen Personenwechsel,
der jedoch auf die Richtung desselben ohne Einfluß war. Schwierig gestaltete
sich die Lage des Cabinets, als 18S1 die Herabsetzung des Militärbudgets
verhandelt wurde. Da es sich indeß, mit Ausnahme des KriegsniinisterS, ent¬
schloß, der Ansicht der bedeutenderen Fraction der Majorität beizustimmen,
und die Ausgaben für das Heer auf 2S Millionen Franken zu beschränken, so
ging die Gefahr einer Cabinetökrisis dies Mal noch vorüber. Wie sie im fol¬
genden Jahre infolge der Ansprüche Frankreichs wiederkehrte, welches mit
Macht gegen das freisinnige System des Nachbarlandes andrängte, wie
Rogier 1832 hierdurch gestürzt wurde, wie sein Nachfolger, der gemäßigte
De Brouckere eine Zeit lang ebensowenig Gnade fand vor den Augen des
kaiserlichen Nachbars, wie allmälig die Klerikalen wieder zu Kräften kamen
und endlich im März -I85S ein noch weiter rechts stehendes Ministerium, daS soeben
abgetretene, an die Spitze der Geschäfte gelangte, ist den Lesern ebenso wie
andere Vorgänge der letzten fünf Jahre in so frischer Erinnerung, daß wir
darüber hinweggehen-und uns auf eine kurze Darstellung der weniger bekannten
parlamentarischen Kämpfe beschränken können, reiche die letzten beiden Jahre
ausfüllten.

Als am 13. November 18os die Session der Kammern eröffnet wurde,
hatte sich die Stellung der PartMn wesentlich verändert. Die Liberalen hatten
durch die Zeitströmung einiges Terrain verloren, namentlich aber hatte sie
die Begehrlichkeit des Neunapolconismus, welcher bald zeigte, daß eS ihm
nicht mehr um Einschränkung des liberalen Elements, sondern um Ausdeh¬
nung seiner Herrschaft über Belgien zu thun war, zu vorsichtigem Auftreten
und zu sorgfältiger Vermeidung aller Dinge, welche Anstoß geben konnten, er¬
mahnt. Die Klerikalen hatten mit jener Unbedenklichkeit in der Wahl ihrer
Mittel, welche dieser Partei von jeher eigen war, sich den weniger klar blicken¬
den Schichten der Bevölkerung als Förderer der materiellen Wohlfahrt zu
empfehlen gewußt, nebenher auch die Miene von Gönnern liberaler Institu¬
tionen angenommen und so in der Nationalvertretung eine kleine Majorität
erlangt. Schon hierdurch war es erklärlich, daß die Kammern dem Ministerium
in der ersten Hälfte der Session nicht sehr entschieden entgegentraten. DaS
Ministerium selbst aber schien Fragen, welche zu heftigen Kämpfen führen'
konnten, zunächst aus dem Wege gehen zu wollen. Ein Gesetzentwurf zur
Wiederherstellung des Besitzrechts der todten Hand, welchem man nach den
Grundsätzen desselben mit Bestimmtheit entgegensah, wurde nicht vorgelegt.


vortheilhafte Handelsverträge mit Frankreich und dem Zollverein abgeschlossen.
18S0 wurde die vier Jahre zuvor nicht völlig erledigte Unterrichlsfrage zum
definitiven Abschluß im Sinne der Lehrfreiheit gebracht, so wie die Angelegen¬
heit der Getreidezölle angeregt, wobei Rogier das Princip des Freihandels
vertrat. DaS Ministerium erlitt in diesem Jahre mehrfachen Personenwechsel,
der jedoch auf die Richtung desselben ohne Einfluß war. Schwierig gestaltete
sich die Lage des Cabinets, als 18S1 die Herabsetzung des Militärbudgets
verhandelt wurde. Da es sich indeß, mit Ausnahme des KriegsniinisterS, ent¬
schloß, der Ansicht der bedeutenderen Fraction der Majorität beizustimmen,
und die Ausgaben für das Heer auf 2S Millionen Franken zu beschränken, so
ging die Gefahr einer Cabinetökrisis dies Mal noch vorüber. Wie sie im fol¬
genden Jahre infolge der Ansprüche Frankreichs wiederkehrte, welches mit
Macht gegen das freisinnige System des Nachbarlandes andrängte, wie
Rogier 1832 hierdurch gestürzt wurde, wie sein Nachfolger, der gemäßigte
De Brouckere eine Zeit lang ebensowenig Gnade fand vor den Augen des
kaiserlichen Nachbars, wie allmälig die Klerikalen wieder zu Kräften kamen
und endlich im März -I85S ein noch weiter rechts stehendes Ministerium, daS soeben
abgetretene, an die Spitze der Geschäfte gelangte, ist den Lesern ebenso wie
andere Vorgänge der letzten fünf Jahre in so frischer Erinnerung, daß wir
darüber hinweggehen-und uns auf eine kurze Darstellung der weniger bekannten
parlamentarischen Kämpfe beschränken können, reiche die letzten beiden Jahre
ausfüllten.

Als am 13. November 18os die Session der Kammern eröffnet wurde,
hatte sich die Stellung der PartMn wesentlich verändert. Die Liberalen hatten
durch die Zeitströmung einiges Terrain verloren, namentlich aber hatte sie
die Begehrlichkeit des Neunapolconismus, welcher bald zeigte, daß eS ihm
nicht mehr um Einschränkung des liberalen Elements, sondern um Ausdeh¬
nung seiner Herrschaft über Belgien zu thun war, zu vorsichtigem Auftreten
und zu sorgfältiger Vermeidung aller Dinge, welche Anstoß geben konnten, er¬
mahnt. Die Klerikalen hatten mit jener Unbedenklichkeit in der Wahl ihrer
Mittel, welche dieser Partei von jeher eigen war, sich den weniger klar blicken¬
den Schichten der Bevölkerung als Förderer der materiellen Wohlfahrt zu
empfehlen gewußt, nebenher auch die Miene von Gönnern liberaler Institu¬
tionen angenommen und so in der Nationalvertretung eine kleine Majorität
erlangt. Schon hierdurch war es erklärlich, daß die Kammern dem Ministerium
in der ersten Hälfte der Session nicht sehr entschieden entgegentraten. DaS
Ministerium selbst aber schien Fragen, welche zu heftigen Kämpfen führen'
konnten, zunächst aus dem Wege gehen zu wollen. Ein Gesetzentwurf zur
Wiederherstellung des Besitzrechts der todten Hand, welchem man nach den
Grundsätzen desselben mit Bestimmtheit entgegensah, wurde nicht vorgelegt.


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[0460] vortheilhafte Handelsverträge mit Frankreich und dem Zollverein abgeschlossen. 18S0 wurde die vier Jahre zuvor nicht völlig erledigte Unterrichlsfrage zum definitiven Abschluß im Sinne der Lehrfreiheit gebracht, so wie die Angelegen¬ heit der Getreidezölle angeregt, wobei Rogier das Princip des Freihandels vertrat. DaS Ministerium erlitt in diesem Jahre mehrfachen Personenwechsel, der jedoch auf die Richtung desselben ohne Einfluß war. Schwierig gestaltete sich die Lage des Cabinets, als 18S1 die Herabsetzung des Militärbudgets verhandelt wurde. Da es sich indeß, mit Ausnahme des KriegsniinisterS, ent¬ schloß, der Ansicht der bedeutenderen Fraction der Majorität beizustimmen, und die Ausgaben für das Heer auf 2S Millionen Franken zu beschränken, so ging die Gefahr einer Cabinetökrisis dies Mal noch vorüber. Wie sie im fol¬ genden Jahre infolge der Ansprüche Frankreichs wiederkehrte, welches mit Macht gegen das freisinnige System des Nachbarlandes andrängte, wie Rogier 1832 hierdurch gestürzt wurde, wie sein Nachfolger, der gemäßigte De Brouckere eine Zeit lang ebensowenig Gnade fand vor den Augen des kaiserlichen Nachbars, wie allmälig die Klerikalen wieder zu Kräften kamen und endlich im März -I85S ein noch weiter rechts stehendes Ministerium, daS soeben abgetretene, an die Spitze der Geschäfte gelangte, ist den Lesern ebenso wie andere Vorgänge der letzten fünf Jahre in so frischer Erinnerung, daß wir darüber hinweggehen-und uns auf eine kurze Darstellung der weniger bekannten parlamentarischen Kämpfe beschränken können, reiche die letzten beiden Jahre ausfüllten. Als am 13. November 18os die Session der Kammern eröffnet wurde, hatte sich die Stellung der PartMn wesentlich verändert. Die Liberalen hatten durch die Zeitströmung einiges Terrain verloren, namentlich aber hatte sie die Begehrlichkeit des Neunapolconismus, welcher bald zeigte, daß eS ihm nicht mehr um Einschränkung des liberalen Elements, sondern um Ausdeh¬ nung seiner Herrschaft über Belgien zu thun war, zu vorsichtigem Auftreten und zu sorgfältiger Vermeidung aller Dinge, welche Anstoß geben konnten, er¬ mahnt. Die Klerikalen hatten mit jener Unbedenklichkeit in der Wahl ihrer Mittel, welche dieser Partei von jeher eigen war, sich den weniger klar blicken¬ den Schichten der Bevölkerung als Förderer der materiellen Wohlfahrt zu empfehlen gewußt, nebenher auch die Miene von Gönnern liberaler Institu¬ tionen angenommen und so in der Nationalvertretung eine kleine Majorität erlangt. Schon hierdurch war es erklärlich, daß die Kammern dem Ministerium in der ersten Hälfte der Session nicht sehr entschieden entgegentraten. DaS Ministerium selbst aber schien Fragen, welche zu heftigen Kämpfen führen' konnten, zunächst aus dem Wege gehen zu wollen. Ein Gesetzentwurf zur Wiederherstellung des Besitzrechts der todten Hand, welchem man nach den Grundsätzen desselben mit Bestimmtheit entgegensah, wurde nicht vorgelegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/460>, abgerufen am 23.07.2024.